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Auch in der Nacht bewahrt der Herbst seine Farben (Foto: P. Züllig) |
Herbsttag
geschrieben 1902 von Rainer Maria Rilke
Herr es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
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Das Grab von Rainer Maria Rilke in Raron (Foto: P. Züllig) |
Das Bild eines Herbsttages, Gedanken über das Suchen nach einem erfüllten Leben. Dass hier – in nur drei Strophen – auch der Wein auftaucht, ist doch beachtlich. Und es ist kein Reim, wie er in Spott- und Trinkliedern so oft zu finden ist: Wein, Sonnenschein, kein, Rhein, betrunken sein... Es sind vielmehr der Rhythmus, der Sprachklang, die Variationen in den Formen, die Alliterationen, die besinnlichen Gedanken, die das Gedicht auch nach mehr als hundert Jahren aktuell, ja heutig machen und wohl noch lange und immer wieder hervorgeholt werden. Vor allem, wenn es um Reife, Vollendung und Suche nach dem Sinn des Lebens geht.
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Heida-Wein aus dem Bergkanton Wallis (Foto: P. Züllig) |
Zum Rhythmus und zu den Gedanken des Rilke-Gedichts passt der Heida-Wein – das ist gar nicht so abwegig – mit seiner Tiefe und seiner unglaublichen Frische, mit ausgeprägten Aromen von Zitrus, die sich in der Süße spiegeln, und vor allem mit seiner Nachhaltigkeit und unglaublich prägnanten Länge.
Vielleicht ist gerade der Herbst die Zeit, in der sich die Freude am Genuss mit Poesie am besten vermählen kann. Es muss nicht Rilke sein, es gibt noch so viele mehr oder weniger große Poeten, die dem Wein Reime gegönnt haben. Shakespeare zum Beispiel, mit zwingender Logik: „Wer Wein trinkt, schläft gut. Wer Wein trinkt, sündigt nicht. Wer nicht sündigt, wird selig. Wer also Wein trinkt, wird selig.“ Doch Shakespeare war ja eher Dramatiker als Lyriker. Holen wir Bestätigung für das Thema bei Schiller: „Trink ihn aus, den Trank der Labe, und vergiss den großen Schmerz! Wundervoll ist Bacchus’ Gabe, Balsam Für’s zerriss’ne Herz!“ Oder widmen wir uns doch einen Augenblick der Volksseele (auf einer Ofenkachel verewigt, Autor unbekannt): „Der Gott, der die Berge begipfelt, Der Gott, der die Buben bezipfelt, Der Gott, der die Mädels gespalten, Der Gott möge den Wein uns erhalten.“
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Blick von Rilkes Grabstätte ins Unterwallis (Foto: P. Züllig) |
Doch kehren wir zurück zu Heida, zu Raron, zum Grab von Rilke, zu einem seiner Spätwerke. Wie bei einem guten Wein gibt es auch da viel zu rätseln. Das Schöne liegt meist im Unausgesprochenen. Dem Dichter soll der Schluss Kolumne vorbehalten sein:
Manchen ist sie wie Wein, der das Glänzen des Glases
herrlich hinzunimmt in sein innres Geleucht,
andere atmen sie ein wie die Blüte des Grases,
oder sie schwindet vor ihnen, verfolgt und verscheucht.
Vielen erneut sie das heimliche Hören und steigert
jeden Anklang an sie der geklärten Natur.
Schmähe sie keiner, dem sie sich scheinbar verweigert,
der nur den Raum ihrer Wohnung erfuhr;
ja nur das Tor, den Bogen, den plötzlich bekränzten,
ja nur den Weg, von dessen Biegung es heißt,
dass sie die letzte sei vor dem immerbeglänzten
Haus, wo die Herzen, getränkt und gespeist,
stark sind und sicher. Wo sie das sind, was sie meinten,
wenn sie verlangten nach Tag und Ertrag
und aus langen, verlorenen oder verweinten
Nächten aufschlugen mit schrecklichem Schlag.
Denn auch jene, nichts als sich Sehnenden leisten,
nur unscheinbar verteilter, den ganzen Bezug;
ihre stark glänzenden Herzen umkreisten
Welten aus Nacht in vollendetem Bug.
Herzlich
Ihr/Euer