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Michael Willkomm Michael Willkomm ist Geschäftsführer von Peter Mertes, der größten deutschen Weinkellerei. Täglich füllt sie eine Million Liter, die vom Lebensmittelhandel (LEH) und bei Discountern verkauft werden. Willkomm berichtet im Interview mit Raffaella Usai über die größte Krise im Weingeschäft seit Jahrzehnten.

Wie geht es der Weinbranche momentan? Wir hören derzeit oft, Winzer könnten nicht abfüllen, weil es an Flaschen und allen Materialien mangelt.

Willkomm: Natürlich, wir merken das auch. Als im vergangenen Sommer die ersten Berichte zum Thema Rohstoffmangel veröffentlicht wurden, habe ich mit unseren Lieferanten gesprochen und sie um Stellungnahme gebeten. Die meisten haben geantwortet, dass sie es selbst nicht genau wissen - aber es gebe deutliche Anzeichen dafür. Viele Lieferketten sind in der Pandemie komplett zusammengebrochen, Container hängen irgendwo fest, die üblichen Lieferwege sind gestört. Wir haben unsere Kunden aus dem LEH früh gewarnt, dass es zu massiven Verknappungen von Rohstoffen zur Herstellung von Kartonagen und Glas kommen wird. Trotzdem haben alle ihre üblichen Mengen bestellt. Daher habe ich meine Lieferanten um Garantien gebeten, denn ich habe ja Verantwortung gegenüber dem Handel.

Haben Sie bisher alle Aufträge erfüllen können?

Willkomm: Die bestehenden Absprachen konnten wir bislang alle erfüllen. Aber wir mussten viele neue Aufträge ablehnen.

Wie sieht es bei den Weinmengen aus? Die Ernte war in Italien, aber auch in Frankreich klein. Mussten Sie neue Lieferanten suchen oder auf andere Weine ausweichen? 

Willkomm: Vor allem bei französischen Weißweinen mussten wir umdenken. Wir hatten immer einen Bio-Chardonnay aus Frankreich im Programm, der sehr gut gelaufen ist. Aber den mussten wir überall auslisten, weil der Erzeuger nur 30 Prozent geerntet hat und die Ware für den eigenen Markt brauchte. Wir haben versucht, Fasswein aus Italien und Spanien zu bekommen, aber diesen Wein konnten wir nicht so wie bisher anbieten. In solchen Fällen versuchen wir, dem Handel eine Alternative zu geben, einen Verschnitt aus verschiedenen Rebsorten zum Beispiel. Einige haben das angenommen, andere nicht.

Das hört sich nach schwierigen Verhandlungen an.

Willkomm: In vielen Bereichen gibt es aktuell Engpässe in der Warenversorgung - auch bei den Grundnahrungsmitteln. Ein befreundeter Reis-Produzent aus Italien hat sein Lager voller Reis, findet aber keine Folie zum Verpacken. Alternativen zu finden ist schwer, denn Papier und Aluminium gibt es derzeit auch nicht. Das Problem ist: Es geht allen so. Früher hatte man die Chance, zu verschiedenen Lieferanten zu gehen. Aber aktuell gibt es gar keinen Wettbewerb mehr.

Die Verknappung der Rohstoffe hat Preissteigerungen zur Folge. Haben Sie die höheren Preise an die Kunden weitergegeben?

Willkomm: Es ist eine ständige Verhandlung und es sind immer individuelle Gespräche erforderlich. Alle wissen, dass Energiekosten und Verpackungsmaterial um 30 Prozent gestiegen sind. Entsprechend müssten auch wir unsere Preise pro Flasche um einige Cent anheben. Bei teureren Weinen fallen fünf Cent nicht ins Gewicht, aber bei eng kalkulierten Flaschen, die für 1,99 oder 2,49 Euro verkauft werden, zählt jeder Cent. Im Vergleich zu anderen Produkten, sind die höheren Preise noch am wenigsten bei Wein durchgeschlagen.

Das heißt, Ihre Marge wird in diesem Jahr geringer ausfallen?

Willkomm: Ja, absolut.

Wie sieht’s bei den Fassweinpreisen aus?

Willkomm: Durch die kleinen Ernten sind die Preise im Herbst massiv gestiegen. Wir sind dem Handel gegenüber immer transparent und die Fassweinpreise sind öffentlich. Das wird bei den Jahresgesprächen berücksichtigt. Es ist für den Handel immer gut, wenn der Lieferant eine kreative Lösung hat. Daher bemühen wir uns, der aktuellen Situation mit Flexibilität zu begegnen und den Handelspartnern innovative Lösungsansätze anzubieten.

So extrem wie in diesem Jahr war es aber noch nie. Oder?

Willkomm: Ich arbeite seit 50 Jahren in der Weinbranche. So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt.

Verzeichnen Sie seit Beginn des Ukraine-Krieges weitere Probleme?

Willkomm: Sicher, denn vor allem aus der Region Donezk kommen wichtige Rohstoffe wie das Aluminiumerz Bauxit und auch Kalk, die in der Landwirtschaft sowie auch für die Herstellung von Blech und Legierungen verwendet werden. Auch aus Russland bezieht die europäische Wirtschaft viele Rohstoffe. Mittelständische Unternehmen, die im Vergleich zu großen Konzernen viel weniger flexibel sind, haben das Nachsehen.

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