Biodynamischer Weinbau und Naturwissenschaft gelten als unvereinbare Gegenpole. Oder doch nicht? Alexander Lupersböck hat mit Physik-Professor Herbert Pietschmann über eine Wirklichkeit des Weins gesprochen, die nicht wissenschaftlich beweisbar ist.
Herbert Pietschmann
Vor 100 Jahren wurde die biodynamische Landwirtschaft und damit auch der Weinbau nach dieser Methode begründet. Dabei geht es auch um „Dynamisierungen“, um das Bodenleben zu stimulieren, und „kosmische Kräfte“. Man könnte übersetzen, es geht um die Übertragung von Energien. Während kaum mehr jemand die Auswirkungen der Gravitationskräfte des Mondes auf den Erdkörper, Gezeiten und Lebewesen in Abrede stellt, erkennen viele Naturwissenschaftler die Wirksamkeit von Biodynamie nicht an, da sie mit der verfügbaren Methoden schlicht nicht nachweisbar ist. Biodynamischer Weinbau wird daher oft in die esoterische Ecke gestellt.
Neue Entdeckungen beweisen aber, dass sich Materie und Energie über beliebige Distanzen verschränken können. Für den Nachweis der Quantenteleportation erhielt der österreichische Physiker Anton Zeilinger 2022 den Nobelpreis für Physik. Darüber und die möglichen Auswirkungen auf biodynamischen Weinbau sprach ich mit Herbert Pietschmann, emeritierter Professor für theoretische Physik der Universität Wien. Seine Hauptarbeitsgebiete waren Quantenmechanik und subatomare Teilchen. Er forschte unter anderem am Kernforschungszentrum CERN.
Pietschmann ist eine Ausnahme in der naturwissenschaftlichen Szene, denn er schließt die Wirksamkeit der biodynamischen Methoden ausdrücklich nicht aus. Er sprach vor einigen Jahren sogar bei einer Tagung von Demeter-Winzern. Seine Hauptaussage: Naturwissenschaftliche Ansätze schließen einen großen Teil der erlebten Wirklichkeit aus.
Professor Pietschmann, Sie haben bei diesem Vortrag gesagt, dass jene, die Biodynamik ins Lächerliche ziehen, Opfer ihrer Denkweise würden: Alles, was wir nicht messen könnten, würde geleugnet. Stimmt das auch heute noch?
Herbert Pietschmann: Ja, da sind wir Opfer unserer Denkweise, die sich noch immer sehr an Aristoteles orientiert. Der hat Fürchterliches angerichtet. Er sagte zum Beispiel: Wo sich ein Körper befindet, kann kein anderer sein. Daher lernt man in der Schule heute noch das alte Atommodell, wo Elektronen in genauen Bahnen um den Kern kreisen und diesen nicht berühren. Wir wissen aber aus der Atomphysik, dass das falsch ist. Weiters sagte Aristoteles: Wenn sich ein Körper zuerst an einem Punkt A befindet und dann an einem Punkt B, dann muss es dazwischen eine Bahn geben, die diese beiden Punkte verbindet. Doch jeder einfache radioaktive Alpha-Zerfall widerspricht dem, denn dort gibt es keine Bahn, sondern den Tunneleffekt. Weil die moderne Physik so viele scheinbare Widersprüche bietet, lehrt man in vielen Schulen lieber etwas Falsches als gar nichts. So wird das Verständnis der Menschen immer noch in diese Richtung geprägt.
Worin genau bestehen diese Widersprüche?
Herbert Pietschmann: Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hat die Physik auf Mathematik basiert. So konnten alle Messergebnisse verifiziert werden. In der Quantenphysik, die um 1926 entstand, geht das nicht mehr. Denn: Die Mathematik ist widerspruchsfrei. In der Quantenphysik gibt es aber scheinbare Widersprüche, denn sie beobachtet Materie sowohl diskret als auch kontinuierlich. Das heißt, Materie und Energie müssen mathematisch gleichzeitig als Statistik für Teilchen und als Dichtefunktion für Wellen interpretiert werden. Das sind zwei verschiedene Dinge. Das führte zu einem totalen Umsturz in der Physik, der bis heute nicht völlig geklärt ist.
Hornkiesel und Hornmist werden in Wasser rhythmisch verrührt.
respekt-biodyn, by Andreas HoferKann man aufgrund der neuen Erkenntnisse ableiten, dass Energieübertragungen von Menschen auf andere Dinge oder Menschen möglich sind? Ein Beispiel: Man denkt: Diesen Menschen sollte ich mal wieder anrufen, und in dem Moment klingelt schon das Telefon und die Person ist dran. Als ob die Gedanken, also elektromagnetische Wellen, übertragen wurden.
