wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

„Geboten sind fünftausendneunhundert für eine Flasche Côte de Nuits Grand Cru 1976 der Domaine Romanée-Conti... zum Ersten... zum Zweiten und – sechstausend sind geboten... zum Ersten... zum Zweiten... und zum Dritten! Lot 609 geht an Nummer 245.“ Sechs Stunden sitze ich in der zweiten Reihe, bis auch das Lot 1096 ausgerufen ist. Es hat keinen Käufer gefunden. Auch die schrittweise Senkung des Ausrufpreises (holländisches Versteigern) – bis hinunter auf 10 Franken – hat kein Gebot gebracht. Kehrausstimmung, die Schlacht ist geschlagen. In den vergangenen sechs Stunden wurde viel Geld umgesetzt. Mehrere hunderttausend Franken, gar eine Million, ich habe nicht nachgerechnet. Jedenfalls war es weniger als bei den letzten Auktionen. Das Geschäft stockt, es geht nicht mehr so flott voran.

Die Einsamkeit des Auktionators – Franz J. Wermuth – vor der Auktion (Foto: P. Züllig)

Noch nie ist mir so deutlich bewusst geworden, dass Wein auch eine Ware ist, eine Handelsware. Mehr noch: Aus der Begierde, einen Wein zu besitzen, wird ein Geschäft gemacht. Ich überlege mir: Wer diesen Wein je trinken wird, „vernichtet“ mit einer Flasche das Monatseinkommen von so mancher Angestellten, ja, das Jahreseinkommen einer Mehrheit von Menschen in Entwicklungsländern. Ist dieser Wein überhaupt noch da, um getrunken zu werden? Ich kann es mir nicht recht vorstellen, und doch: Immer mehr dieser teuren Weine verschwinden – nicht nur im Keller oder im Lager von Händlern. Für solche und ähnliche Gedanken ist keine Zeit – trotz der Eintönigkeit des Geschehens – dreihundert Franken zum Ersten... zum Zweiten und... zum Dritten, das Hämmerchen saust nieder. Schon kommen Zwölferkisten aus dem BurgundPommard: Côte de Baune von Léon Violland, ebenfalls aus den 70er Jahren – unter den Hammer. Sie gehen schlecht weg! Von acht Kisten gerade mal zwei. Und zu welchen Preisen! Die 76er-Kiste für 160 Franken, 15 Franken die Flasche, gleicher Jahrgang wie der Romanée-Conti.

Kritisches Überprüfen einiger weniger „Muster“ des Angebots% Stimulatoren für die Saalgebote (Foto: P. Züllig)

Die Klassengesellschaft lässt grüßen! Das Preis-Verhältnis vom Kleinen zum Großen: 1 zu 400. Ein Spiegel unserer Gesellschaft. Dies alles rauscht an mir vorüber. Das eigentliche Geschehen findet gar nicht im Saal statt. Hier sehen und erleben wir nur die Spitze des Eisbergs, nur ein Siebentel des Handels. Der ist nämlich anonymisiert. Schriftliche Gebote, die nur der Auktionator kennt und von ihm ins Spiel gebracht und überwacht werden. All die teuren Lots werden einer anonymen Nummer zugeschlagen: ein Dutzend Lafite-Rothschild, Jahrgang 2000 zu 19.500 Franken oder gar eine Sammlung Mouton-Rothschild von 1947 bis 1962 – geschätzt zwischen 40.000 und 55.000 Franken – 48 Flaschen zu 38.000 Franken. Wenn dazu – wie immer – noch die Lotgebühr, das Aufgeld und die Mehrwertsteuer gerechnet werden (gut 18 Prozent), kostet das Lot den Ersteigerer 44.900 Franken, 935 die Flasche. Knapper Kommentar des Auktionators: „War auch schon teurer!“ oder „Geht in den Fernen Osten.“ oder „Landet indirekt in Russland.“ Trotz allem ein Schnäppchen! Dies alles zieht an mir vorbei, ohne Emotionen, sachlich kühl, als würde man gerade ein Butterbrot streichen.

Teure Begehrlichkeit – Präsentation einer Mouton-Rothschild-Sammlung auf einer Auktion (Foto: P. Züllig)

Inzwischen sind kaum mehr 15 Leute im Saal. Fast alles Männer. Weinauktionen sind eine der letzten Männerdomänen. Härte und Risikofreude werden verlangt, sonst ist man nicht im Geschäft. Doch die Zeit der offenen Schlacht ist längst vorbei. Noch vor wenigen Jahren hat man sich im Saal mit Geboten geprügelt, einander nichts gegönnt, die Preise hochgetrieben, im offenen Schlagabtausch, kistenweise, oft weit über den oberen Schätzungspreis. Ich habe mir immer gedacht: Warum sprechen sich die Bieter nicht ab? Mal eine Kiste für den, mal eine Kiste für jenen – die Ware wäre oft zum halben Preis erhältlich gewesen. Aber nein, es wurde kein Meter Terrain preisgegeben. Kampf bis zum Letzten. Dabei sind es immer die gleichen Namen, die gleichen Weine, die gleichen Jahrgänge, die so hart umkämpft waren. Und der Rest? Der ging sang- und klanglos weg, meist anonym, ab und zu auch bei kleinen Scharmützeln im Saal. Sammler oder Schnäppchenjäger. Doch diese Zeiten sind vorbei. Im Saal herrscht wieder gesittete Ordnung, geradezu Langeweile.

Irgendwann – so in der Halbzeit – gibt es gratis Champagner (Barnaut 100% Grand Gru) und Häppchen, für alle, die ausgehalten haben. Die Stimmung ist gedämpft, Kommentar eines Auktions-Habitués: „Der Markt ist kaputt!“ Tatsächlich sind die Schnäppchenjäger verschwunden, die Sammler zieren sich. Das Geschäft wickelt sich weitgehend in den unsichtbaren sechs Siebteln des Eisbergs ab.

Von 1.090 Lots (nach bereinigter Liste) haben 185 keine Käufer gefunden, sind also „zurückgegangen“, das sind immerhin 17 Prozent des Angebots. Keine Bange, die Weine tauchen schon bald wieder auf, meist in einer Internetauktion oder wieder hier im Saal.

Gedämpftes Licht – gedämpfte Stimmung auf der Auktion (Weinbörse) (Foto: P. Züllig)

Bei anderen Auktionen – von anderen Auktionatoren – ein ähnliches Bild. Vor gut zwei Wochen habe ich in einem anderen Hotelsaal in ähnlichem Ambiente – genormte und verblichene Eleganz des gewollt Unpersönlichen – ebenfalls sechs Stunden Auktion ausgesessen. Ein anderer Anbieter, weniger international, eher für Sammler und Schnäppchenjäger. Es kamen zwar dreimal so viele Bieter, und viele der Lots fanden im Saal Käufer. Man fühlt sich ernster genommen, das Geschäft setzt eine sympathischere Miene auf. Das Angebot ist vielfältiger, nicht nur Bordeaux, die großen Burgunder und die Top-Shots aus Italien, Kalifornien und Australien sind dabei. Doch die Grundstimmung ist ähnlich: Es harzt. Und wie! Zwar locken die lockeren Sprüche des Auktionators, die Verpflegung am Mittag und die dazu offerierte Großflasche Bordeaux (Impériale oder noch größer) weit mehr Bieter in den Saal. Doch die Zurückhaltung ist auch hier deutlich zu spüren.

Die Verlockung – offerierte großformatige Flasche auf der Auktion (Weinbörse) (Foto: P. Züllig)

Jede Wein-Auktion ist ein Ritual. Direkt hat sie wenig mit Wein zu tun, viel mehr mit Geld und mit Begehrlichkeiten. Wein als Ware, als Handelsware und als Besitztum. Die Sprache ist nüchtern: Da gibt es die Einlieferer, die Bieter, das Höchstgebot, die Schätzung. Die Kriterien sind simpel: Originalholzkiste – zehn und mehr Prozent teurer; kellergrau – zehn und mehr Prozent billiger; abgeschnittene Kapsel – 30 und mehr Prozent günstiger. Der Inhalt der Flasche ist derselbe, der Wein bietet den gleichen Genuss. Nur die Verpackung ist anders, eben marktgerecht oder nicht.

Während der abgesessenen Stunden in den Auktionssälen mache ich nicht nur fleißig Notizen, ich mache mir auch Gedanken. Warum kommen die Weine – in Massen – auf die Auktionen? Einerseits ist dies die Möglichkeit eines Gewinns für jene, die mit Wein spekulieren. Ob die Rechnung aufgeht? Im Augenblick kaum! Andererseits – und dies berührt mich – sind es Flaschen, die ein Weinliebhaber liebevoll gesammelt und über Jahre gehegt und gepflegt hat. Und dann – sich trennen muss, von seinen Schätzen, altershalber. Oder noch brutaler, den Keller den Erben überlassen muss.

Ich habe immer wieder Einzelflaschen ersteigert, mit handschriftlichen Notizen versehen, Kaufdaten, Preisen, ja, sogar Bewertungen. Flaschen, die liebevoll verpackt und in Folien gehüllt waren. Flaschen, die nie für eine Auktion bestimmt waren. Solche kleinen Zeichen der Weinfreuden stimmen mich nachdenklich, versöhnlich. Wein ist eben doch nicht nur eine Handelsware.

Herzlich
Ihr/Euer

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER