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Professor Dr. Hans Reiner Schultz Professor Dr. Hans Reiner Schultz ist international einer der wichtigsten Forscher über die Folgen des Klimawandels im Weinbau. Im Interview mit Alexander Lupersböck berichtet der Dekan der Hochschule Geisenheim (Rheingau) über aktuelle Erkenntnisse, notwendige Veränderungen und Durchschnittstemperaturen in Geisenheim, die früher im australischen Adelaide Hills gemessen wurden.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Weinwelt durch die Klimakrise?

Schultz: Die Temperaturen steigen global an, auf der Nordhälfte stärker, weil die Landmasse größer ist. Doch es gibt kein Patentrezept für alle Weinbaugebiete. Man muss jedes für sich betrachten, weil sie ganz unterschiedlich reagieren. Das hat auch mit der geographischen Lage auf einem Kontinent zu tun. Allein die Entwicklung des Wasserhaushaltes ist regional extrem unterschiedlich. Das Verhältnis von Niederschlag zu potenzieller Verdunstung hat sich in manchen Regionen stark verändert, in anderen gar nicht. In Geisenheim, in Bordeaux und Kalifornien zum Beispiel hat sich die Verdunstung geändert, die Niederschlagsmenge dafür nicht. An der Ostküste Amerikas ist es umgekehrt: Dort gibt es stärkere Sommerniederschläge bei gleichbleibender Verdunstung. Nimmt die Lufttemperatur um 1 °C zu, steigt die potenzielle Verdunstung um sieben Prozent; würden wir das Ziel einer Erwärmung von 2 °C erreichen, würde die Verdunstung um 14 Prozent zunehmen - und dieses Wasser muss irgendwo wieder runterkommen. Damit nimmt die Gefahr von Starkregen-Ereignissen entsprechend zu.

Die Weinbauzonen verlagern sich weiter nach Norden. Wie weit kann das gehen?

Schultz: In den alten Weinbau-Büchern steht: der 50. Breitengrad ist die Grenze. Der verläuft genau durch Geisenheim. Wir reden dabei immer von den Durchschnittstemperaturen von April bis Oktober. Die Weinproduktion benötigt einen Durchschnittswert von mindestens 12 °C. Österreich liegt bei etwa 16 °C, 2018 waren es 18 °C. Weiter im Norden wird es kühler, aber ich habe länger Tageslicht. 2018 lag die Durchschnittstemperatur während der Vegetationsphase in Geisenheim bei 18 °C. Das entspricht dem, was wir zu Beginn dieses Jahrhunderts in Santiago de Chile oder im südaustralischen Adelaide Hills gemessen haben. Beide Orte liegen am 34. Breitengrad. Geisenheim liegt viel weiter weg vom Äquator und hat zwei Stunden länger Tageslicht – man sieht also, dass die Tageslänge einiges kompensieren kann.

Welche Einflüsse spielen noch eine Rolle?

Schultz: Meist werden die Wintertemperaturen ausgeblendet. Warschau zum Beispiel ist im Sommerhalbjahr deutlich über 12 °C warm, aber im Winter kann es auf minus 20 °C runter gehen, und da erfrieren die Rebstöcke. Im Osten Deutschlands sieht man auch, dass es öfter Frost gibt. Zu milde Winter bedeuten aber ein höheres Potenzial an Schädlingen. Und: Es ist wichtig, dass die Rebe im Winter einen gewissen Kältereiz bekommt, sonst verläuft der Austrieb im Frühjahr zu ungleichmäßig. Die Blütezeit ist ebenfalls eine neuralgische Phase. Ist es zu kühl, gefährdet das die Erträge. Es wird nicht jeder Jahrgang so warm wie die vergangenen drei, es kann auch immer wieder mal ein Jahr wie 2021 geben. Heute sind wir kaum mehr gewöhnt zu entsäuern, aber noch vor 30 oder 40 Jahren wäre das ein guter Jahrgang gewesen.

Was können Winzer gegen steigende Temperaturen und die Trockenheit unternehmen?

Schultz: Ich sage etwas überspitzt: In der Landwirtschaft kann man immer etwas machen. Oft wird an Bewässerung gedacht. Die wird aber in vielen Weinbauregionen bald an ein Ende kommen, weil Reben als Luxusgut das Wasser der notwendigen Landwirtschaft wegnehmen. Bewässerung kann höchstens eine Zwischenfunktion haben. Wir müssen uns in der Forschung deutlich mehr mit trockentoleranten Unterlagsreben beschäftigen. Heute stammen fast alle verwendeten Unterlagsreben noch aus Züchtungen, die gegen die Reblaus entwickelt wurden. Das ist über 120 Jahre her! Man muss heute den existierenden, natürlichen Genpool der Vitis-Arten mit molekularbiologischen Werkzeugen unter ganz anderen Aspekten anschauen. Es ist viel mehr Trockentoleranz vorhanden als in den Unterlagen, die wir heute einsetzen. Da es nur wenige Institutionen gibt, die sich dem Thema annehmen, ist es eine dringliche, internationale Aufgabe, diese Forschung im Verbund anzugehen.

 

Ohne Piwis werden wir es nicht schaffen, den Green Deal der EU einzuhalten.

Die Pilzwiderstandsfähigkeit der Rebsorten alleine ist zuwenig?

