wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Jeder hat seine Grenzen. Die meisten hat er sogar selber errichtet; vor allem jene, bei denen es um Genuss geht. Doch nur wenige dieser Grenzen haben mit natürlichen Beschränkungen zu tun. Sie orientieren sich vielmehr an eigenen Wertvorstellungen. Es sind Grenzen für das, was man sich selber eingestehen will und kann, was man sich selber erlaubt. Da sagt mein Tischnachbar zum Thema Wein im Brustton der Überzeugung: „Ich kaufe nie einen Wein, der teurer ist als 15 Franken (13 Euro), da ist meine Grenze!“ Zugegeben, ich muss nachfragen: Habe ich nicht richtig zugehört? Mich gar geirrt? Wollte er 50 Franken sagen? Doch dann aber beginnt er zu schwärmen, von einem 5-Franken-Wein bei Aldi und da weiß ich, uns trennen Welten. Weinwelten!

 

Weine% die unter der Schmerzgrenze liegen und trotzdem Genuss bereiten können (Foto: P. Züllig)

Diese kleine Episode beschäftigt mich, lässt mich nicht mehr los. Ich denke an den Aufwand des Winzers, bei dem ich Jahr für Jahr helfe, die Trauben zu ernten. Ich denke an die Arbeit im Frühjahr, wenn es meist noch kalt und neblig ist und die Reben zurückgeschnitten werden. Ich denke an den Aufwand im Keller, wo der Most langsam zu Wein wird, sorgsam betreut und gelenkt vom Kellermeister. Ich denke an die Fasslager, wo der Wein behutsam heranreift, sich entwickelt, sich entfaltet. Mehr mag ich nicht mehr denken, denn all dies – viel Handarbeit, großes Geschick, weitreichende Entscheidungen – ist nicht für fünf Franken (pro Flasche) zu haben.

Szenenwechsel. Diesmal sitze ich mitten unter Weinliebhabern bei einer Verkostung hochwertiger Bordeaux. Eine „Vertikale“: 18 Flaschen „Pape Clément“ stehen zum Vergleich an. Der Rahmen: ein Gourmet-Menu – „Viennoise von der Entenleber auf grünem Spargel und frischen Erdbeeren mit Butter-Meersalz-Karamell“ und so fort. Auf dem Serviertisch nebenan stehen die geöffneten Flaschen bereit, Jahrgänge zwischen 1955 und 2005. Keine der Flaschen kostet weniger als hundert Franken, die teuerste mehr als 300. Schwächere Jahrgänge – zum Beispiel 1991, 1992, 1997 – wurden gar nicht erst aufgestellt. Niemand sagt es, doch man ist sich einig: Weine unter hundert Franken kommen hier nicht ins Glas. Es ist eine andere Weinwelt, die Welt der teuren Weine. Auch hier gibt es offensichtlich Schmerzgrenzen – nach unten, vielleicht so um 50 Franken pro Flasche.

 

Elf der achtzehn Bordeaux Pape-Clément stehen zur Degustation bereit (Foto: P. Züllig)

Die beiden Wein-Welten scheinen sich schlecht zu vertragen. Argumentiert wird meist mit dem Geld oder anders ausgedrückt mit der Frage: Wie viel darf ein Wein kosten? Aber auch dies sagt man in der Regel nicht so. Man spricht lieber vom Preis-Leistungs-Verhältnis – abgekürzt PLV – und merkt nicht, dass auch da die Vorstellungen weit, weit auseinander gehen und kaum messbar sind. Wie kann denn beim Weingenuss die „Leistung“ bewertet werden und wie ist sie am Preisen zu messen?

Es gibt zwar so etwas wie ein sensorisches Regelbuch, das schließlich zu Punkten führt. Parker-Punkte (PP) zum Beispiel. Aber kann man sagen: Ein Wein mit 80 PP kostet zehn Euro, einer mit 85 PP dreißig , einer mit 90 PP siebzig und Weine mit mehr als 90 PP hundert und mehr Euro? Unsinn! Man kann so nicht rechnen. Es bestimmen ganz andere Faktoren den Preis: Produktionskosten, Renommee, Beliebtheit, Marktgesetze... und nicht zuletzt auch der Kultstatus.

