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Ronald Merlino aus New York arbeitete jahrelang als Agent renommierter Dirigenten und Musiker. Heute berät er Weingüter, um klassische Musik mit Wein zu verbinden. Der ausgebildete Sommelier erzählt, wie Champagner der Wiener Walzer-Dynastie Strauß zu Erfolg und Berühmtheit verhalf.

Beim weltberühmten Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker am 1. Januar 2023 stehen Kompositionen der Familie Strauß im Mittelpunkt. Könnten sie Werke mit Bezug zu Wein oder Champagner aufführen?

Ron Merlino: Da hätte es einige zur Auswahl gegeben. Jedenfalls schrieben sowohl Johann Strauß Vater als auch Johann Strauß Sohn einige Stücke mit "Champagner" im Titel.

Woher stammte ihre Vorliebe für Champagner?

Ron Merlino vor der Schubert-Gedenktafel in Tattendorf
© Alexander Lupersboeck

Ron Merlino: Die Napoleonischen Kriege hatten die Bewunderung für alles Französische nur kurz unterbrochen. Von Ludwig van Beethoven weiß man, dass er gerne Burgunder, Bordeaux und Champagner getrunken hat, zumindest so lange, bis Napoleon 1809 Wien zum zweiten Mal besetzte. Staatskanzler Metternich ließ beim Wiener Kongress Weine aus allen Teilnehmerländern servieren, also auch aus Frankreich. Und die Begeisterung für Schaumweine war enorm. Dabei darf man nicht vergessen, dass alle prickelnden Weine damals als Champagner bezeichnet wurden - egal woher sie stammten.

Wie wurde diese Begeisterung für Schaumweine spürbar?

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Wien viele Ballsäle, sogenannte Casinos, eröffnet. Dort gab es Tanzveranstaltungen, Konzerte, Restaurants und andere Attraktionen wie Zoos. Diese Unterhaltungstempel pflegten auch eine gehobene Kulinarik, es gab dort die besten Weine der Zeit.

Hatte das Einfluss auf die Komponisten dieser Zeit?

Johann Strauß Vater ist in einem Gasthaus aufgewachsen. Es hieß „Zum guten Hirten“, und Franz Schubert sowie viele andere Komponisten und Literaten waren dort zu Gast. So kam Johann Strauß Vater mit dieser Kultur und deren Protagonisten in Kontakt. Später spielte er mit Josef Lanner in einem Unterhaltungsorchester in den Casinos. Sie machten ein großes Geschäft daraus und komponierten spezielle Stücke für solche Auftritte, die nicht nur zum Tanzen, sondern als Begleitung zum Essen gedacht waren. Im Gegensatz zu Lanner schrieb Strauß auch Musik mit dezidiertem Bezug zu Wein und Champagner. Das kurbelte den Absatz an, und das machte ihn für die Restaurantbesitzer und Weinhändler interessant. Lanner, der erste König des Wiener Walzers, liebte zwar gute Weine, aber er verewigte sie nicht in seiner Musik. Klar ist, dass beide von Franz Schubert beeinflusst wurden.

Stimmt es, dass Franz Schubert übermäßig viel getrunken hat?

Ron Merlino: Er trank viel, aber nicht zügellos. Seine ‘Schubertiaden’ in den 1820er-Jahren waren das Gleiche, was die Strauß-Brüder später machten. Es gab Musik, Essen, Trinken, Tanz, Dichtung und Kunst. Sie dauerten ganze Nächte lang –und Schubert war ein Meister dieses Genres. Diese Gourmet-Erlebnisse hatten einen direkten Bezug zu den Walzern, die sich aus der einfachen Musik der Bauern entwickelt hatten. Schubert als Meister der Liedform hatte einen großen Einfluss auf dessen Entwicklung. Er war also nicht nur einer der größten Komponisten, sondern eine wichtige Figur der Kunstszene. Es gibt wenige Stücke von ihm, in denen Wein gar nicht vorkommt, wenn auch nicht immer direkt genannt. Wein war ein integraler Bestandteil seines Lebens. Man kann Franz Schubert und sein Werk nicht trennen von dem, was er sah, hörte und erlebte. Er genoss Wein sehr und konnte guten von schlechtem Wein unterscheiden. Er trank Schilcher, Kadarka und Tokajer. Es ist klar dokumentiert, dass er seine Weine sehr genau wählte. Obwohl er das Image des "armen Schluckers" hat, war er Mitglied der gehobenen Gesellschaft.

