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Der russische Angriff gegen die Ukraine zerstört auch die Weinkultur des Landes. Denn der Krieg tobt inmitten der 41.500 ha großen Anbauregionen. Nahe des Weinzentrums Odessa schlagen Raketen ein, Weinberge und Weingüter im Land werden beschossen oder sind längst verlassen. Winzer, Sommeliers und Händler kämpfen nun an der Front.

Die ukrainischen Winzer haben sich bis vor wenigen Wochen noch im Weinberg um den Rebschnitt gekümmert. Nun tragen sie Uniform und Maschinenpistolen, verteidigen ihr Land, kämpfen für die Freiheit. Alles andere ist zweitrangig geworden. Weinberge und Keller sind verlassen, die Menschen haben Angst vor Raketenangriffen, viele Städte und Dörfer in den Weinregionen stehen unter ständigem russischen Beschuss. Winzer sind jetzt Soldaten. Ob es einen Jahrgang 2022 ukrainischer Weine geben wird? Das ist völlig offen.

Bis vor drei Wochen arbeitete der WSET-Absolvent und Sommelier Anton (Nachname der Redaktion bekannt) beim Weinhändler Good Wine in Kiew. Jetzt ist er als Soldat an der Front.
 

Wo es Wein gibt, herrscht Krieg

Laut den Zahlen des Branchenverbands „Wines of Ukraine“ wachsen in der Ukraine auf 41.500 Hektar Reben - das ist fast so viel wie in Österreich. 2019 wurden 133,4 Millionen Liter von rund 50 Weingütern und Kooperativen erzeugt. Heute gibt es nicht nur Weinberge in den südlichen Regionen des Landes wie Odessa, der annektierten Krim, Mykolajiw oder dem inzwischen von Russland eroberten Cherson, sondern auch in den nördlichen Gebieten. In den derzeit schwer umkämpften Anbauregionen Tschernihiw, Lemberg, Kiew und Ternopil sind viele Weingüter ansässig. Ob einige von ihnen bereits zerstört sind, ist derzeit unklar.

Auch die bis vor dem Krieg wachsende, lebendige Weinszene in der Hauptstadt Kiew existiert nicht mehr. Das bestätigt der ukrainische Weinprofi Zorick Umanskyi aus Kiew im Gespräch mit wein.plus. Er war dort bis zum Kriegsbeginn Top-Manager des Weinimporteurs Good Wine mit rund 800 Mitarbeitern. Bereits einen Tag nach dem russischen Angriff packte er seine Familie ins Auto und floh über Moldau ins sichere Bukarest. Dort stieg er in ein Flugzeug nach Tel Aviv, wo seine Eltern leben. Von Israel aus koordiniert er nun mit seinen Mitarbeitern in Kiew humanitäre Hilfe für sein Heimatland.

 

Bomben vernichten Wein und Feinkost für 15 Mio Euro

Das Lager von Good Wine, rund 15 Kilometer außerhalb von Kiew, wurde kurz darauf bei einem russischen Angriff komplett zerstört. „Weine und Lebensmittel im Wert von 15 Millionen Euro sind in Schutt und Asche gebombt worden”, berichtet Zorick Umanskyi.

Good Wine war nicht nur Importeur, zum Unternehmen gehörte auch der größte Weinladen in der Ukraine mit Feinkostabteilung, Weinbar und Restaurant. Das alles existiert so nicht mehr. „Unser Geschäft in Kiew hat vier Stunden am Tag geöffnet und verkauft jetzt Grundnahrungsmittel”, erzählt Umanskyi, “der Verkauf von Alkohol ist im ganzen Land verboten.” Viele seiner Kollegen seien in den Westen der Ukraine, nach Polen und Deutschland geflohen. Andere kämpfen in der Armee, wie beispielsweise Umanskyis Mitarbeiter Anton. Der WSET-Absolvent und und mehrfach ausgezeichnete Sommelier trägt nun Uniform und verteidigt sein Land. Andere seiner Mitarbeiter leisten humanitäre Hilfe vor Ort, indem sie Lebensmittel verteilen. “Dank der hervorragenden Logistik unseres Unternehmens werden wir von vielen NGOs gebeten, Hilfsgüter aus dem Ausland zu verteilen. Den Organisationen ist es sehr wichtig, mit jemand zusammenzuarbeiten, der einen guten Ruf und viele seriöse Kontakte hat“, erklärt Zorick Umanskyi.

 

“Wir wissen nicht, ob es 2022 eine Ernte geben wird”

Mishail Molchanov steht im Weinberg neben einer russischen Blindgänger-Granate. Sein Sohn Georgiy ist Miteigentümer des Weinguts Slivino Village in der Region Mykolajiw

Auch im Anbaugebiet um Mykolajiw versuchen die ukrainischen Truppen, jeden Zipfel Land zu verteidigen. Die Stadt selbst ist unter ständigem Beschuss, es gibt viele zivile Opfer. Der britische Weinjournalist Chris Boiling hat für das Magazin Canopy der International Wine Challenge mit ukrainischen Winzern gesprochen. Laut Georgiy Molchanov, Besitzer des Weinguts Slivino Village, wurden die Gebiete rund um Mykolajiw, in denen sich seine Weinberge befinden, mehrfach beschossen. „Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht, ob es 2022 eine Ernte geben wird. Jetzt ist die Zeit des Rebschnitts, der unter ständigem Beschuss, den Raketenangriffen und der russischen Besetzung sehr schwierig ist“, sagte Molchanov dem Magazin.

Stark unter Beschuss ist das auch Anbaugebiet südlich des Flusses Dnipro in der Nähe der Städte Cherson und Dnipropetrowsk. Ein Teil der Region sowie die Stadt Cherson ist von russischen Truppen besetzt, das Schicksal der dort ansässigen Weinkellereien ist derzeit nicht bekannt.

Während der Sowjetzeit war die Ukraine der wichtigste Weinproduzent der UdSSR. Damals erzeugten die Kellereien vor allem Süßweine. Erst seit 2014 setzen vor allem junge Winzer auf trockene Weine – und leiteten damit eine Qualitätsrevolution ein. Viele neue Betriebe entstanden, oft von Quereinsteigern gegründet. „Das sowjetische Modell war industriell ausgerichtet: viel Wein, aber nicht teuer. Es war nicht nötig, feine, elegante Weine zu erzeugen", erklärt Eugene Shneyderis vom Weingut Beykush, das in der hart umkämpften Stadt Otschakiw in der Südukraine zwischen Odessa und Mykolajiw liegt.

 

Ex-Tennisprofi und Winzer Stakhovsky kämpft in Kiew

In der Ukraine gibt es drei große Weinbauregionen. Das größte Gebiet liegt im Südwesten rund um die Stadt Odessa mit fast 50 Prozent der Gesamtfläche. Dort hat auch das ukrainische Weinbauinstitut, das “Vasily Egorovich Tairov Institute of Viticulture and Winemaking”, seinen Sitz. Die Hafenstadt am Schwarzen Meer ist militärisch und wirtschaftlich von großer Bedeutung für das Land - und gilt als strategisches Ziel in diesem Krieg. Obwohl die Lage dort bis Redaktionsschluss verhältnismäßig ruhig war, leben die Menschen in ständiger Alarmbereitschaft und bereiten sich auf heftige Raketenangriffe vor. Das größte Weingut der Region heißt Shabo und erzeugt jährlich mehr als 50 Millionen Flaschen. Dessen Weinberge seien bis Redaktionsschluss noch nicht beschädigt worden.

Die momentan am wenigsten von den Kämpfen betroffene Weinregion ist das an Ungarn und Rumänien angrenzende Gebiet Transkarpatien. Hier liegt auch das 2015 gegründete Weingut des ehemaligen Tennisprofis Sergiy Stakhovsky. Der 36-jährige Familienvater hatte die Chance, sich in Sicherheit zu bringen. Doch er unterstützt die ukrainische Armee und kämpft in Kiew. Dem Magazin Canopy sagte Stakhovsky: „Ich gehe davon aus, dass die Ernte dieses Jahres überwiegend verloren sein wird.“

Winzer und Zivilisten bauen Molotow-Cocktails aus Weinflaschen

Auf dem Weingut Fathers Wine, ebenfalls in der Westukraine, füllen die Mitarbeiter keinen Wein, obwohl nun die Zeit dafür wäre. Gemeinsam mit Freiwilligen haben sie stattdessen Benzin und Styropor in hunderte Flaschen abgefüllt und damit Molotow-Cocktails produziert. Sie nähen Kissen und Decken, sammeln Geld für humanitäre Hilfe und stellen Essen für Wehrpflichtige bereit. „Wir tun alles Notwendige, um unser Land zu verteidigen", sagte die Besitzerin Oksana Buyachok gegenüber dem Magazin Wine Business Monthly.

 

Hoffnungsschimmer und Kampfgeist

Der Branchenverband "Wines of Ukraine" will auf der ProWein im Mai dennoch sein Debüt geben – und damit dem Krieg trotzen. „In den vergangenen acht Jahren haben die Winzer auf dem ukrainischen Festland unglaubliche Arbeit geleistet, und sie werden auch jetzt nicht aufgeben. Nichts und niemand wird die Entwicklung des Weinbaus in der Ukraine aufhalten", sagte die Geschäftsführerin von Wine&Spirits Ukraine, Victoria Agromakova.

Doch derzeit wagt niemand in der ukrainischen Weinbranche eine Prognose über die Zukunft. Denn jeder neue Tag im Krieg kann alles zerstören, alles verändern. Auf die Frage, ob er Hoffnung habe, wieder zurückzukehren in sein altes Leben, antwortet Zorick Umanskyi: “Hoffnung haben wir alle. Es ist eine Frage der Zeit. Erst müssen wir den Feind vertreiben und danach alles wieder aufbauen.“

Fotos: © Slivino Village, The Heart of Wine

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