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Der Fachbereich einer Hochschule wird ab dem 1. Januar 2013 eine eigene Hochschule. Die Nachricht klingt langweilig, doch sie ist eine kleine Sensation. Seit 1914 ist in Hessen nur eine einzige staatliche Hochschule gegründet worden: 1971 in Kassel. Nun wird aus dem Fachbereich Geisenheim der Wiesbadener Hochschule Rhein-Main die Hochschule Geisenheim. Auf Englisch ist der Name genauso schlicht: Geisenheim University. Was auf den ersten Blick wie ein staubiger Verwaltungsakt aussieht, ist aber das Ergebnis eines heftigen politischen Streits zwischen beiden Rheinufern. Obwohl es um eine der wichtigsten und renommiertesten europäischen Ausbildungsstätten für Weinbau geht, spielt der Wein dabei keine Rolle.

Zum Wintersemester 2009/2010 hatte Rheinland-Pfalz einen eigenen Weinbau-Studiengang eingerichtet mit den Fachhochschulen Ludwigshafen, Bingen und Kaiserslautern als Partnern in der Lehre. Das größte Weinbau betreibende Bundesland hatte sich aber auch seit 1987 per Staatsvertrag an der Kofinanzierung der 1872 gegründeten Forschungsanstalt Geisenheim mit zuletzt 1,3 Millionen Euro beteiligt. Etwas mehr als zehn Millionen Euro zahlte das Land Hessen für den Betrieb der international hoch renommierten Weinbau-Institution mit rund 320 Mitarbeitern, darunter 33 Professoren, rund 30 weitere Wissenschaftler sowie 1.100 Studierende. Etwa die Hälfte von ihnen kam in den vergangenen Jahren aus den Anbaugebieten Rheinhessen oder der Pfalz. Also aus Rheinland-Pfalz.

Ende 2007 sagte der rheinland-pfälzische Weinbauminister Hendrik Hering (SPD) in einem Interview mit der Allgemeinen Zeitung (AZ) in Mainz: "Wir werden einen dualen Studiengang anbieten, den es so noch nicht gibt und der daher auch keine Konkurrenz zu Geisenheim ist". Clemens Klockner, Präsident der damaligen Fachhochschule Wiesbaden – sie bekam erst 2009 ihren heutigen Namen – reagierte darauf reichlich verärgert. Er bezeichnete die Idee als ein „aus rheinland-pfälzischem Patriotismus geborenes Prestigeobjekt“. Politische Beobachter halten dieses Argument für richtig. Schon zur Amtszeit des früheren Weinbauministers Günter Eymael (FDP), der klar zu seinem eigenen Studienort Geisenheim gestanden habe, sei das Thema in hochrangigen Gremien des Ministeriums immer wieder diskutiert worden, sagt einer, der die Befindlichkeiten gut kennt. Es ging damals nicht um Wein und einen guten Studiengang. Es ging um Profilierung, und daraus wurde eine harte Auseinandersetzung zwischen einer schwarzen und einer roten Landesregierung.

 

Eva Kühne-Hörmann% Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst (Quelle: HMWK)

Knapp zwei Jahre lang wurde die Vorbereitung des neuen Weinbau-Studiums in Neustadt/Weinstraße von vielen Beteiligten und der Opposition im Landtag ruhig, aber argwöhnisch beobachtet. Viele reagierten schulterzuckend bis wenig interessiert, nur in den Weinbau-Verbänden und Institutionen wurde debattiert. Im Juni 2010 folgte die dicke Überraschung: Das Land Rheinland-Pfalz kündigte kurzfristig den Staatsvertrag zur Kofinanzierung von Geisenheim zum Jahresende. Hering strich 600.000 Euro aus dem Etat und wollte über die Verwendung des übrigen Geldes mit der hessischen Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) neu verhandeln. Der rheinland-pfälzische Studiengang solle mit Geisenheim eng verzahnt werden, so eine seiner Forderungen. Die Forschung wollte Hering zudem an „Projekten und direkten Anwendungen orientieren“. Er brachte sogleich das damals neue Steillagenzentrum in Bernkastel-Kues an der Mosel in die Debatte. Die Antwort folgte umgehend: Kühne-Hörmann bewertete die Kündigung des Staatsvertrages als „unfreundlichen Akt“ – man hätte auch sagen können, als Kriegserklärung. Es krachte auch hinter den Kulissen. Hering beschwichtigte: „Wir wollen den Dialog weiterführen.“ Doch neu verhandelt wurde das Thema zwischen den Bundesländern nicht mehr.

Stattdessen suchte Hessen nach neuen Wegen, um Geisenheim zu erhalten und neu zu positionieren. „Es gab zunächst sechs bis acht Optionen, von denen zwei übrig blieben: Entweder die Integration von Forschung und Lehre in die Hochschule Rhein-Main oder die Gründung einer eigenen Hochschule“, erinnert sich Prof. Otmar Löhnertz, der Dekan des Fachbereichs Geisenheim. Der Fachbereich und das Ministerium entschieden sich für den Weg in die Eigenständigkeit als Hochschule Geisenheim. Auch der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Gremium Deutschlands, befürwortete die Gründung. In seinem über 80-seitigen Gutachten sind zwar viele Bedenken, Forderungen und Gegenargumente aufgelistet, doch für die 32 Experten überwog die Perspektive der Zusammenführung der international renommierten Forschungsanstalt mit der Lehre. Denn ein Geisenheim-Abschluss ist im Weinbau der Goldstandard für junge Winzer.