Schultz: Ohne Piwis werden wir es nicht schaffen, den Green Deal der EU einzuhalten. Die Einsparung von 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel ist eine Herausforderung - vor allem für den Weinbau, der den größten Verbrauch von Fungiziden hat. Da brauchen wir in Zukunft noch stärkere Resistenzen. Die Züchtung und deren Forschung liegt hauptsächlich bei den staatlichen Institutionen. In Frankreich wird das nun forciert. Da gibt es ein Riesenprojekt namens Viticulture sans pesticides. Weil Frankreich zentral verwaltet wird, bewegt sich da auch etwas. In föderalistisch aufgebauten Ländern ist es schwieriger, das zu organisieren. Mit neuen Werkzeugen können - und müssen - wir da schneller vorankommen. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass wir für eine Züchtungsgeneration 25 bis 30 Jahre Zeit haben. Da wird es zu spät sein.

Erwarten Sie, dass der Rebsortenspiegel in Europa ein anderer sein wird?

Schultz: Wir kennen nur die unteren Temperatur-Schwellenwerte der Rebsorten, nicht die oberen. Die unteren haben wir durch “learning by doing” erfahren. Wir gehen aber davon aus, dass etwa Riesling über einer gewissen Temperaturschwelle nicht mehr funktioniert. Aber wir wissen es nicht. Die Forschung hat nie die Anpassungsfähigkeit der Rebsorten an Temperaturen untersucht. Beispiel Chardonnay: Das ist eine anpassungsfähige Sorte. Die kann man in kühlen, aber auch sehr warmen Regionen anbauen. Bei Silvaner würde ich eher sagen: Der ist ein Sensibelchen. Richtige belastbare Daten haben wir dazu noch nicht, es sind Erfahrungswerte. Zum Beispiel mit dem Jahrgang 2018, der 4 °C wärmer als der Durchschnitt war, haben wir sehen können, was funktioniert. Das Management der pH-Werte in der Traube wird noch wichtiger werden. Klar ist: Über die Jahrzehnte verändert sich der Charakter einer Rebsorte. Am Beispiel Grüner Veltliner sehen wir heute schon: Der pfeffrige Charakter wird in Zukunft eher in kühleren Jahren erzielt werden. Aber wir haben ja Möglichkeiten, einzugreifen. Die Beschattung mit Laub funktioniert am einfachsten. Eine andere, wirksame, aber nicht so einfach umzusetzende Methode ist, die Ausrichtung der Rebzeilen zu ändern. Aber das kann man nicht überall machen, in Steillagen geht das nicht. Dazu ein weiterer Aspekt: In Deutschland hat man in den 1970er Jahren aus ökonomischen Gründen Flächen zusammengelegt. Dadurch wurden die Hangneigungen erhöht. Bei Starkregen schießt das Wasser nun durch die Weinberge und führt zu starker Erosion. Die alten kleinräumigen Strukturen haben das Wasser besser im Boden gehalten. Aber das heute zurückzubauen, ist kaum realisierbar. Trotzdem müssen regionalspezifische Ansätze gefunden werden. Wir brauchen eine sukzessive Restrukturierung von Regionen, so dass das Regenwasser nicht als Autobahn im nächsten Fluss landet und zu Überflutungen führt.

 

Wir müssen die Anbau-Systeme hier so verändern, dass die vorhandenen Rebsorten auch in 100 Jahren noch funktionieren.

Wo würden Sie heute einen Weinberg anlegen, damit er zukunftssicher ist?

Schultz: Wir müssen die Anbau-Systeme hier so verändern, dass die vorhandenen Rebsorten auch in 100 Jahren noch funktionieren, anstatt zu sagen: In 100 Jahren bin ich in Norwegen. Es geht ja nicht nur um die Trauben, es geht um Kultur, Tourismus, Tradition. Am Wein hängt viel mehr. Und es betrifft auch nicht nur den Weinbau. Bodentemperaturen steigen schneller als Lufttemperaturen. Wie können wir Kohlenstoff im Boden halten oder noch mehr hinein bringen? Das ist eine riesige Herausforderung für die gesamte Landwirtschaft. Da müssen Denkmuster geändert werden. Wir müssen alle Register ziehen, um etwas dort langlebig und nachhaltig zu erhalten, wo es schon seit 2.000 Jahren langlebig und nachhaltig funktioniert hat.

Können Dauerbegrünung und organische Bewirtschaftung helfen, die Balance besser zu erhalten?

Schultz: Klares Ja. Wir betreiben seit 2006 einen Versuchsweinberg in Geisenheim. Da werden Parzellen jeweils konventionell, biologisch und biodynamisch bearbeitet. Das ist der längste laufende Versuch dazu weltweit. Wir wissen aus allen weltweit erhobenen Daten, dass die biologische oder biodynamische Bewirtschaftung im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger Ertrag ergibt. Auffallend war aber in den warmen Jahren 2018, 2019 und 2020, dass der Ertrag der Bio-Flächen höher war als in den konventionellen. Das könnte ein Hinweis sein, dass Bio-Systeme rascher Resilienzen bilden. Es gibt auch Indikatoren, dass Bio-Flächen weniger Treibhausgase verursachen als die konventionellen. Wenn man das in die Gleichung einbringt, ist das Ergebnis klar. Aber auch hier muss ich sagen: Das Bio-System der Gegenwart ist nicht das Bio-System der Zukunft. Es muss weiterentwickelt und angepasst werden. Es gibt unendlich viele kleine Stellschrauben, an denen geforscht werden muss.

Wie gut sind Europas Winzer auf diesen Weg vorbereitet?

Schultz: Weinbau ist eine der klimasensibelsten und langlebigsten Kulturen überhaupt. Winzer müssen heute auf das reagieren, was sie in 25 und 50 Jahren erwartet. In der Ausbildung und Lehre bereiten wir die jungen Winzer schon seit Längerem darauf vor. Sie müssen nicht von heute auf morgen alles ändern. Aber wir wollen ihnen die Möglichkeiten mitgeben, um flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Standardrezepte gibt es nicht. Man muss beobachten - und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

Fotos: © Hochschule Geisenheim

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