Herbert Pietschmann: So etwas ist nicht darstellbar. Schon der Begriff Energie wird in der Mathematik auf das beschränkt, was sich beschreiben lässt. Der Energieerhaltungssatz – eines der wichtigsten naturwissenschaftlichen Gesetze überhaupt – beruht darauf, dass die Zeit immer gleichmäßig vergeht. Das tut sie aber in unserer Wirklichkeit nicht.
In der Relativitätstheorie vergeht sie unterschiedlich schnell.
Herbert Pietschmann: Das ist etwas anderes, und das konnte man mathematisch einfangen. Aber das ist nicht das, was wir Menschen erleben. Sie kennen die Situation: Wenn einem langweilig ist, vergeht die Zeit langsam, wenn man etwas Spannendes, Aufregendes erlebt, vergeht sie viel schneller. In der Physik aber vergeht die Zeit gleichmäßig und immer gleich schnell. Denn nur dann ist die Energie erhalten. Ich kann nur aus der Gleichmäßigkeit der Zeit ableiten, dass die Energie eine Erhaltungsgröße ist. In Wirklichkeit aber ist sie es nicht.
Ist unser subjektives Empfinden so maßgeblich?
Herbert Pietschmann: Unsere Wirklichkeit besteht aus subjektiven Erlebnissen. Und die erlebte Wirklichkeit unterscheidet sich manchmal von der naturwissenschaftlich darstellbaren. Wenn Kollegen von der Wirklichkeit reden und nicht dazu sagen, welche sie meinen - die philosophische oder die naturwissenschaftliche - dann ist das ungenau. Daher wird die philosophische Wirklichkeit oft verhöhnt.
Kann die Wirkungsweise der Biodynamik in der Landwirtschaft naturwissenschaftlich bewiesen werden – oder nur ihre Auswirkungen und Ergebnisse?
Herbert Pietschmann: Rudolf Steiner hat versucht, die Beweistechnik der Naturwissenschaften auf einem Gebiet anzuwenden, wo sie nicht zu beweisen, sondern nur durch Erfahrungen zu messen sind. Damit sind wir in der Geisteswissenschaft.
Gewisse Parameter wie Traubengewicht, Zuckergehalt und Anzahl der Regenwürmer im Boden kann man messen und naturwissenschaftlich beweisen.
Herbert Pietschmann: Ja, aber ob die Trauben und Weine besser schmecken, weil der Winzer seine Pflanzen mehr gestreichelt hat, darf man nicht naturwissenschaftlich begründen. Da muss man sagen: Das ist meine Empfindung.
Sie haben als Physiker kein Problem damit, zu sagen: Das Empfinden entscheidet?
Herbert Pietschmann: Ich bin Doktor der Philosophie, denn damals war die Physik Teil der philosophischen Fakultät. Das hat mich sehr geprägt. Also: Ja, ich habe kein Problem damit.
Vor allem das Hornmist-Präparat 500 wird von Skeptikern belächelt.
respekt-biodyn, by PittnauerWie sehen Sie die Bereiche „Stärkung mit natureigenen Kräften“ oder „Geschlossene Kreisläufe“?
Herbert Pietschmann: Die muss man nicht naturwissenschaftlich begründen. Wenn der Wein gut ist, hat es funktioniert. Wir denken zu linear, aber die Natur ist nicht linear. Ein Beispiel: Radioaktivität ist schlecht für den Menschen. In gewissen geringen Dosierungen kann sie aber Gutes bewirken, denn sonst würde man Patienten nicht in Radon-Stollen schicken. Bei kleinen Dosierungen, wie sie in der Biodynamik angewendet werden, kann manches sehr positiv wirken.
Immer feinere Messtechniken erlauben uns immer mehr Erkenntnisse. Kann es sein, dass man irgendwann auch die Wirkung des Dynamisierens oder der Homöopathie beweisen kann?
Herbert Pietschmann: Das ist eine Möglichkeit. Ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass es Dinge gibt, die nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden bewiesen werden können, denn die naturwissenschaftlichen Ansätze schließen einen großen Teil der erlebten Wirklichkeit aus.
Aus Ihrer Sicht als Wissenschaftler mit offenem Geist spricht also nichts dagegen zu sagen, dass Biodynamik funktioniert.
Herbert Pietschmann: Es bedrückt mich, dass wir Europäer uns mit unserem Entweder-Oder-Denken in eine Sackgasse manövrieren und uns damit Nachteile einhandeln. Bisher hat uns das Vorteile gebracht, weil uns naturwissenschaftliche Ansätze weitergebracht haben. Es sollte uns aber immer klar sein, dass die Naturwissenschaften nur einen Teil, einen Ausschnitt der Wirklichkeit abbilden. Das ist wesentlich. Den größeren Rest zu leugnen oder lächerlich zu machen, zeigt nur die Kleinheit des eigenen Geistes.