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Michael Lebert Prof. Dr. Michael Lebert ist Zellbiologe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wissenschaftlicher Leiter beim Weltraumforschungs-Unternehmen Space Cargo Unlimited. Mit der Mission WISE hat er Weine und Rebsetzlinge ins Weltall geschickt. Alexander Lupersböck hat mit ihm über die Ergebnisse gesprochen und erfahren, dass die Weltraumforschung an Pflanzen schon längst im Alltag angekommen ist.

Weshalb schickt man Weinreben in den Weltraum? Gibt es nicht andere, für die Ernährung wichtigere Pflanzen, an denen geforscht werden sollte?

Michael Lebert Weil Wein eine unheimlich widerstandsfähige Pflanze ist. Mich interessiert daran besonders, dass es eine Holzpflanze ist. Die sind bisher praktisch nie untersucht worden. Die Erkenntnisse sollen dann auf andere Pflanzen übertragen werden. Es spielt auch eine Rolle, dass Space Cargo Unlimited seinen Sitz in Bordeaux hat. Und das Institut des Sciences de la Vigne et du Vin (ISVV) der Universität Bordeaux ist unser Kooperationspartner.

 

Erzählen Sie uns bitte etwas über die Mission WISE.

Michael Lebert Dabei wurden 320 Stecklinge, zur Hälfte Cabernet Sauvignon und Merlot, für 312 Tage zur Internationalen Raumstation ISS in 400 Kilometer Höhe geschickt. Zudem waren zwölf Flaschen Château Petrus für 438 Tage an Bord. Die Stecklinge, also Holzabschnitte, waren im ruhenden Zustand, wie im Winter, in einer Kunststoffbox. Sie wuchsen also nicht, waren sich selbst überlassen und wurden nicht gepflegt. Das einzig Besondere an ihnen ist, dass sie der Schwerelosigkeit und der kosmischen Strahlung ausgesetzt waren. Nach ihrer Rückkehr wurden sie auf Wurzelstöcke aufgepfropft. Wir waren überrascht, dass fast alle überlebt haben und sofort wuchsen.

Im ersten Jahr lag der Fokus auf vegetativer Vermehrung. Wir wussten nicht, ob die Abkömmlinge die gleichen Eigenschaften wie die Mutterpflanzen haben würden. Jetzt wissen wir, dass es so ist. In diesem Jahr haben wir weiter vermehrt und uns darum gekümmert, verschiedene Bedingungen auszuprobieren. Ein Teil der Pflanzen steht in Erlangen, ein Teil beim ISVV in Bordeaux, auch im Freiland, weil wir sehen wollen, wie sie auf Rebläuse reagieren.

 

Im Weltraum kann Evolution sehr rasch passieren.

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Sie stellten bei diesen Reben Veränderungen des Polyphenolgehalts, der Wachstumsraten und der mit den Pflanzen assoziierten Bakterien und Pilze fest. Wie werden sie dadurch resistenter gegen die Folgen des Klimawandels und Parasitenbefall?

Michael Lebert Das erste, was wir betrachtet haben, war: Haben sich die Eigenschaften stabil geändert? Die Antwort lautet im zweiten Jahr: Ja! Die Wachstumsunterschiede im Vergleich mit der Kontrollgruppe sind im zweiten Jahr genauso wieder aufgetreten wie im ersten Jahr. Wir haben nun Pflanzen mit erhöhten Resistenzen gegen Falschen Mehltau. Das ist etwas ganz Besonderes, da vor allem der Merlot diese Resistenz von sich aus nicht hat. Gerade im biologischen Weinbau ist Merlot sehr schwierig wegen seiner Anfälligkeit für Falschen Mehltau. Daneben sahen wir, dass eine Reihe von internen Bakterien und auch externen Pilzen sehr stabilisierend gegen Mehltau und andere Schädlinge helfen.

 

Werden diese Resistenzen wegen der Schwerelosigkeit oder als Reaktion auf die kosmische Strahlung gebildet?

Michael Lebert Die sind ohnehin immer da. Wir nehmen an, dass sie aufgrund der Bedingungen im Weltraum nur verstärkt gebildet werden, weil die Rebe dort stark unter Stress steht. Das ist eine typische Stressreaktion der Pflanze. Wir nennen das “selbstgesteuerte Evolution”.

©SCU
 

Bitte erklären Sie diesen Begriff genauer.

Michael Lebert Evolution heißt normalerweise: Anpassung an neue Bedingungen. Je komplizierter die Bedingungen sind, desto schneller erfolgen die Anpassungen. Das heißt: Wenn alles stabil und gleich ist, dann passiert wenig Anpassung, weil sie nicht notwendig ist. Das sieht man ja auch in der Evolutionsgeschichte. Es gab Phasen, da passierte lange nichts, und dann wieder sehr viel in kurzen Zeiträumen. Wir haben in den vergangenen Jahren schon gelernt, dass solche Anpassungen viel schneller ablaufen, als wir das vorher gedacht hatten. Wir haben festgestellt, dass es da so etwas wie Epigenetik gibt. Das heißt: Modifikationen des Erbmaterials sorgen dafür, dass auch Eigenschaften modifiziert werden können.

Wir schicken die Pflanzen in den Weltraum, weil wir die dort herrschenden Verhältnisse nutzen wollen, um eine Art Formbarkeit herzustellen. Das heißt, die Pflanzen leiden dort unter Stress, den sie noch nie in ihrer Entwicklungsgeschichte hatten. Unterschiedliche Temperaturen, Feuchtigkeitsschwankungen, Dürre, das alles kennen sie von der Erde. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sie hier schon gewissen Strahlungen ausgesetzt waren. Aber Schwerelosigkeit kennen sie definitiv nicht.

Wir sorgen also im Weltraum für eine Ausgangssituation, die Evolution relativ rasch stattfinden lässt. Wir wissen nicht, was dabei rauskommt und wie genau die Pflanze das macht, wir sehen nur, dass sie es macht. Wir gehen davon aus, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Wuchsfähigkeit der Weinreben hat, weil das beim normalen Züchtungsprozess ja auch ständig stattfindet, nur viel langsamer. Jetzt, auf der Erde, geben wir noch spezifische Stressfaktoren dazu, zum Beispiel mehr Salz, höhere Temperatur, weniger Wasser. Damit lassen wir die Pflanze ihr Ding machen.

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Das hat einen großen Vorteil gegenüber molekularbiologischen Verfahren: Dort kann man immer nur einzelne Faktoren ändern, aber nicht alle gleichzeitig. Die Pflanze aber reagiert mit ihrem metabolischen Netzwerk. Das heißt: Wenn sich etwas ändert, ändern sich viele andere Faktoren gleichzeitig. Und wir haben nicht die vielen Einschränkungen, die gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen bestehen, vor allem in Europa.

Auffällig ist die Tatsache, dass die aus dem Weltraum gekommenen Pflanzen jetzt schon Weinreben produziert haben. Das hat mich sehr überrascht, denn das passiert normalerweise erst im sechsten oder siebten Jahr. Sie haben schon richtige Früchte, es gibt also dieses Jahr die ersten Trauben. Man sieht, dass sie wirklich um ihr Überleben kämpfen und nicht aufgeben.

Die Pflanzen machen ihr Ding.

 

Wird da gleich Wein daraus gemacht?

Michael Lebert Wir überlegen im Moment noch, ob es sinnvoll ist, aus den ersten Trauben Wein zu machen, da sich die Eigenschaften der Reben noch etwas verändern werden und dieser Wein nicht unbedingt repräsentativ sein wird. Mir wäre es sehr recht, wenn wir trotzdem eine Mikrovinifikation machen würden, ich bin neugierig.

 

Im Mai 2021 hat Christies’s in London eine der Flaschen Château Petrus von der ISS versteigert. Der Schätzwert von 830.000 Euro sollte in Weltraummissionen für Agrarforschung fließen. Stimmt das?

Michael Lebert Ja, das kommt uns voll zugute. Der Betrag wurde zwischen dem ISVV und uns aufgeteilt. Die anderen Flaschen werden zur Analyse herangezogen, denn die Ausgangshypothese des Experimentes war ja, dass die Diffussionsgeschwindigkeit von Sauerstoff für den Alterungsprozess im Wein sorgt. Um es vorsichtig auszudrücken: Im Moment sieht es nicht ganz danach aus. Aber die Analyse läuft noch, man muss mehrere Flaschen untersuchen, da die Varianz unter den unterschiedlichen Flaschen ziemlich groß ist.

 

Haben Sie den Wein gekostet?

Michael Lebert Nein. Das macht ein organoleptisches Hochamt von ausgesprochenen Spezialisten. Ich wurde dazu leider nicht eingeladen.

Die Vorfahren vieler Kulturpflanzen in China waren im Weltraum.

 

Wird man zukünftig alle Pflanzen, vor allem Neuzüchtungen, der Schwerelosigkeit aussetzen?

Michael Lebert Das findet schon statt. Die Chinesen machen das seit vielen Jahren. Da wurden Samen von verschiedenen Kulturpflanzen zu deren Raumstation geschickt und ganze Institute aus dem Boden gestampft, die sich die Eigenschaften dieser Samen anschauen. Man hat von erhöhtem Vitamingehalt, Nährstoffgehalt, Carotingehalt und Abwehrstoffen alles mögliche festgestellt. Es sieht so aus, dass fast alle Kulturpflanzen, die in China angeboten werden, von diesen Pflanzen abstammen. Das ist ein riesiger Markt. Richtig interessant wird es, wenn man Pflanzen oben blühen lässt, weil die Möglichkeiten der Änderungen noch einmal eine Größenordnung höher sind.

SCU
 

Was hat das Experiment Mission WISE gekostet?

Michael Lebert Für unser Experiment mit den Stecklingen haben wir für Vorbereitung und Weltraumflug rund 600.000 Euro ausgegeben, das sind keine außergewöhnlichen Beträge. Dabei können vernünftige Sachen rauskommen, die uns auf der Erde nützen. Ob das Webb-Teleskop, das zehn Milliarden Euro gekostet hat, auch so konkret anwendbare Ergebnisse bringt, sehe ich etwas skeptisch, so toll das auch ist. Auch wenn die Abkömmlinge solcher Pflanzen etwas teurer werden, muss man sagen: Sie blühen schon im zweiten Jahr, das bringt dann ja auch einiges. Auf einen Weinberg gerechnet sind diese Setzlinge die höheren Kosten sicher wert.

 

Es gibt immer mehr private Weltraummissionen, bedeutet das auch mehr Möglichkeiten?

Michael Lebert Ja. Man muss sagen: Wir haben riesige Probleme, das gilt nicht nur für Wein, sondern für alle Kulturpflanzen. Wir hoffen, dass wir mit dem Modellsystem Wein generelle Mechanismen für alle Kulturpflanzen entdecken und diese auf andere Pflanzen übertragen können. Es wird noch viel mehr passieren, da laufen auf verschiedenen Schienen der Biotechnologie viele Versuche. In Zukunft wird man nicht mehr so sehr auf bemannte Raumstationen setzen, sondern auf selbstfliegende Kapseln, die wie Satelliten die Erde umkreisen. Weltraumforschung ist in der Pflanzenzüchtung angekommen, nicht nur im Weinbau.

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