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In der vom Christentum geprägten Kultur nehmen Reben, Rebberg und Wein einen ganz zentralen Platz ein. Rund 500 Mal werden sie in der Bibel in ganz unterschiedlichen Bedeutungen und Zusammenhängen zitiert. Wer sich für Weinkultur interessiert, kommt an der christlichen Symbolik und Tradition nicht vorbei. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn sich Überlieferung, Brauchtum und Frömmigkeit an christlichen Festen wie Ostern verbinden. 

 

 

Berühmtes Relief von "Christus in der Kelter"% in der kleinen Kreuzkirche von Ediger-Eller

Schon vor Jahren bin ich an der Mosel, in Ediger-Eller, hinaufgestiegen zur Kreuzkirche, hoch über den Weinbergen, wo eines der seltsamsten christlichen Symbolbilder, Christus in der Kelter, zu finden ist. So drastisch und direkt wurde die Verbindung von Christi Blut und Wein in der Kunst kaum je dargestellt. Kein Zufall, dass dieses Steinrelief gerade in einem der bedeutendsten Weingebiete Deutschlands entstanden ist. In einer ganz andern Weingegend, im fränkischen Volkach, sind wir – drei Weinfreunde – an einem Sonntagmorgen mit den Gläubigen auf dem alten Kreuzweg hinaufgepilgert zu „Maria im Weingarten“, einer spätgotischen Wallfahrtskirche mitten in den Weinbergen. Am ersten Sonntag im Juni feiert ein südfranzösisches Weindorf in seiner kleinen mittelalterlichen Dorfkirche das Fest seines Patrons „Grand St.Jean“. Im Forum habe ich vor Jahren berichtet: „Wenn Jeanne d’Arc in Stein gehauen die Eintretenden empfängt, die kleine Kirche zum bersten voll ist und der Pfarrer seine Predigt unterbricht, weil eine verspätete Winzerdelegation in bunten Trachten mit erhobenen Fahnen die Kirche betritt, dann ist man am Fest der Winzer in Faugères.“

 

 

 

 

"Maria im Weingarten" in Volkach% eine spätgotische Wallfahrtskirche mitten in den Weinbergen

 


Dies sind unvergessliche Erlebnisse – Eindrücke eines kulturellen Erbes –, die zeigen, wie sehr christliche Symbolik das Weinjahr begleiten und prägen kann. Mit den Römern ist das Christentum nordwärts gezogen, mit ihnen eine neue Art und eine neue Bedeutung von Weinkultur. Vielleicht sind wir Weinliebhaber uns heute gar nicht mehr bewusst, welch großen Anteil das Christentum an der Beliebtheit des Weins hat. Im zentralen Ritual der Christen, im Abendmahl, verkörpern Brot und Wein die Vereinigung mit Chrisus und sind so in der ganzen christlichen Welt über Jahrhunderte bis heute – je nachdem als Sinnbild oder heilige Handlung – allgegenwärtig und lebendig geblieben. Gerne gebe ich zu, dass beim Wein für mich nicht nur Qualität, Traubensorten, Winzer, Vinifikation, Terroir etc. von Bedeutung sind, sondern auch die Kultur, in welche die Weine eingebettet sind. Garagenweine, sie mögen im Geschmack noch so überwältigend sein, sind mir deshalb zuwider. Auch mit den hochtechnischen Anlagen moderner „Weinfabriken“ habe ich meine liebe Mühe, obwohl das Resultat so manchen traditionell gemachten Wein weit überbietet. Für mich gehören zum „Naturprodukt“ Wein auch die Kultur, die Tradition uns vor allem der Mensch in seinem Umfeld. Wenn ich einen Winzer kenne, spüren kann, wie er denkt, wie er fühlt, welches seine Wertvorstellungen, seine Wurzeln sind, bekommen seine Weine eine weitere, neue Dimension; Wein wird so zum kulturellen Erbe, das ich genau so bewundern kann wie eine gotischen Kathedrale, eine ottonische Kapelle oder einen geheimnisvollen Menhir.

 

 

 

 

Karfreitagsliturgie in der Kirche Saint-Sever in Agde

 

Zum Wein gehört deshalb auch die Kultur, nicht zuletzt die christliche: „Bei seinem letzten Mahl mit seinen Jüngern teilt Jesus Brot und Wein. Der Wein wird zu einem Sinnbild für Gemeinschaft, Heilung, Freude und für das kommende Gottesreich.“ Dies ist eine Vorstellung, die uns trotz langer christlicher Tradition nicht mehr berührt oder in unserer säkularisierten Welt in den Bereich „Privatsache“ verdrängt wird. Trotzdem sind die Geschichten, Legenden und Glaubensinhalte der christlichern Heilslehre für die Entwicklung und Bedeutung des Weins wohl viel wichtiger als wir uns denken. All dies wurde mir wieder bewusst bei einer christlich-folkloristischen Tradition am Karfreitag in der Altstadt von Agde, einer südfranzösischen Kleinstadt, die stolz ist auf ihren griechischen Ursprung. Agde ist auch schon lange keine Weingemeinde mehr; den etwas vergammelten mittelalterlichen Stadtstrukturen vorgelagert ist nämlich eine riesige „Neustadt“ – möglichst nahe am Strand – in der im Sommer mehr als 200‘000 Menschen leben und für ein paar Wochen Meer und Sonne geniessen.

