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Seit frühester Kindheit hat sich in mir ein Bild festgesetzt: ein zusammengeschnürtes Bündel Holz, in der Mitte eine Axt – das Wappen des Kantons, in dem ich aufgewachsen bin. Symbolträchtig wie  Wappenzeichen oft sind: Vereint ist man stark. ln der Schule ging es mit ähnlichen Symbolen und Botschaften weiter: die drei Mannen, die auf dem Rütli geschworen haben, sich beizustehen in Not und Gefahr und so die Eidgenossenschaft gegründet haben: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern!“ Doch schon bald hat sich das Bild verändert, nicht nur im Geschichtsunterricht.

Der Held tauchte auf, der Einzelgänger, der das Leben meistert, dessen Taten bewundert werden. Er setzt Maßstäbe und ersetzt die Gemeinschaft. Der Gedanke des  Zusammenschlusses in so vielen Bereichen des Lebens – eigentlich der Genossenschaftsgedanke – gerät immer mehr in Misskredit. Besonders deutlich zu  erleben in der Landwirtschaft, auch im Weinbau. Da haben Genossenschaften – zumindest in den letzten Jahrzehnten – den Ruf der gemeinsamen Größe und Kraft verloren. Der Held ist jetzt der Winzer, das Weingut, das den besten Wein macht.

Doch machen Einzelwinzer – traditionell sind es Familienbetriebe – auch wirklich die besten Weine? Ist der Abstand zu den Genossenschaften tatsächlich so groß, wie immer wieder behauptet wird? Sind es nicht auch immer häufiger Großunternehmen – Global Player –, die das Weingeschäft dominieren? Die meisten der großen Châteaux in Bordeaux gehören längst Firmen, die zum Teil nichts oder wenig mit Wein zu tun haben. Es sind Investitionsobjekte für Versicherungen, Unternehmen der Luxusbranche, des Immobilienhandels und immer häufiger auch ausländischer Investoren. Die Mär vom tüchtigen Winzer, von einem mit Wein über Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte verbundenen Familienbetrieb ist längst überholt. Die wichtigsten Vertreter der Weindynastien im Bordelais managen zehn und viel mehr Weingüter und setzen im operativen Bereich ihrer Unternehmen die berühmtesten Önologen ein, Flying Weinmakers. Weingenossenschaften haben da kaum einen Platz und schon gar keine Chance.

In anderen großen Weingebieten Frankreichs haben Genossenschaften eine viel größere Bedeutung. Languedoc-Roussillon zum Beispiel ist seit mehr als hundert Jahren eine Weingegend, in der die Genossenschaften dominieren. Trotz vieler Zusammenschlüsse sind es noch immer mehr als 250, in denen viele tausend Winzer Jahr für Jahr ihre Ernte anliefern und wo dann die Weine gekeltert, ausgebaut und später vermarktet werden.

 

Historisches Genossenschaftsgebäude in Agde% Hérault (Foto: P. Züllig)

Allein die relativ kleine Cooperative Caves Richemer (Agde/Marseillan) – nur eine von mehr als 200 aktiven Genossenschaften – vereinigt 450 Winzer und dehnt sich über drei Gemeinden aus, die allerdings außerhalb der AOC-Gebiete liegen. Hier wird also „Vin de Pays“ gemacht, der heute mit „Indication géographique protégée“ (IGP) bezeichnet wird. Als ich vor gut dreißig Jahren zum ersten Mal vor dem stattlichen Cave stand, der allerdings schon fast baufällig war, waren es drei große Betontanks, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen (sie sind inzwischen einem Parkplatz gewichen). So habe ich mir den Weinbau in Languedoc-Roussillon vorgestellt: schwerfällig, verstaubt, veraltet, in der Massenproduktion verhaftet. Schließlich kommen 80 Prozent der französischen „Vins de pays“ aus dieser Region. Als ich dann – ein paar Jahre später – im Cave von Saint Saturnin zuschaute, wie das wohl maschinell geerntete Traubengut angeliefert wurde, war meine Meinung gemacht: Genossenschaftsen produzieren Weine minderer Qualität. Ich kaufte kaum mehr einen ihrer Tropfen.

 

Der Winzeraufstand 1907 im Languedoc – Geburtsstätte der Wein-Genossenschaften (Foto: P. Züllig)

Erst allmählich habe ich die Bedeutung und den historischen Hintergrund der Genossenschaften im Languedoc-Roussillon erkannt. Als es den Winzern im Süden Frankreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts miserabel ging, die Preise einbrachen durch Überproduktion, Importe aus Spanien, Italien und Algerien sowie durch Panscherei von Zuckerweinen durch Händler, kam es zum legendären Winzeraufstand (1907), der schließlich vom aufgebotenen Militär niedergeschlagen wurde. In der Folge griffen die Winzer zur Selbsthilfe, es entstanden die Coopératives, die Genossenschaften. Noch heute steht fast an jedem Dorfeingang eines ihrer majestätischen Gebäude, gebaut in den 1930er- und 40er-Jahren, die das Selbstbewusstsein und den Stolz der Winzer dokumentierten. Gemeinsam war man stark geworden.