 
Das Debüt von Johann Strauß Sohn im Casino Dommayer
© Wien Museum

Warum gibt es von der Familie Strauß so viele Kompositionen mit Champagner-Bezug?

Ron Merlino: Zu dieser Zeit begann sich die Champagner-Industrie zu kommerzialisieren und etablierte ihre noch heute bekannten Weltmarken. Ich denke, - ohne es beweisen zu können - dass Strauß Vater deswegen Stücke wie den Champagner-Walzer und den Champagner-Galopp schrieb. Zu dieser Zeit, 1828, veranstaltete man eigene ‘Champagner-Bälle’. Sogar auf den Umschlägen der Notenhefte waren Weingläser oder Weintrinker abgebildet. Bei einer Ausgabe wurden Noten wie Bläschen dargestellt, die aus einem Champagnerglas sprudeln. Das war also richtiges "Branding". Johann Strauß Vater war der erste Komponist, der einen Sinn für Selbstvermarktung entwickelte. Er gab seinen Stücken entsprechende Titel, und das half den Restaurants und Weinhändlern beim Verkauf. Die halfen ihm, indem sie ihn engagierten. Er war auf die Verbindung von Wein und Musik fokussiert, er versuchte, mit Walzer den Umsatz mit Champagner zu steigern. Heute hätte er wahrscheinlich ein eigenes Champagner-Label. 1837 wechselte Strauß Vater in das viel noblere und berühmtere „Sperl“, einen der größten und schönsten Ballsäle, berühmt für tolles Essen und exzellente Weinauswahl. Bei Tanzwettbewerben wurde dort oft französischer Champagner als Preis ausgeschrieben.

 

Nutzte Johann Strauß Sohn die Chancen aus den Verbindungen seinen Vaters?

Ron Merlino: Er wurde gegen den Willen seines Vaters Musiker, aber noch populärer als dieser und Josef Lanner. Er debütierte 1844 im Casino Dommayer in der Nähe von Schloss Schönbrunn. Das war kleiner als andere Tanzsäle, aber hochklassig, deswegen wohnte Strauß später auch in der unmittelbaren Umgebung. Mit seinen Brüdern Joseph und Eduard betrieb er ein Unterhaltungsimperium, das Musik wie am Fließband produzierte. Sie wurden damit sehr wohlhabend. In der Musik nahm Johann Strauß Sohn Bezug auf aktuelle Affären, Strömungen, Moden, also auf den Zeitgeist der gehobenen Gesellschaft. Er lebte wie Franz Schubert von seiner Teilnahme an dieser „demi-monde“. 1858 komponierte er die Champagner-Polka. Bis 1871 schrieb er ausschließlich Tanzmusik und wurde so zum ‘Walzerkönig’, danach widmete er sich der Operette. Auch in diesen Werken geht es oft um Feiern, Bälle, Essen und Trinken. Die Operette ‘Die Fledermaus’ mit ihrem großen Hit ‘Trinke, Liebchen, trinke schnell’ wird klassischerweise heute noch oft zu Silvester und im Fasching aufgeführt.

Hatte er Kontakt zu anderen Komponisten?

Ron Merlino: Johann Strauß Sohn war gut mit Johannes Brahms befreundet, sie tranken oft gemeinsam. Er widmete ihm 1893 den Walzer "Seid umschlungen, Millionen", der Bezug auf Beethovens neunte Symphonie hat. So schließt sich der Kreis des Jahrhunderts.

 
Auf dem Notenheft des Donauwalzers sind die Weinberge bei Nussdorf mit Blick auf Wien sowie Weinlaub abgebildet
© Wikipedia

Johannes Brahms ist als Weinliebhaber bekannt.

Ron Merlino: Ja, er war ein Kenner. Er war viel im Rheingau, ging dort spazieren und kannte die Weinberge sowie die Weine. Aber er liebte auch Chianti und sizilianische Weine, denn er war oft in Italien auf Tour. Und er hatte eine Schwäche für Tokaj. Doch er trennte Genuss und Arbeit, er schrieb keine Stücke mit Weinbezug.

Mir ist aber wichtig, dass man die Tanzmusik von Lanner und Strauß nicht geringer schätzt als die Musik von Beethoven und Brahms. Sie hatten alle denselben Lebensstil und dieselben Lebensumstände. Nur weil die Familie Strauß kommerziell erfolgreicher war, waren sie nicht abgeschnitten vom Rest der Szene. Die Verbindung von Musik und Wein muss sehr kraftvoll gewesen sein.

 

Title pic: © Wikipedia

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