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Der Titel ist eine Provokation, ich weiß es, doch er stimmt. Wer von den Weinen des Bordelais spricht, denkt an die zwei-, dreihundert Châteaux, die Bordeaux „zum Himmel des Weins“ (Mahagoni-Magazin) gemacht haben, wo „Weinkenner schnell ins Schwärmen geraten“ und – so ist zu befürchten – auch rasch den Verstand verlieren. Eine einzige Flasche Wein, die hundert, ja tausend und mehr Euro kostet, muss ja ein Göttertrunk sein. Das suggeriert die gängige Wirtschaftsordnung unserer Welt.

 

Petrus% das Wahrzeichen für die teuersten Weine ragt in den Himmel (Foto: P. Züllig)

Doch Bordeaux ist viel mehr als ein paar berühmte Weingüter, mehr als ein paar berühmte Weine. Bordeaux ist eine Weinregion – durchaus begünstigt durch die Topografie und das Klima –, in der auf 100.000 Hektar Reben stehen und jährlich fast fünf Millionen Hektoliter Wein erzeugt werden.

Jede Liebhaberin, jeder Liebhaber französischer Weine ist durchaus in der Lage, zehn, vielleicht sogar hundert Bordeaux-Güter aufzuzählen, ihre Zuordnung und Klassifikation zu kennen und sogar über die Preise Bescheid zu wissen. Dafür sorgt – Jahr für Jahr – die sogenannte Subskription (en Primeur), bei der Weine gehandelt werden, die erst zwei Jahre später auf den Markt kommen. Eigentlich ein Termingeschäft, das von allen namhaften Weinkritikern der Welt mit vielen Orakeln begleitet wird. Dabei stehen immer die gleichen Namen im Mittelpunkt: Es sind die „großen“ Bordeaux, die Premiers Crus und die vergleichbaren Nichtklassifizierten aus Pomerol, die das „Bodeaux-Rennen“ machen. Darum herum gruppieren sich fast immer die gleichen Weingüter, die im Médoc schon 1855 als die besten auserkoren wurden oder – in den anderen Appellationen – über viele Jahre das „Feld beherrschen“. Ab und zu schafft es ein so genannter „Garagenwein“, neu in Phalanx der Großen einzubrechen.

 

Margaux – eine weitere Weinikone im Bordelais (Foto: P. Züllig)

Diese Weine – von den teuersten bis zu den preisgünstigsten – werden Jahr für Jahr angeboten. „Millesima“ zum Beispiel – eines der großen Wein-Handelshäuser in Bordeaux mit einer sehr breiten Auswahl – hat jedes Jahr etwa 120 Rotweine „en Primeur“ im Programm (Subskription), und es sind immer etwa die gleichen; mehr oder weniger die gleichen Châteaux, die auch die anderen Handelshäuser Jahr für Jahr anbieten. In Bordeaux gibt es aber weit mehr als 10.000 Wein-Produzenten, deren Namen man kaum kennt. Viele dieser „Namenlosen“ – etwa 4.000 – sind aber mit Namen und Produktionsangaben im Weinführer von Edouard Féret registriert. Es gibt sie also, sie haben einen Namen und sind doch namenlos, denn kaum jemand in der großen Weinwelt kennt sie. Erst in den letzten Jahren, nach der Preisexplosion bei den „Primeur-Weinen“, suchen immer mehr Weinliebhaber nach Alternativen, die noch bezahlbar sind und doch qualitativ hohe und höchste Ansprüche erfüllen. Es gibt sie, diese Weine. Clevere Händler haben sie längst aufgespürt und bieten sie zu Preisen an, die im internationalen Vergleich moderat sind, und doch kommen die Weine aus dem Bordelais. Weinliebhaber müssen neue, ganz andere Namen zur Kenntnis nehmen, die sie bisher – trotz guter Bordeaux-Kenntnisse – zum größten Teil noch nie gehört haben.

 

Bordeaux – 100.000 Hektar stehen unter Reben; ein Blick über Saint-Émilion (Foto: P. Züllig)

Ein paar Beispiele: Einen Steinwurf weit entfernt vom „großen“ Cheval Blanc (2010 en Primeur für rund 1.000 Euro) liegt das Château Jean Faure – nicht ganz unbekannt, aber im Vergleich zu Cheval Blanc namenlos. Gleiches Terroir, gleiche Appellation, gleiches Bemühen um ausgezeichnete Weine. Es gelingt sogar – Jahr für Jahr –, und trotzdem kostet der Wein (2010) etwa 3,7 Prozent vom Cheval Blanc des gleichen Jahrgangs, und das sind immerhin noch stolze 35 Euro pro Flasche. Es ist müßig, hier nach den Gründen zu suchen und die Entwicklung zur „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ im Bordelais zu hinterfragen. Der Markt hat längst das Zepter übernommen, und wir sind ein Teil dieses Marktes. Es ist also an der Zeit, dass alle, die Weine aus Bordeaux lieben, gerne trinken – und nicht auf Wertsteigerung achten –, neue Namen kennen lernen. Namen von Châteaux, die keinen Namen haben: Cambon la Pelouse, Haut Mauriac, Sequin, le Grand Verus, Trocard Monrepos, de Gironville, Amélisse, Parenchère und wie sie alle heißen.

 

Kult mit den bekannten Namen (Foto: P. Züllig)

Es sind alles Weine, die im so genannten Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Sie kosten in der Regel zwischen 10 und 20 Euro und bieten höchstes Trinkvergnügen, gemessen auch an der hoch gelegten Latte der Bordeaux-Weine. Es ist nicht so, dass die teuren Weine aus dem Bordelais nicht gefragt wären, im Gegenteil, sie werden gekauft, vorwiegend wegen ihres klingenden Namens und der Möglichkeit, sie in alle Welt – mit Gewinn – abzusetzen. Dazu Auktionator Franz J. Wermuth: „Die Käufer in Asien wollen nur Flaschen mit schönen Etiketten, der Inhalt ist ihnen praktisch egal.“ Dem wäre noch hinzuzufügen: „... und Flaschen mit möglichst berühmten Namen.“ Mouton Rothschild macht daraus seit mehr als 80 Jahren ein lukratives Geschäft. Unter dem Label „Mouton Cadet“ vermarktet Rothschild einen „Händlerwein“, vier Millionen Flaschen pro Jahr, zu rund 10 Euro die Flasche.  Dieser Preis entspricht knapp zwei Prozent von dem, was ein „echter“ Mouton Rothschild (auch in einem mittelmäßigen Jahr) kostet.

 

Mouton Rothschild – hier lagern Weine% die bereits en Primeur verkauft% aber noch nicht abgefüllt sind (Foto: P. Züllig)

Es ist der Name, mit dem das Geschäft gemacht wird. Der Wein selber ist ein Dutzendwein – 15% Cabernet Franc, 20% Cabernet Sauvignon, 65% Merlot –, eine bewährte Bordeaux-Cuvée, die so ist, wie man sich eben einen „Bordeaux“ vorstellt. „Im Bouquet und am Gaumen frische Aromen von saftigen Kirschen, reifen Himbeeren und Cassis. Fein ausbalanciert, samtig mit viel Fülle und harmonisch eingebundenem Tannin, spiegelt Mouton Cadet Rouge die Typizität seiner Appellation wieder“, schreibt der deutsche Vermarkter Weinkontor. Unrecht hat er nicht, der Vermarkter. Es ist ein Wein, der alle Jahre – ob gutes oder schlechtes Weinjahr – in etwa gleich schmeckt, Bordeaux-like, und erst noch schön zu trinken ist. Mit dem berühmten Mouton-Rothschild hat der Wein aber nichts zu tun: Die Trauben stammen von „namenlosen“ Weingütern im Bordelais, werden in einer eigenen Kellerei in Saint-Laurent vinifiziert und nach einem einheitlichen Muster so zubereitet, dass der Wein Jahr für Jahr gleich schmeckt, gefällig und angenehm ist. Wein vom Fließband sozusagen, gut gemacht und ohne Ecken und Kanten, langweilig, aber ein Wein aus dem Hause Mouton.

 

Die Gironde – maßgebend für die Weine von Bordeaux; Aufbruch zu neuen Ufern (Foto: P. Züllig)

Die Alternative dazu sind viele kleine, ebenso gut gemachte Weine aus wenig bekannten, aber verlässlichen Weingütern des Bordelais. Der Unterschied zum „perfekt konstruierten Mouton Cadet“: Die Weine haben mitunter Ecken und Kanten, sie sind nicht jedes Jahr genau gleich, sondern versuchen die Möglichkeiten und Unterschiede der Region und des Vegetationsverlaufs einzubringen, sie haben Charakter und Persönlichkeit, sie sind nicht nur gefällig, sondern verlangen vom Weinliebhaber Entscheidendes: nämlich sich einzulassen auf ein Produkt, das Jahr für Jahr mit viel Sorgfalt, Liebe und Können erarbeitet wird. Es ist das neue Vokabular des unbekannten (oder wenig bekannten) Bordelais, es sind Namen, die Weinliebhaber erst zur Kenntnis nehmen und dann halt – man verzeihe mir die Forderung – auswendig lernen müssen. Denn die Weine mit diesen Namen liegen noch weitgehend verborgen im „unbekannten Weinland Bordeaux“, zugeschüttet von Namen, die zum Mythos hochstilisiert wurden.

Herzlich
Ihr/Euer

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