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"Kultweine" - verlockende Titelgeschichte in "weinwelt" vom Dezember/Januar 2009
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Ab und zu, da lass ich mich gerne verführen! Nicht nur von bestimmten Weinen, ab und zu auch von den Schlagzeilen der Weinzeitschriften. "Kultweine" prangt diesmal groß auf dem Titelbild der Dezember-Januarausgabe von "Weinwelt". Schon findet das Heft einen weiteren Käufer, mich! Auf Seite 20 die Offenbarung: "Ihre Namen sind der Klang mythischer Sirenen für
Weinliebhaber, und ihrer Aura können sich Genussmenschen schwer entziehen:
Kultweine!"
Da ich mich ausdrücklich zu der Spezies der Genussmenschen zähle, habe ich die knapp drei Seiten "verschlungen". Nicht viel Neues, aber alles - soweit ich dies beurteilen kann - durchaus richtig. Die gängigen Namen tauchen auf, von Romnanée-Conti über Pétrus und Vega Sicilia Unico bis hin zu Ornellaia . "Um diese und andere Weine, die den Herzschlag erhöhen, den Speichelfluss fördern, die Augen feucht werden und Bankkonten schrumpfen lassen, geht es hier."
Zum ersten Mal zweifele ich an meiner eigenen Definition des Begriffs Genussmensch. Denn all das, was im Artikel suggeriert wird, trifft bei mir überhaupt nicht zu. Das Herz schlägt zwar - beim
Weinkonsum - oft höher und das Bankkonto schrumpft mitunter: Grund dafür sind aber ganz andere
Weine, ganz andere Namen.
Vielleicht kann Pétrus in mir noch ein bisschen Ehrfurcht erzeugen, doch schon "Le Pin" lässt mich kühl, um nicht zu sagen kalt. Bin ich nicht normal, nicht ganz genusskonform gestrickt? Immer wenn ich nicht weiter weiß, an mir selber zweifle, erinnere ich mich an meine mühsam erworbenen Fremdsprachenkenntnisse in Latein: "Cultus" gleich Götterverehrung. Das Wort wird wohl vom Verb "colere" hergeleitet, was etwa mit "pflegen, anbauen" übersetzt werden kann. Um so mehr ich darüber nachdenke, entwickeln sich Bilder. Heidnische Bilder, wie der Tanz um das goldene Kalb. Biblische Bilder, wie die Geburt Christi, Weihnachten. Erlebte Bilder aus meiner Jugend, die eingebettet war in tausend Rituale.
Immer steht bei Kultbildern ein Objekt der Verehrung im Mittelpunkt: das goldene
Kalb, der Tabernakel in der
Kirche, Idole des Teenagers oder eben (später) auch mal eine
Flasche Wein inmitten einer andächtig schnüffelnden, schlürfenden und schluckenden Runde.
Mit einem Mal begreife ich: es braucht mehr als nur einen sogenannten Kultwein. Es braucht eine Gemeinschaft, die den Kult pflegt. Das sind wir Weinenthusiasten allemal. Besonders an Degustationen oder bei dem, was wir neudeutsch als "Wine and Dine" bezeichnen. Auch das dritte Element, das wohl zu jedem Kult gehört, ist im Umgang mit
Wein in Überfülle vorhanden: das Ritual.
Prost!
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"Ein Schluck vom Paradies" - Titelstory der "Weinwelt"
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Sind
Kultweine einfach nur "gute Weine" oder etwas mehr? Sie sind sicher zumindest "gute Weine" - denn schon das
Kalb musste
golden sein! – aber sind auch alle "guten Weine"
Kultweine? Dieser naheliegende Umkehrschluss ist wohl falsch Zum
Kultwein gehört noch etwas, nämlich der Glaube. Der Glaube, mit einem möglichst teuer erstandenen
Wein, mit einem kultverbürgenden Namen und den dazu passenden Ritualen ließe sich das
Paradies wieder auf unsere
Erde holen, quasi kaufen. Deshalb sind
Kultweine auch unverhältnismäßig teuer. Allein der Name, der Begriff, das
Etikett als Attribut des Kults, kostet weit mehr als das, was der
Wein selber, das Produkt, wert ist. Zu unseren Kultvorstellungen gehören auch materielle Werte. Was nicht teuer ist, kann auch nicht kultig sein. Davon profitieren schließlich all die
Weine, die zu Kultobjekten ernannt wurden. Von wem eigentlich? Und - wer hält den Mythos aufrecht, der die
Kultweine umweht?
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Degustation in Beaune. 100 Weinfreaks aus aller Welt sind angereist
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Weinkritiker pflegen diese Mythen, erfinden immer wieder neue Aspekte, neue Belege, neue Legenden, neue Mythenerfahrungen: "Zwölf
Flaschen des legendären 100-Punkte-Jahrgangs 1961 von
Château Latour wurden auf einer
Auktion in Hongkong mit 132.153 Euro zugeschlagen und erreichten damit einen neuen Rekordpreis." Ehrfürchtiges Staunen! Mehr als 10.000 Euro für eine einzige Flasche. Die Weinkultwelt ist um eine Legende reicher. Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Das "goldene
Kalb ist wiedergeboren!". Fast gleichzeitig mit dieser Meldung flattert der Prospekt für ein neues
Weinbuch ins Haus. "Die 1000 besten Weine". Es sind
Weine der vergangenen 200 Jahre, die von den Autoren mit den höchsten Punkten bedacht wurden.
Kultweine also! Der älteste der
Weine trägt die Jahrzahl 1774, die jüngsten 2006. Alles
Weine mit einem gewissen Kultstatus.
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Die 1000 besten Weine - Kultbuch
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Wieder einmal lass ich mich verführen: Kultstatus. Diesmal von einem Buch. Es liegt jetzt vor mir und ich blättere aufgeregt darin. Warum eigentlich? Ich mache wohl das, was die meisten Käufer tun. Nachsehen, wie viele der 1000 besten
Weine man schon getrunken hat. Vor allem aber, wie viele der Besten von den Besten bereits im eigenen Glas waren oder gar im eigenen Keller liegen. 23
Weine werden mit der "Höchstnote" (100 Punkte) bedacht. Die meisten kommen aus dem
Bordelais - nämlich 16 an der Zahl. Bereits melden auch die ersten Weinpublizisten, dass sie aus "eigener Erfahrung" das Urteil bestätigen können.
Eigene Erfahrung? Das Buch beginnt mit dem "legendären" Latour 61. Wer hat diesen schon getrunken, oder gar im eigenen Keller? Ich nicht. Und wohl die allerwenigsten
Weinfreunde auf der Welt. Im gleichen Stil geht es weiter. Mouton
Rothschild 1945,
Romanée-Conti 1945, Cheval
Blanc 1947,
Margaux 1900,
Lafite Rothschild 1870, d`Yquem 1811..... Ich gebe gerne zu, nicht einen dieser
Weine habe ich bisher getrunken, obwohl ich seit mehr als 20 Jahren fast täglich
Bordeaux trinke. Obwohl ich einen stattlichen Bordeaux-Keller habe. Obwohl..
Da taucht bei mir ein Verdacht auf: Wird da nicht etwas verwechselt: Kult und
Kultur? Vom lateinischen Wort "colere" lässt sich nicht nur der Begriff "Kult" herleiten, sondern auch "Kultur".
Kultur aber – im Zusammenhang mit
Wein – hat für mich ganz andere Dimensionen. Davon steht nichts im Buch der "1000 besten Weine" – nur vom Kult und seinen Ritualen.
Für mich bedeutet
Wein immer auch eine bestimmte Sinnerzeugung im Leben - vor allem bei seiner schönen Seite, dem Genuss.
Wein steht in einem direkten Zusammenhang mit meinen Kenntnissen von
Weinkultur (nicht Kult), den eigenen Erfahrungen, dem Wissen, den Wertvorstellungen, den finanziellen Möglichkeiten, der augenblicklichen Befindlichkeit.... Kurzum:
Wein ist für mich ein kultureller Teil meiner eigenen Welt. Und die orientiert sich nicht an den 1000 besten Weinen. Auch nicht an der Liste von Kultweinen. Sie orientiert sich an dem, was mir ein
Wein geben kann: Freude, Genuss, Genugtuung, Erfahrung, Ärger, Enttäuschung,...
Enttäuscht schlage ich das Buch zu. Nicht enttäuscht, dass ich meine eigenen "besten Weine" nicht gefunden habe. Enttäuscht, dass aus der
Kultur im Umgang mit
Wein ein Kult geworden ist.
Herzlich
Ihr/Euer
Peter (Züllig)