 

 

 

 

Eingehüllt in Weihrauch tragen die Winzer als erste das schwere Kreuz

 

Agde lebt also vom Tourismus, wie so mancher Ort am Mittelmeer. Außerhalb der Saison aber – dies wird von den sonnenhungrigen Touristen kaum wahrgenommen – werden die Wurzeln im Leben südfranzösischer Gemeinden, Dörfer und Städte immer wieder sichtbar, erlebbar. Zum Beispiel am Karfreitag. Da wird in Agde seit dem 15. Jahrhundert (mit einigen Unterbrechungen) ein 80 Kilo schweres Kreuz mit einer wunderbaren Christusstatue aus jener Zeit durch die engen Gassen getragen, abwechselnd von Winzern, Schiffern und Fischern. Was äußerlich eher wie ein folkloristischer Anlass – vom Verkehrsverein organisiert – anmutet, ist bei genauerem Hinsehen ein kulturelles Bekenntnis zu dem, was die Region prägt: Wenn die kräftigsten Winzer, an ihren dunkelgrünen Jacken mit der Aufschrift “Cave Cooperative“ zu erkennen, das schwere Kreuz auf die Schulter nehmen, begleitet von ihren Frauen in Winzer-Trachten, den Fischern in ihren blaugestreiften Leibchen und den ganz in Weiss gekleideten „Jouteurs“ (traditionelles Kampfspiel auf dem Wasser), wird etwas von dem sichtbar, was die Menschen hier während Jahrhunderten begleitet und ihnen eine Existenz ermöglicht hat: Wein, Fische und Wasser.

 

 

 

 

Genossenschaftskellerei in Agde - erbaut im Jahre 1936

 


Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass in diesem längst vom Tourismus dominierten Ort (zusammen mit der Nachbargemeinde) noch immer 450 Winzer Rebland bewirtschaften und ihre Ernte im „Cave Henri de Richemer“ ausbauen lassen, dass hier noch 1‘500 Hektaren Reben stehen und 300‘000 Flaschen jährlich abgefüllt werden. Bis heute habe ich dies nicht wahrgenommen; seit gut dreißig Jahren bin ich so oft im Sommer an der Genossenschaftskellerei vorbeigefahren, habe dabei teilnahmslos nur festgestellt, dass diese äußerlich immer unansehnlicher wird und verfällt. Dass darin und dahinter aber eine moderne Anlage zur Vinifikation und neuzeitliche Verkaufsräume entstanden sind, konnte ich nicht ahnen. Noch nie habe ich nämlich einen Agder Wein gekauft, noch nie einen getrunken.

 

 

Terret - eine der ältesten Rebsorten im Süden Frankreichs

Auch ich habe mich an den bekannteren Namen, an den berühmten Weinanbaugebieten (AOC-Appellationen) des Südens orientiert.Doch als die Winzer – begleitet von gut 200 Agder Bürgern (Fremde gibt es zu dieser Zeit noch kaum, höchstens als erstaunte Zuschauer) – das schwere Kreuz auf sich nahmen, wurde ich an die verdrängte, fast vergessene Mythologie erinnert:. in Agde, der griechischen Stadt (wie die Touristenwerbung verkündet) wird in dieser Nacht nicht nur Christi Tod gedacht, unausgesprochen wird der klassische Mythos gegenwärtig, in dem Wein durch Dionysos den Menschen als berauschende, göttliche Kraft erfasst.

Am gleichen Tag – das entnehme ich der Zeitung – wird auch ein besonderer Wein vorgestellt, der jetzt von der Genossenschaft neu lanciert wird. „Terret“, aus einer der ältesten Trauben, die einmal von den Griechen und Römern angebaut und nach Frankreich gebracht wurde und nur hier, im Süden, überlebt hat. Als moderne Cuvée steht sie für das, was eine Jahrhunderte alte Tradition im Languedoc hinterlassen hat. Zufall, bewusstes Marketing oder ein wichtiges kulturelles Erbe? Jedenfalls ist es etwas, das noch Platz hat in einem vom Tourismus geprägten Umfeld, wo Wein vorwiegend im Supermarkt eingekauft wird. Der von den Winzern getragene Christus und „Terret“, der erste Wein der Griechen, sie haben durchaus miteinander zu tun. Man muss die Beziehung nur erkennen. 

HerzlichIhr/Euer

Peter (Züllig)

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