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Dieses Buch ist nicht neu im Sinne von druckfrisch. Erschienen ist es 2009, aber es widmet sich einen geradezu zeitlosen Thema und ist insofern weiterhin aktuell. “Geheimnisvoller Schwefel” heißt das kompakte Werk, und Autor Willi (mit vollem Namen: Friedrich Wilhelm) Reisinger geht darin der im Untertitel formulierten Frage nach, ob das besagte chemische Element “Fluch oder Segen für den Wein” ist.

Reisinger ist mit “Erfahrungen in drei verschiedenen Berufssparten, dem Weinbau, dem Apparatebau und der chemischen Industrie” (wie er auf Seite 11 schreibt) seit Ende der 1970er Jahre zum Experten für Mostentschwefelung avanciert, und das Buch ist so etwas wie die Dokumentation seines Lebenswerks, mindestens aber “ein lange gehegter Herzenswunsch” (Seite 92). Für ein Buch mit knapp 100 Seiten sind neben dem Vorwort des Autors drei Geleitworte (vom Landrat des Landkreises Mainz-Bingen, vom Abteilungsleiter Weinbau & Önologie am DLR Rheinpfalz sowie vom Vater von Reisingers Schwiegersohn) recht viel; insgesamt füllt diese vierteilige Einleitung allein elf Seiten. Die Geleitworte – in denen der Autor mal “Herr Reisinger”, mal “mein Freund Willi” genannt wird – wirken mitunter etwas betulich, doch sie beleuchten den Hintergrund des Buchs und des Autors in sinnvoller Weise. So wird bereits am Anfang der Lektüre deutlich, was sich auch generell im Schreibstil zeigt: “Geheimnisvoller Schwefel” ist, wenngleich Sachliteratur, ein sehr persönliches Werk, das gleichermaßen mit viel Sachverstand und Hingabe verfasst wurde.

Praxiswissen für den interessierten Laien aufbereitet

“Diese kleine Broschüre befasst sich mit dem Schwefeleinsatz bei der Erzeugung und Lagerung von Wein”, resümiert Reisinger in seinem Vorwort (Seite 10). Und diesem Anspruch wird das Buch voll gerecht. In über 70 kleinen Kapiteln betrachtet Reisinger die chemischen Eigenschaften des Elements Schwefel, die Geschichte der Anwendung von Schwefel in der Lebensmittelherstellung, die Wirkung von Schwefel auf den Organismus von Lebewesen und den Einsatz von Schwefel in Landwirtschaft und Industrie. Ausführlich geht er auf die Weinbereitung (besonders Gärung und Schönung) ein und erläutert, welche Rolle der Zuckergehalt des Weins spielt und welche Grenzwerte für schweflige Säure im Wein bestehen. Er beschreibt verschiedene Arten der Schwefelung und räumt mit Verweis auf biogene Amine im Wein mit dem Vorurteil auf, dass der Schwefel nach dem Weingenuss Kopfschmerz verursache. Auch das Weinbezeichnungsrecht, die Süßreserve und deren Haltbarmachung sowie der Klimawandel kommen zur Sprache.

Reisinger erklärt anschaulich, praxisnah und verständlich, doch sind chemische Grundkenntnisse bei der Lektüre des Buchs mindestens von Vorteil. Das Wissen, was höherwertige Alkohole sind, wird beim Leser ebenso vorausgesetzt wie das darüber, was bei der Veresterung passiert. Ob man von “Trauben-, Gär- und Lagerbukett” (Seite 41) spricht oder lieber von Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen, ist Ansichtssache – sachlich falsch erscheint jedoch die Aussage, dass das Lagerbukett “auch als sekundäres Traubenbukett bezeichnet” werde (Seite 41); das sekundäre Traubenbukett umfasst die Aromastoffe, die während der Verarbeitung der Trauben, aber noch vor der Gärung entstehen. Reisingers Stil ist zuweilen etwas onkelhaft-erzählerisch, er schreibt in der Ich-Form, nimmt oft Bezug auf eigene Erlebnisse und tritt mit dem Leser in einen fiktiven Dialog. Er schließt das Buch sogar mit einer Grußformel wie bei einem Brief (Seite 88). Für ein Sachbuch mag das gewöhnungsbedürftig sein, doch auf diese Weise fühlt man sich als Leser an die Hand genommen, als säße man dem Autor gegenüber und lasse sich im Plauderton in die Geheimnisse der Weinchemie einführen.

Fazit: Schwefel muss sein

“Geheimnisvoller Schwefel” ist ein nützliches Kompendium für alle, die sich für die Chemie des Weins und speziell für die Rolle des Schwefels interessieren. Wie gesagt, gewisse chemische Kenntnisse helfen beim sofortigen Verständnis aller geschilderten Vorgänge, doch insgesamt beschreibt Reisinger die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge in einem angemessenen Detailgrad. Die Quintessenz, nämlich die vier Funktionen des Schwefels bei der Weinbereitung und -lagerung, fasst Reisinger gleich zweimal zusammen (auf Seite 36 und Seite 90): Schwefeldioxid (das in Wasser gelöst schweflige Säure ergibt, deren Salze wiederum Sulfite heißen) bindet Sauerstoff, hemmt Enzyme, entzieht Mikroorganismen die Lebensgrundlage und beeinflusst den Geschmack des Weins. Insofern sei Schwefeldioxid ein einzigartiger Konservierungsstoff, zu dem es aufgrund seiner Multifunktionalität und Effektivität keine Alternative gebe: “... der Schwefel im Wein ist kein Zusatzstoff, sondern ein notwendiger Hilfsstoff!” (Seite 91)

Dadurch, dass das Buch bereits vor vier Jahren erschienen ist, fehlen naturgemäß zwei neuere Gesichtspunkte: zum einen die EU-Ökowein-Verordnung (Kellerrichtlinie) von 2012, die auch eigene Sulfit-Grenzwerte für Bioweine enthält, sowie zum anderen der verstärkt zu beobachtende Trend zu ungeschwefelten Weinen (so genannten Natur- oder Experimentalweinen). Diese Punkte sind jedoch für den Grundsatzcharakter des Buchs nicht wesentlich, und in jedem Fall ist Willi Reisinger eine umfassende, eingängige und zeitgemäße Aufarbeitung des Themas Wein und Schwefel gelungen.

Willi Reisinger
Geheimnisvoller Schwefel
Verlag Willi Reisinger
Druckerei Wolf, Ingelheim
Juni 2009
ISBN 978-3-00-026095-7
€ 9,95

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