Letztlich geht es also um die Frage: Wie viel ist mir (ganz persönlich) ein Wein wert? Oder eben die Frage nach den Schmerzgrenzen. Es ist meist nicht das ausgegebene Geld, das schmerzt. Man kann ja ein Weinbudget erstellen, angepasst den eigenen finanziellen Möglichkeiten. Darin lässt sich variieren, vom billigen bis zum teuren Wein... und auch der Rhythmus, in demFlaschen geöffnet werden. Nein – bei diesen Schmerzen geht es (in fast allen Fällen) um die eigene Wertordnung, das eigene Bewusstsein. Um die Frage: Was muss ein Wein „leisten“ und wie viel bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Bezahlen nicht nur in Münzen und Noten, bezahlen auch mit entgangener Lebensfreude, mit Gefährdung der Gesundheit, mit Lust- und Genussverzicht.

 

Besuch bei einem Kleinwinzer% der auf Bioweine umgestellt hat (Foto: P. Züllig)

Und da sind Menschen eben ganz verschieden. Ihre Wertordnungen klaffen weit auseinander und sind wohl auch nicht zusammen zu führen. Was dem einen Schmerzen bereitet, ist für einen andern große Lust; wovon der eine schwärmt, bereitet einem andern Schmerzen. Doch das alles ist kaum messbar. Messbar sind eigentlich nur die Kosten, jene der Produktion und des Kaufs. Doch selbst die sind – je nach Land, Weingebiet, Art der Weinherstellung, Größe des Weinguts, Grad der Mechanisierung, Anbaufläche, Lohnkosten und, und, und – recht unterschiedlich. Ein Amarone  – mit seinem aufwändigen Herstellungsverfahren, den kleinen Mengen etc. – verursacht ganz andere Produktionskosten als zum Beispiel ein Beaujolais Primeur (auch wenn man die Qualität nicht in Relation setzt). Und der Kauf bei einem Weinhändler, der Beratung, besten Service und Qualität zu bieten hat, kostet mehr als ein Griff in die Regale des Discounters.

 

Beim Weinhändler (Foto: P. Züllig)

Um einen Spitzenwein zu produzieren, braucht es – nach generellen Angaben – etwa zehn Euro für das Material und die Produktion (umgerechnet auf eine Flasche). Auch wenn es in der Realität doppelt oder dreimal so viel sein sollte (zum Beispiel weil besonders aufwändig und kostenintensiv gearbeitet wird) oder auch nur die Hälfte oder ein Drittel davon (bei Massenproduktion und weitgehender Mechanisierung), dann sind dies doch Anhaltspunkte für das Preis-Leistungs-Denken beim Wein. Auch wenn man den Gewinn, Versand, Zwischenhandel, Verkauf etc. noch dazu rechnet, entsteht eine Spannweite des Preises.

Seltsam, die Schmerzgrenze liegt bei den einen wie bei den andern (den Konsumenten von teuren wie von billigen Weinen) meist deutlich außerhalb dieser Preisspanne. Die Schmerzgrenzen müssen also andere Ursachen haben. Es ist nicht der Preis-Leistungs-Faktor, der Schmerzen verursacht, sondern...? Sind es nicht vielmehr die Erwartungen, die man an einen Wein stellt? Sind es nicht Erwartungen, die – wenn überhaupt – kaum oder nur sehr selten zu erfüllen sind.

 

Einkauf im Dorfladen (Foto: P. Züllig)

Vielleicht müssen (auch hier) Grenzen abgebaut oder verschoben werden. Die Jagd nach dem billigsten Wein kann genauso zur Sucht führen wie die Jagd nach dem ultimativen Genuss. Beides führt zum Suchtverhalten, das man einzugrenzen und damit zu limitieren versucht. Schmerzgrenzen sind eben weit besser zu akzeptieren als das Eingeständnis, kein Wein kann alle unsere – oft sehr diffusen – Erwartungen erfüllen und unsere – meist nicht eingestandenen – Sehnsüchte stillen. Ob 15 Franken obere oder 30 Euro untere Grenze ist, tut letztlich nichts zur Sache.

Herzlich
Ihr/Euer

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER