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Immer wieder fordern europäische Winzer, Wasser bei der Weinbereitung zufügen zu dürfen. Was in vielen Ländern schon seit Jahren Standard ist, wird in Europa nicht so schnell kommen, Das erklärte Prof. Monika Christmann von der Hochschule Geisenheim (Rheingau) im Gespräch mit Alexander Lupersböck.
Prof. Monika Christmann
© Hochschule Geisenheim

"Ich habe einen Weinberg mit einer potenziellen Produktion von 40 hl/ha. Um reife Tannine zu erreichen, muss ich so lange warten, bis ich durch Verdunstung so viel Volumen verliere, dass der Ertrag auf 34 hl/ha sinkt. Warum sollte ich nicht einen Teil, den ich durch Verdunstung verliere, im Keller wieder einbringen dürfen?" fragte der prominente - und keine Kontroverse scheuende - Rhône-Winzer Michel Chapoutier im April 2021. "Das Problem ist: Der Zuckergehalt, also die physiologische Reife, steigt sehr schnell an. Das bedeutet aber nicht, dass die phenolische Reife fortschreitet.“ Sein Vorschlag zielt daher darauf ab, das Gleichgewicht zwischen beiden Reifekomponenten im Keller wiederherzustellen. Chapoutier fragt: “Wie hoch soll der Alkoholgehalt angesichts des Klimawandels noch steigen?“

„Das wird in der EU niemals zugelassen werden“, erklärt dazu Monika Christmann, Professorin für Önologie an der Hochschule Geisenheim. Als Ehrenpräsidentin der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) ist sie Berichterstatterin der Arbeitsgruppe „Water in Oenology“. Sie stellt klar: „In der EU ist Wasser in der Weinbereitung nicht erlaubt. Es gilt Paragraf 1 des europäischen und damit auch deutschen Weingesetzes: „Wein wird hergestellt aus Trauben, eingemaischten Trauben oder Traubenmost. Punkt.“

 

„Jesus-Units“ und „Black Snake Fining“

Wenn Wasser zum Wein hinzugefügt wird, muss er in der EU Weinmischgetränk heißen
© Pixabay

Etwa in den USA und Australien ist das anders: „Die Zugabe von Wasser ist aus technologischen Gründen und insbesondere zur Einbringung von önologischen Stoffen, die als Lebensmittelzusatzstoffe oder Verarbeitungshilfsstoffe zugelassen sind, grundsätzlich erlaubt. Die verschiedenen Verordnungen legen keinen Höchstanteil des für technologische Zwecke verwendeten Wassers fest“, heißt es im aktuellen OIV-Report.

Was aber sind „technologische Gründe“? „Damit soll eine bessere Gärung erreicht werden”, erklärt Christmann. “Bei sehr hohen Zuckerkonzentrationen im Most herrscht auch ein hoher osmotischer Druck. Dadurch wird Wasser aus den Hefezellen in den Most gezogen, und das behindert eine ordentliche Gärung. Durch den Wasserzusatz wird der osmotische Druck geringer, die Gärung verläuft stabiler. Aber auch in Übersee sagt man nicht: Wir setzen Wasser zu. Man spricht verschämt von ‘Jesus-Units’”, erläutert Christmann die Unterschiede. Die „Jesus-Einheiten“ seien eine Anspielung auf die Bibelstelle der Hochzeit von Kanaa, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. Manchmal wird die Wasserzugabe auch „Black Snake Fining“ genannt. Die „schwarze Schlange“ bezeichnet dabei lediglich den Wasserschlauch.

Zusammen mit erlaubten Behandlungsmitteln darf Wasser allerdings in den Wein kommen. „Wir haben kürzlich untersucht, wie viel auf diesem Weg eingetragen wird”, berichtet Christmann, “und waren geschockt! Im extremen Fall wurde dem Wein dabei vier Prozent Wasser zugesetzt.“ Das passiere nicht nur beim Discounterwein, sondern beträfe auch hoch bewertete und teure Premiumweine.

 

Wasserzusatz im Wein ist nicht deklarationspflichtig

Anlage zur Osmotischen Destillation zum Entzug von Alkohol
© H. Schmitt

Hat die Europäische Weinwirtschaft mit dem Verbot, Wasser zuzusetzen, einen Wettbewerbsnachteil? „Absolut”, antwortet die Oenologie-Expertin. “Seit über 20 Jahren existiert ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und den USA, das es gestattet, sämtliche in den USA erlaubten Verfahren einzusetzen und die Weine hier zu verkaufen - auch wenn sie in Europa bei der Herstellung nicht zugelassen sind.” Die Begründung dazu sei schlicht formuliert: “Wenn es einem Amerikaner nicht schadet, wird es auch einem Europäer nicht schaden.“ Das bedeutet: Wein aus den USA, dem Wasser zugesetzt wurde, gilt in Europa als verkehrsfähig, weil es in den USA erlaubt ist. Damit ist es für die Produzenten in der EU nicht einmal deklarationspflichtig. Das Abkommen mit den USA wird auch auf australische Weine angewandt. Christmann sieht vor allem einen kulturellen Unterschied: „In Europa verlässt man sich auf Zahlen und Grenzwerte. Wenn sie eingehalten werden, ist alles in Ordnung. In der Neuen Welt setzt man dagegen mehr auf ‘Good Manufacturing Practices’ (GMP) - und die sind sehr vage formuliert, darin kann man einiges verstecken.” Beim Abkommen sei die EU den Amerikanern gegenüber sehr großzügig gewesen: “Man hat damals nicht angenommen, hohe Alkoholgehalte könnten in 20 Jahren so bedeutend werden. Damals war Mostkonzentration das große Thema, also Most durch Wasserentzug anzureichern. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt.“

 

Lieber Entzug als Zusatz

Monika Christmann vermutet, dass es von Kunden eher akzeptiert werde, wenn man aus dem Wein mit physikalischen Methoden – etwa Membranen oder Vakuum-Verdunstung – etwas abfiltriert, als wenn ihm etwas zugesetzt würde. Sie erzählt, dass es vor einigen Jahren auf der ProWein dazu eine Verkostung gab. Das Publikum wurde dabei befragt, ob es einen Wein trinken würde, dessen Most konzentriert worden sei. Die große Mehrheit lehnte ab. Darauf wurde gefragt, wer diesen Wein trinken würde, wenn der Most mit Zucker angereichert worden wäre – die Ablehnung war noch größer. „Es ist eine Frage der Perspektive“, erklärt sie. Denn sensorisch könne man das Vorgehen nicht nachweisen. “Wenn ein Winzer erklärt, er habe etwas Unerwünschtes herausgefiltert, wird es eher akzeptiert, als wenn er sagt, er habe etwas zugesetzt.” Sie zieht daraus einen klaren Schluss: “Die Weinbranche hat zu lange den Fehler gemacht, Wein als Naturprodukt zu bezeichnen. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Es ist noch nie Wein in Flaschen auf Bäumen gewachsen. Wein ist ein Kulturprodukt.“

Daraus könnten sich in Zeiten des Klimawandels zwei Möglichkeiten ergeben: Entweder die Kunden gewöhnten sich an neue Rebsorten und Weinstile, oder sie akzeptierten technologische Verfahren, um die gewohnten Stile zu erhalten. „Bei der neuen Kennzeichnungspflicht von Weinen müssen wir Zusätze wie etwa Säure deklarieren, den Einsatz von Membranfiltern oder Vakuumdestillation aber nicht. Da wird es einige Verschiebungen in der Wahrnehmung geben“, meint Monika Christmann und resümiert: „Man musste immer mit den Möglichkeiten seiner Zeit auf die jeweiligen Herausforderungen reagieren. Beide sind heute anders als vor 100 Jahren.“

Titelbild: ©Pixabay

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