 

Prof. Otmar Löhnertz% Dekan des Fachbereichs Geisenheim (Quelle: Campus Geisenheim)

Der Fachbereich und die Forschungsanstalt mussten innerhalb von nur wenigen Monaten im laufenden Betrieb auf die Eigenständigkeit vorbereitet werden. „Es ging im laufenden Semester um die Gültigkeit der Studentenausweise und der Nahverkehrstickets, neue Server, veränderte Verwaltungsstrukturen, um Arbeitsverträge, das neue Logo, die Urkunden und hunderte weitere Details“, zählt Löhnertz auf. Doch die hohe Arbeitsbelastung zusätzlich zum laufenden Betrieb mit Seminarsitzungen, Arbeitsgruppen, Planungsausschüssen, Strategiekommissionen und mehr nimmt der letzte Dekan des Fachbereichs Geisenheim gelassen: „Es ist eine einzigartige Möglichkeit, die wir nutzen werden. Jetzt gilt's!“ Die neue Hochschule Geisenheim gilt als erste deutsche „Hochschule neuen Typs“, die der Wissenschaftsrat definiert hat. Sie zeichnet sich durch eine spezialisierte Struktur und ein Angebot aus, das nicht mehr klassisch Universität oder Fachhochschule ist, sondern aufgrund seiner Fachbezogenheit dazwischen liegt. „Wir müssen nun auf zwei Ebenen arbeiten. Zum einen müssen wir die Umstellung des Lehrbetriebs ohne Einschränkung der Studierenden schaffen und parallel die Visionen, Schwerpunkte und Strategien für unsere Zukunft erarbeiten“, sagt Löhnertz. Ein wichtiger Bestandteil, um Geisenheim neu auszurichten, ist das Promotionsrecht. Bislang bekamen die Geisenheimer Studenten ihren Doktorentitel von einer Partner-Universität verliehen, etwa der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Nun arbeiten Löhnertz und seine Professoren an einer eigenen Promotionsordnung, die zunächst weiter mit Partnern Anwendung finden soll. Der Wissenschaftsrat schreibt in seinem Gutachten, es werde mindestens fünf Jahre dauern, bis Geisenheim der eigene Herr des Verfahrens sein wird. Doch Löhnertz sieht das anders: „Wir erhalten nun ein eigenes Promotionsrecht. Wie und in welchen Zeiträumen wir damit umgehen, ist in unserer Verantwortung.“ Er betont, dieses Recht werte die Hochschule im Wettbewerb deutlich auf. Professoren mit hoch interessanten Qualifikationen würden damit womöglich einfacher überzeugt werden, in Geisenheim zu arbeiten. Mit vier weiteren Professorenstellen plant Löhnertz in den kommenden Jahren.

 

Das Verwaltungsgebäude der Forschungsanstalt Geisenheim und des Fachbereichs Geisenheim (Quelle: Wikipedia / M. Deresch)

Zudem werde man als eigene Hochschule die internationale Kooperation ausweiten und auch in der Projektförderung neue Wege gehen. „Als Hochschule neuen Typs haben wir nun prinzipiell die Chance, an Forschungsgeld des Bundes zu kommen. Dieser Weg war uns bislang versperrt. Aber das ist für uns Neuland“, sagt Löhnertz. Ihm sei es wichtig, künftig nicht ein universitäres Lehrbuchwissen zu vermitteln, das man auch im Internet lesen könne. Weinbau und die verwandten Fachgebiete benötigten wissenschaftlich anerkannte Erkenntnisse, „zu deren Gewinn wir auch die Gummistiefel anziehen müssen“. Der Praxisbezug der Bachelor-Ausbildung und die künftigen Master-Studiengänge sollten den Studenten vor allem „das Denken beibringen“. Otmar Löhnertz betont: „Wir wollen eine akademische Ausbildung anbieten, die ihren Namen verdient, und zugleich bodenständig bleiben.“ Finanzierung, Drittmittel, Förderungen, Prüfungsordnungen, wissenschaftliche Schwerpunkte – das alles ist weiter in der Diskussion. Die politische Debatte zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz spielt dabei keine Rolle mehr. „Sollte das Thema wieder auf die Tagesordnung kommen, werden wir unsere Positionen offensiv vermitteln“, erklärt Löhnertz. Doch damit rechnet niemand. Schon im Dezember 2011 – nur ein Jahr nach dem großen Krach zwischen den Ministerien – schloss Geisenheim mit der Weinbautechnikerschule im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach eine Kooperationsvereinbarung, durch die junge Winzer nach ihrer Ausbildung ein Studium mit Bachelor-Abschluss in Weinbau und Oenologie beginnen können. Dies stelle „eine interessante Perspektive für den beruflichen Werdegang dar“, heißt es in einer Pressemitteilung des Campus Geisenheim. Die Kooperation sei „derzeit einzigartig und beispielhaft für eine flexible Gestaltung innerhalb des deutschen Bildungssystems“. Es klingt, als habe es nie einen Streit gegeben, und als gäbe es die duale Ausbildung in Neustadt nicht. Am 15. Januar kommt der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zur Eröffnungsfeier der Hochschule Geisenheim. Ohne die Kündigung, den Streit und die Auseinandersetzung würde er keinen Besuch machen. Das Weinbauministerium in Rheinland-Pfalz berichtet ausführlich über die Erfolge seines Studiengangs. Irgendwie sind alle nun Gewinner. So funktioniert Politik. Auch beim Wein.

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