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Gerhard Retter ist einer der bekanntesten Sommeliers in Deutschland. Der gebürtige Österreicher hat in den besten Häusern der Welt gearbeitet, kennt die Branche wie kein Zweiter und ist in vielen TV-Sendungen zu sehen. Raffaella Usai hat er erzählt, was einen guten Gastgeber ausmacht und was die Gastronomie derzeit bewegt.

Gerhard Retter, Jahrgang 1973, wuchs in der Gastwirtschaft seiner Eltern in der Steiermark auf. Die erste Station nach seiner Ausbildung zum Koch und Kellner war das renommierte Restaurant „Aubergine“ von Eckart Witzigmann in München. Es folgten das Restaurant „Girardet“ in Lausanne, „Gordon Ramsay“ in London sowie das Hotel „Adlon“ in Berlin. Aus dem Fernsehen kennt man ihn aus der VOX-Kochshow „Grill den Henssler“, aus „Grill den Profi“ auf RTL+, „Topfgeldjäger“ im ZDF und „Hells Kitchen“ mit Frank Rosin auf SAT1. 2021 war er zudem als Juror in der Sendung „Kitchen Impossible“ auf VOX zu sehen. Retter betreibt das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant „Cordo“ in Berlin. Ein neues Lokal auf der Münchner Praterinsel wird demnächst eröffnet.

Du arbeitest seit Jahrzehnten als Sommelier und Gastronom. Wie hat sich die Gastronomie in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Gerhard Retter: Auf der einen Seite ist alles viel entspannter geworden, sagen wir „casual“, auch wenn es Fine Dining ist. Auf der anderen Seite hat sich die Gastronomie zu einer Sanduhr entwickelt, mit einer breiten Masse und einem Mittelbau, der es immer schwerer hat. Wir sind eine Welt der Superlative geworden – mit einer großen Zahl von erstklassigen Restaurants. Aber viele von ihnen kämpfen ums Überleben, weil die Konkurrenz mittlerweile enorm ist.

 

Hinzu kommt der extreme Personalmangel, der sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt hat. Was tust du dagegen?

Gerhard Retter: Man muss eine lebenswerte, respektvolle Arbeitskultur schaffen. Preis-Leistung ist nicht nur für den Gast relevant, sondern auch für den Arbeitnehmer. Der Lohn muss anständig sein. Die Leute in der Gastro wollen ein Leben neben dem Beruf haben. Es war für Köche und Sommeliers immer schwer, genügend Zeit für Familie und Freunde zu haben. Da hat sich zwar schon einiges bewegt, aber es bleibt trotzdem ein Problem.

Was macht für dich heute einen guten Gastgeber aus?

Gerhard Retter: Man sollte kein Misanthrop sein (lacht). Nein, es ist die Herzlichkeit. Ich freue mich wirklich, wenn Menschen zu mir kommen und ich sie mit meinem Team verwöhnen darf. Mein Motto war immer: Finde den Weg zum Herzen deines Gastes! Wenn das gelingt, bin ich glücklich.

 

Bei vielen Sommeliers hat man nicht das Gefühl, dass der Gast im Mittelpunkt steht. Braucht es mehr Demut?

Gerhard Retter: Absolut, das ist eine der wichtigsten Eigenschaften. Die Bühne gehört dem Gast. Ich hasse nichts mehr als Selbstinszenierung. Guter Service ist da, wenn du ihn brauchst – und sonst im Hintergrund. Wer nicht am Boden bleibt, hebt ab und zerplatzt irgendwann. Die Gäste erinnern sich im Übrigen ganz genau, wo sie wie behandelt worden sind.

 
Annette Sandner

Vor allem jüngere Menschen trinken immer weniger Wein. Wie gelingt es, diese Zielgruppe zu begeistern?

Gerhard Retter: Ich finde es gar nicht schlimm, dass der Pro-Kopf-Konsum fällt, solange er in der Qualität wächst. Wein ist zwar ein Alltagsgetränk, er braucht aber auch einen gewissen Anlass. In meiner Wahrnehmung sind viele junge Menschen von Wein begeistert, vor allem die wilden Naturwein-Winzer haben viel dafür getan. Die meisten Weinliebhaber haben heute einen anderen Zugang zum Wein. Sie trinken bewusster und hochwertiger.

 

Wenn man sich den Sekundärmarkt anschaut, ist Fine Wine am Ende nur noch ein Spekulationsobjekt?

Gerhard Retter: Das ist die schlimmste Entwicklung überhaupt. Menschen wie du und ich, die diese Weine gerne trinken und auch schätzen würden, können sie sich nicht mehr kaufen. Ich möchte auch keine 1.000 Euro für eine Flasche Wein bezahlen. Wenn man mal ehrlich ist: Die Preis-Leistung ist wahrscheinlich bei 50 Euro vorbei. Es geht nur um Angebot und Nachfrage, völlig verrückt! Ich verzichte deswegen bewusst auf Kultweine. Mich nervt es, wenn ich als Sommelier betteln muss, um ein paar Flaschen davon zu ergattern. Es gibt so viele gute Weine.

 

Ich verzichte bewusst auf Kultweine. Mich nervt es, wenn ich als Sommelier betteln muss, um ein paar Flaschen davon zu ergattern.

Mit solchen Weinen erreichst du im Restaurant nur eine elitäre Gruppe.

Gerhard Retter: Unsere Aufgabe ist es, den Gästen etwas Gutes zu tun. Als Sommelier musst du tolle Weine für zehn oder 15 Euro finden, die genauso überraschen, die Spannung und Vibration haben. Es gilt, Schätze zu finden, die Entwicklung in der Weinwelt zu beobachten, junge Weingüter zu entdecken und zu schauen, wo es Veränderungen gibt. Und das macht auch den meisten Spaß. Die Uniformität der Weinkarten ist eine Katastrophe.

 
Annette Sandner

Wie sieht es mit Piwi-Weinen aus? In Restaurants findet man sie bislang eher selten.

Gerhard Retter: Piwi-Weine stecken für mich immer noch in den Kinderschuhen. Warten wir mal zehn Jahre ab, bis die Reben auch ein gewisses Alter haben. Was ich bislang probiert habe, hat mich noch nicht ganz überzeugen können. Irgendwann werden sie bestimmt ebenbürtige Weine sein, die den zusätzlichen Vorteil haben, dass sie nachhaltiger erzeugt werden.

 

Alkoholfreie Weine und Sekte gewinnen immer mehr an Beliebtheit. Sind sie bei Sommeliers ein Thema?

Gerhard Retter: Eher nicht. Ich persönlich finde es total sinnlos, Alkohol aus einem Produkt herauszuziehen, in das ich ihn durch Gärung hineingebracht habe. Bevor ich ein solch „künstliches“ Getränk bestelle, trinke ich lieber einen hochwertigen Saft. Was man allerdings schon beobachtet: Du kommst heute nicht ohne eine hochwertige alkoholfreie Menü-Begleitung aus. Das finde ich gigantisch. Denn was gab es früher für Alternativen, wenn man mal keinen Alkohol trinken wollte? Wasser oder Kiba…

 

Derzeit wird in der Weinbranche viel über Herkunft und Terroir diskutiert. Interessiert das die Gäste im Restaurant überhaupt?

Gerhard Retter: Für mich ist die wichtigste Information auf dem Weinetikett der Name des Menschen, der ihn gemacht hat. Herkunft allein ist kein Qualitätsversprechen. Natürlich wird der Geschmackskorridor enger. Bei vielen Appellationen wie Chablis, Sancerre und Chianti Classico weiß der Gast in der Regel, dass ihn unabhängig vom Weingut ein sortentypischer Wein erwartet. Entweder ist man ein Weinkenner und bestellt den Wein, weil man den Winzer schätzt oder man vertraut der Appellation. Aber nehmen wir die Naturweine: Da dominiert die Machart und nicht die Herkunft.

 

Also ist Herkunft nicht so wichtig?

Gerhard Retter: Doch, ich sage nur, dass ein echter Terroir-Wein, ein Cru, erkennbar und nachvollziehbar sein muss. Das sind dann wirklich außergewöhnliche Weine, die dir beim ersten Schluck sagen, woher sie kommen. Sonst enden wir in einer Masse von gut gemachten Weinen, die extrem langweilig sind.

Herkunft allein ist kein Qualitätsversprechen.

Haben unbekannte Appellationen in der Gastronomie eine Chance?

Gerhard Retter: Absolut. Vor allem in gehobenen Restaurants, in denen die Gäste dem Sommelier vertrauen und experimentierfreudiger sind. Ein Sommelier sollte die Leute immer wieder überraschen.

 

Welche Trends kannst du beobachten?

Gerhard Retter: Viele Konsumenten werden beim Thema Wasserverbrauch und künstliche Bewässerung immer sensibler, auch beim Wein. Und da werden viele Anbaugebiete in Zukunft an ihre Grenzen stoßen. Wir müssen einsehen, dass gewisse Appellationen vielleicht nicht mehr ohne Wasserzufuhr zu bewirtschaften sein werden. Und unsere Weinkarten entsprechend anpassen.

 wein.plus-Redakteurin Raffaella Usai im Gespräch mit Gerhard Retter

Annette Sandner

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