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... und warum es dennoch sinnlos ist.

Der Captain vulgo Manfred Klimek sprach vor einigen Wochen auf "Welt online" davon, dass man Jahrgänge auch dann beurteilen dürfe, wenn man sich nur ein paar wenige, dafür aber die richtigen Weine, nämlich jene der als besonders gut bekannten Winzer ansehen würde. Für denjenigen, der sich ohnehin nur die Spitzen eines Jahrgangs von den bestens bekannten Weingütern kaufen will, mag das unter Umständen reichen. Für alle anderen nicht.

Eines gleich vorausgeschickt: Jahrgangsbeurteilungen sind immer falsch. Zwar lassen sich durchaus Aussagen darüber treffen, wie sich die Witterungsbedingungen eines Jahres auf die Möglichkeiten auswirken, die ein Weinmacher einer bestimmten Region mit bestimmten Rebsorten hat, aber im Einzelfall, wenn es um einen speziellen Wein geht, sind diese Informationen zumindest solange wertlos, wie man den Wein nicht im Glas hat. Dann können sie möglicherweise erklären, warum ein Wein besonders gut oder besonders schlecht ist. Und auch das oft genug anders, als man allgemein annimmt, wenn man von guten und schlechten Jahrgängen spricht.

Grundsätzlich machen es Jahrgänge, die den Winzer herausfordern, jenen Produzenten schwer, die gerne eher nach Reißbrett arbeiten. Wer nicht flexibel genug ist oder sein kann, bei seiner Weinbergsarbeit auch kurzfristig und zielgerichtet auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren, wer mehr den Ertrag oder die Öchslegrade statt der tatsächlichen Qualität der Trauben im Auge hat, wem das Gespür für Weinberg und Reben eher fehlt, wer glaubt, im Keller schon richten zu können, was er im Weinberg und auf dem Selektionstisch versäumt hat, der wird in schwierigeren Jahren immer den Kürzeren ziehen.

Doch es gibt immer wieder Produzenten, die diese Herausforderung nicht nur annehmen, sondern sich von ihnen sogar zu ungeahnten Höhenflügen antreiben lassen. Gerade in schwierigeren Jahren erzeugen manche Winzer ihre besten Weine. Manchmal sind es sogar solche, deren Tropfen man in bestens beleumundeten Jahrgängen unter „ferner liefen“ abhakt. In anstrengungslosen Jahrgängen wird sich hier auch nicht angestrengt, in den komplizierten dafür um so mehr.

Das andere Extrem ist der Weinproduzent, der aus einem potenziell guten Jahrgang um jeden Preis etwas Außergewöhnliches machen will – und an seinem Ehrgeiz scheitert. Der augenscheinlich beste Jahrgang hilft nichts mehr, wenn die Trauben viel zu reif in den Keller kommen. Zu viel Zucker kann ein Fluch sein; Säuremangel mag sich in gewissem Umfang ausgleichen lassen,  die oft eher unerwünschten Aromaveränderungen in überreifen Beeren nicht. Und was macht der Ängstliche, der all das vermeiden will und dazu noch Fäulnis und Krankheiten fürchtet, die in Jahren mit früher Reife immer lauern, sobald das noch warme Herbstklima ein wenig feucht wird? Er liest zu früh, den Weinen fehlt es an Reife, Harmonie und Aroma.

Dazu kommt, dass sich die Bedingungen im Herbst womöglich mehrmals ändern, dass sie für die eine Sorte ideal, für eine andere jedoch schrecklich sein können. Dass sich der Winzer verzettelt, weil er unbedingt 20 Sorten in durchschnittlich fünf Qualitäts- und Süßegraden ausbauen muss. Und wer weiß schon, in welchem Keller es vielleicht massive Gärprobleme gab? Folgenschwere Fehlentscheidungen? Hygienemängel? Am Ende kann ich vor einer Flasche Wein aus einem nominell großen Jahrgang stehen, und der Wein darin ist fürchterlich – und nebendran steht einer aus einem viel gescholtenen Jahr, der mich begeistern würde, träfe ich nur die richtige Wahl.

Will man auf Nummer Sicher gehen, bleibt einem nur, sich auf die Produzenten konzentrieren, die man als zuverlässig und womöglich erstklassig kennt. Und das über Jahre. Weil sie im Weinberg wie im Keller fast immer das Richtige tun, weil sie ein Gespür dafür haben und die nötige Erfahrung, weil sie Risiken eingehen, wo sie möglich und nötig sind, aber genau wissen, wann sie es übertreiben.

Und genau da wird es interessant. Hier machen viele Weinschreibende den größten Fehler. Da wir es hier mit Produzenten zu tun haben, die Jahr für Jahr versuchen, das Bestmögliche aus einem Jahrgang  herauszukitzeln, kann man gerade bei ihnen tatsächlich beobachten, wo im jeweiligen Jahrgang für eine bestimmtes Gebiet das Limit lag. Nicht ganz exakt, dafür spielen immer noch zu viele weitere Faktoren eine Rolle, aber doch näherungsweise, vor allem, wenn man genügend Weine von ausreichend vielen Spitzenleuten probiert. Nur muss man dazu genau hinsehen. Und man darf eben von den letzten Möglichkeiten in der Spitze nie auf den ganzen Jahrgang schließen, auch wenn diese außergewöhnlich sein sollten. Genau das wird aber regelmäßig gemacht.

Jedes Jahr hören wir - meist von den immer gleichen Leuten - die Story vom großen Jahrgang. Da werden schon im Frühjahr bei den üblichen Verdächtigen Fassproben verkostet und ohne zu zögern zu den besten Weinen des Jahrgangs ausgerufen – und der Jahrgang gleich zum besten seit Opas Heimkehr aus dem Krieg. Die Weine schmecken zweifellos, das tun sie hier jedes Jahr, deshalb sind das ja die großen Namen der deutschen Weinwelt. Aber wenn das der Maßstab für einen großen Jahrgang ist, dann gibt es (fast) ausschließlich große Jahrgänge.

Manchen ist es natürlich nur recht, wenn ein solcher Eindruck entsteht. Jenen, die gern die Allerersten sind, die das Jahr verstanden haben wollen, jenen, die sich von ihren Lieblingswinzern einfach gern auf die Schulter klopfen lassen, jenen natürlich, die Wein verkaufen wollen, und nicht zuletzt jenen, die an der Werbung dafür verdienen müssen. Selbst der Verbraucher freut sich, wenn er in der Gewissheit einkaufen geht, sich einen großen Jahrgang zu besorgen.

Drum sieht niemand so genau hin. Aber es reicht eben nicht, jedes Jahr nur den Rahm abzuschöpfen. Um zu verstehen, was sich in einem Jahrgang abspielt und warum, muss man breit gefächert weit nach unten gegangen sein und ganz nach oben. Dann kann man sich tatsächlich ein halbwegs fundiertes Urteil über einen Jahrgang erlauben.

Das dann doch wieder falsch ist.

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