 

Imposante Genossenschaft in Ventenac% Minervois% am Canal du Midi (Foto: P. Züllig)

Doch dann kamen die 1970er- und 80er-Jahre. Die Situation im Weinbau hat sich gründlich verändert, Weine aus den „neuen Weinländern“ kamen auf den Markt; Billigweine, wie sie im Languedoc während Jahrzehnten zu 80 Prozent produziert wurden, waren immer weniger gefragt; neue An- und Ausbaumethoden sorgten für bessere Qualität; das Marketing wurde zu einem entscheidenden Faktor für den Erfolg. Dazu kam, dass die oft schwerfälligen Genossenschaften der rasanten Entwicklung nicht folgen konnten (oder wollten), und viele ihrer Caves waren hoffnungslos veraltet. Immer mehr gute Winzer verließen die Gemeinschaft und bauten einen eigenen Betrieb auf. Andere versuchten ihr Glück im Verkauf ihrer Rebberge an auswärtige Winzer und Investoren, nicht zuletzt auch an die Platzhirsche aus dem Bordelais.

 

Ehemaliges Genossenschaftsgebäude (erbaut 1946) von Causses-et-Vayran% Hérault; im Vordergrund standen einst die großen Betonsilos (Foto: P. Züllig)

Protestierende Winzer, denen es wirklich wieder schlecht und schlechter geht, fast wie vor hundert Jahren, schrecken auch vor Sabotageakten und Gewalt nicht zurück. Ein Bild, das in den Schlagzeilen durch die Weltpresse ging. Doch dies ist nur die eine, die laute Seite der aktuellen Situation. Von der anderen wird wenig geredet, sie wird kaum zur Kenntnis genommen. Viele Genossenschaften sind längst aufgebrochen und haben sich der neuen Situation – auch mit staatlicher Hilfe – gestellt, sie sind in den globalisierten Markt eingestiegen. Zum Teil mit beachtlichem Erfolg. Gute, ja, sehr gute Weine kommen heute auch aus Genossenschaften wie Roquebrun, Tuchan,  Berlou, Cabrières, Castelmaure, Leucate, Rocbère, um nur einige Beispiele zu nennen. Viele Genossenschaften setzen längst nicht mehr auf Massenproduktion und Billgweine, sie bieten gute, anspruchsvolle Weine an, meist zudem noch zu einem günstigen Preis. Der Genossenschaftsgedanke beginnt sich auch in der Qualität durchzusetzen. Man scheut nicht, sich von guten, ja, den besten Önologen beraten zu lassen. Neben dem „einfachen Wein“ gibt es fast immer auch eine Linie „en haut de gamme“ (Spitzenweine). Einige Genossenschaften haben sogar Domaine- oder Châteaux-Weine geschaffen, indem sie bestimmte Parzellen gesondert ausbauen und diesen einen eigenen Namen geben: Château Albières ist so ein Beispiel – aus dem Cave Berlou.

Doch noch immer haben es Genossenschaften schwer: In Kreisen von Weinliebhabern werden sie gemieden. Weinführer – sei es Hachette oder Bettane & Desseauve – nehmen keine fünf Prozent der Kooperativen in ihre Listen auf. Dies hat – nach meinen Erfahrungen – weniger mit Qualität als vielmehr mit Marktinteressen zu tun. Die Käufer von Weinführern interessieren sich kaum für Coopératives, vielmehr für Einzelkämpfer, Winzerhelden, große und auch kleinere Namen. Mit den Genossenschaften, wo einzelne Winzer namenlos bleiben, wo nur die „Gesamtleistung“ zählt, weiß man in Liebhaberkreisen wenig anzufangen.

Auch das frühere „Kerngeschäft“ der Genossenschaften, die Weine für den Alltag, gerät ins Stocken. Durch die deutliche Qualitätssteigerung (inklusive Ertragsreduktion) sind auch einfachere Weine deutlich teurer geworden. Immer noch billig – auch im Vergleich zu anderen Getränken – und oft mit einem sogar sensationellen Preis-Leistungs-Verhältnis. Doch man ist hier – traditionell – noch gewohnt, für ein paar Cent oder wenig Euro Wein kaufen zu können, gleichsam über die Straße, „en vrac“, direkt aus dem Fass. In diesem Bereich ist die Konkurrenz (vor allem aus dem Ausland) fast unschlagbar geworden, über die Qualität spricht da kaum jemand. Die Genossenschaften, die auch auf ihren „guten Ruf“ bedacht sind, können (und wollen) da nicht mithalten.

 

Neuer Auftritt der Genossenschaften: frisch% modern und zeitgemäß – Cave Richemer (Foto: P. Züllig)

Die Genossenschaften – heute zum großen Teil gut geführt und gut ausgerüstet, durchaus in der Lage, beste Weine zu machen – geraten immer wieder sozusagen „zwischen Stuhl und Bank“: von den einen gemieden (oder nicht ganz für voll genommen), von den anderen bedrängt, immer noch billiger und belangloser zu produzieren. Es ist nicht ganz einfach, sich da richtig zu positionieren. Die bisher bevorzugten Lösungen der bedrängten Winzer sind: Selbständigkeit, wann und wo immer es geht, oder ganz andere Weine machen – andere Rebsorten und Mainstreamig, wie es eben der Markt verlangt, oder die Reben ausreißen und die EU-Prämie kassieren. Dies alles kann das Languedoc-Problem nicht lösen. Einige der selbständig gewordenen Winzer schaffen es, im harten Verdrängungskampf (im größten Weingebiet Frankreichs) zu bestehen und die Weine auch gewinnbringend zu vermarkten. Doch es sind – gemessen an ihrer Zahl – nur wenige. Andere geben auf oder radikalisieren sich – in kleineren und größeren Gruppen. Vielleicht hat da der Genossenschaftsgedanke wieder eine Chance: „Vereint ist man stark.“ Das einprägsame Bild meiner Jugend gibt mir Hoffnung und den vielen Kooperativen wohl auch.

Herzlich
Ihr/Euer

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