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Als Marcus Hofschuster und ich zum Beginn des Jahres 2000 den Weinführer gestartet haben, war er wenige Tage darauf fast schon wieder beendet. Vorbei. Schluss. Heute finden sich darin mehr als 126.000 bewertete Weine von über 23.000 Erzeugern. Dass wir mit unserer Idee fast gescheitert sind, lag nicht an einer falschen strategischen Entscheidung, zu scharfem Wettbewerb oder einer juristischen Fehleinschätzung. Es lag an einem Regal.

Anfang 2000 arbeiteten Marcus und ich in einem kleinen Büro zur Untermiete mit einem Kellerraum. Ein paar Tage zuvor hatten wir unsere erste Verkostungseinladung verschickt. Da wir in Franken leben, war es für uns das einfachste, etwa 500 fränkische Erzeuger zu bitten, uns ihre Weine zu schicken. Wir wussten, wir haben das richtige Konzept, waren sehr selbstbewusst und überzeugt von dem, was wir taten. Aber wir hatten auch verdammt viel Angst, dass niemand uns Flaschen schickt. Denn ohne Weine keine Verkostungen, ohne Verkostungen kein Weinführer. Was passiert, wenn…? Es durfte nicht schief gehen!

Schließlich kamen Pakete. Viele Pakete. Viel mehr, als wir angenommen hatten. Da stapelten sie sich nun in unserem kleinen Büro. Und es kamen immer mehr. Also sind wir in den Baumarkt gefahren, haben ein paar richtig große Stahlregale eingeladen – was gar nicht so einfach war – und haben sie, so schnell es irgend ging, im Keller zusammengeschraubt. Das Probenlager war damit eingerichtet. Jetzt läuft die Sache, nichts kann mehr schief gehen. Dachten wir jedenfalls.

Unten stand auch ein PC, mit dem ich die eingeschickten Weine und ihre Erzeuger in eine Datenbank eintippte. Es waren inzwischen mehrere hundert Flaschen. Hurra! Ich hatte die vielen neu angekommenen Weine fertig verzeichnet und ging die Treppe nach oben, als ich hinter mir einen gewaltigen, lauten Schlag hörte. Ich zuckte zusammen, drehte mich um und rannte die Treppe hinab. Als ich unten ankam, schwemmte eine Welle aus Wein um meine Beine. Der Schlag hatte oben im Büro auch Marcus misstrauisch gemacht. Er sprang wenige Sekunden später die Treppe herab und sah einen mit Wein überfluteten Keller. Ich mittendrin. Die Regale standen nicht mehr an ihrem Platz. Meine Hose war bis zum Reißverschluss durchnässt.

Ich kann mich noch gut an die Stille in den Sekunden danach erinnern. Wir setzten uns beide auf die Treppenstufen und schwiegen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir dort saßen. Aber irgendwann waren auch vier Angestellte des Unternehmens, bei denen wir Untermieter waren, herunter gekommen. Der Schlag war auf der gesamten Etage zu hören gewesen. Auch sie sahen mit offenem Mund den Weinsee, der den gesamten Keller überflutet hatte. Ich sagte zu Marcus nur: „Das war‘s. Vergiss es. Es ist vorbei.“

An der Katastrophe waren wir selbst schuld gewesen. Wir hatten vergessen, die Regale mit Dübeln in der Wand zu befestigen. Das Gewicht der Flaschen hatte ein Regalteil nach vorne gezogen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Als das Regal fiel, zog es die anderen mit. Alles fiel. Keine einzige Flasche war noch zur Verkostung geeignet. Nachdem wir wieder einigermaßen klar denken konnten, besorgte ich mir eine trockene Hose und Gummistiefel. Wir begannen wir mit dem Aufräumen. Die freundlichen Helfer packten kräftig mit an, aber es dauerte drei Tage, bis wir den See mit Eimern und Schaufeln trocken gelegt sowie die Scherben beseitigt hatten.

Aber wir wollten den besten Weinführer Deutschlands starten! Nur, dass wir jetzt keinen Wein zum Bewerten mehr hatten. Was also tun? Ich hörte auf mein Bauchgefühl und schrieb eine offene, ehrliche Mail an die Winzer. Ich erzählte, was passiert war und bat sie, die Flaschen noch einmal zu schicken. Zudem boten wir an, die neuen Flaschen zu bezahlen, denn wir waren schließlich selbst Schuld an diesem Desaster. Womit wir nicht gerechnet hatten: Die allermeisten Winzer schickten ihr Paket noch einmal. Niemand legte eine Rechnung bei. Wir konnten es kaum fassen.

Die Regale hatten wir inzwischen erdbebensicher verankert. Der Weinführer konnte starten. Im Flaschenlager stank es allerdings noch mehrere Monate lang nach Wein. Es war furchtbar. Aber jedes mal, wenn ich diesen Geruch auf der Treppe einatmete, spürte ich, welch unglaubliches Glück wir gehabt hatten. Ohne die hilfsbereiten fränkischen Winzer würde es den Weinführer heute wahrscheinlich nicht geben.
Danke!!

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