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Es ist Olympiade, eine kurze Zeit der Sportdominanz. Das Fernsehprogramm läuft auch bei mir auf Hochtouren, und das, obwohl ich mich nicht als Sportfan bezeichnen würde. Jedenfalls hält sich meine Beschäftigung mit dem Sport und die Begeisterung dafür in engen Grenzen. Vor allem die Dauerberieselung mit Superlativen bereitet mir Mühe, gerade bei der Olympia-Berichterstattung. Doch dann – in ganz bestimmten Momenten – brechen auch bei mir die Dämme: Ich freue mich, ich ärgere mich, da kann ich die (Sport-)Welt gut verstehen oder nicht mehr verstehen, und – in ganz emotionalen Augenblicken – bin ich sogar versucht, Ratschläge und Anleitungen zu geben, als ob ich es besser machen könnte. „Emotionen“, sagt soeben der Sportkommentator, „sind das, was der Sport uns geben kann!“ Und immer wieder fällt der Begriff „Momentum“. Ja, das Momentum – so scheint mir – entscheidet an einer Olympiade, an der so viel Können, Erfahrung, Übung, Einsatz, Leistung, Ehrgeiz zusammen kommen, letztlich über Sieg und Niederlage. Dies erinnert mich unglaublich stark – man verzeihe mir den Vergleich – an Situationen in der Weinszene. Zum Beispiel: Nur Weine, die Emotionen auslösen, sind wirklich gut. Oder: Wer erhält die begehrten hundert Punkte der Jury (meist selbsternannt und oft nur aus einer Person bestehend), und wer gar ist unter den Hundertpunktern der Beste?

 

Das Momentum ist bei der Olympiade ein entscheidender Faktor. (Foto: P. Züllig)

Olympiade im Bereich der Weine? Ein absurder Gedanke? Eigentlich schon, wenn nicht auch da längst ein schon fast olympisches Fieber ausgebrochen wäre. Dieses Fieber, die Weltspitze zu erreichen, dauert nicht nur 17 Tage, und es findet auch nicht bloß alle vier (oder – die Sommerolympiade mit eingerechnet – alle zwei) Jahre statt. Es ist in der weltweiten Weinszene fast allgegenwärtig. Emotionen überall! Die Begriffe, die sowohl im Sport als auch in der Weinwelt dauernd umherschwirren, sind nahezu: identisch: Gold, Silber, Bronze, vor allem aber Emotionen und ein aus dem Lateinischen hergeleitetes mysteriöses Wort, das „Momentum“. Über Gold und Silber – den Medaillensegen – habe ich vor 14 Tagen geschrieben. Was aber ist dieses eigenartige Momentum, das für Sieg und Niederlage immer wieder verantwortlich gemacht wird? Selbst das vielwissende Wikipedia kommt mit dem Begriff nicht recht klar: „Momentum gleich (Dauer einer) Bewegung und steht für ● die englische Bezeichnung der physikalischen Größe (Impuls) ● eine Chartanalyse, als Verfahren zur Analyse von Börsenkursen ● den Titel eines Films aus dem Jahre 2003 ● die Bezeichnung eines politisch-wissenschaftlicher Kongresses im österreichischen Hallstatt“. Was aber hat das alles mit Sport oder gar mit Wein zu tun?

 

Dem Urteil ausgesetzt; da entscheidet in der Regel das Momentum. (Foto: P. Züllig)

Schaut man etwas genauer hin, dann ist das Momentum doch etwas, das durchaus die Leistung eines Sportlers, eines Winzers, eines Weinkritikers oder gar das Urteil eines Konsumenten maßgebend beeinflussen kann. Nämlich dann, wenn mit Momentum der Schwung, der Elan, der augenblickliche Erfolg oder die günstige Situation umschrieben werden. „So wirkt sie denn auch, ganz ruhig – beseelt vom Momentum“, lese ich in einem aktuellen Bericht über die Bürgermeister-Kandidatin von Paris. Bis in die Politik hinein hat es also das Momentum gebracht. Es soll beseelen, beruhigen, aber auch Schwung und Elan bringen, je nachdem. Etwas, das auch die Weinszene nutzen kann und auch ausgiebig nutzt. Im Augenblick ist das Momentum günstig für den ökologischen Anbau, den Ausbau in Barriques, den so genannten Bordeaux-Blend (Assemblage von Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und meist noch einer eher regionalen Rebsorte), das Konzentrieren der Weine, für die Alkohol- und Fruchtbomben, die autochthonen Rebsorten und, und, und… Und fast wie bei Olympia sind es immer mehr Disziplinen (in Sotschi an die hundert), in denen Gold und Silber zu holen sind. Wohlgemerkt, nur wenn das Momentum auch stimmt.

 

Bordeaux-Verkostung% das Bild gleicht einer Siegerparade – es fehlt nur das Podest. (Foto: P. Züllig)

So werden bei einer Olympiade Sportarten hochgeschwemmt, für ein paar Tage oder  Wochen, über die aber schon bald niemand mehr spricht. Sie verschwinden wieder, zumindest aus dem Bewusstsein der Sportfreunde, tauchen kaum noch in den Sportnachrichten auf und müssen auf die nächste Olympiade warten. Erst dann werden sie vielleicht wieder hochgehoben auf das Podest, wo es Gold und Silber gibt.

Ist es nicht in der Weinwelt ganz ähnlich? Es gibt da zwar keine Olympiade (und auch keine Weltmeisterschaften), dafür aber Großanlässe und Messen wie ProWein, Vinexpo, Vinitaly, Wine and Spirits Fair etc., bei denen zwar (meist) kein offizieller Wettbewerb stattfindet, aber doch ein verbissener Kampf um Podestplätze, die mit dem Gold und Silber der Aufmerksamkeit belohnt werden, was viel mehr wert ist als jene dreihundert Medaillen, die bei einer Olympiade vergeben werden. Auch da spielt das so schlecht fassbare Momentum eine wichtige Rolle: Es kommen nur jene auf das Podest, die auch das Momentum nutzen (und sich so in Szene setzen, dass sie gehört, gesehen und wahrgenommen werden). Fast wie bei einer Olympiade. Über den Aufwand, die Anstrengungen, die Misserfolge, die Enttäuschungen, die vorausgegangen sind, spricht in dem Augenblick niemand. Wer das Siegerpodest erreicht, schafft damit (vielleicht) ein neues Momentum, das – wenn es gut geht – bis zum nächsten Wettkampf – lies: bis zum nächsten Weinevent  – anhalten kann. Und es ist wie überall: Sieger werden gefeiert – und schon bald wieder vergessen.

 

Weinmessen sind auch Weinolympiaden. (Foto: P. Züllig)

Doch im Bereich des Weins gibt es offiziell keine Olympiade, auch keine Weltmeisterschaften, aber immer wieder (recht viele) Anlässe, bei denen die gleichen Begriffe wie während der Olympiade fast schon inflationär auftauchen – aber wohl auch wieder rasch vergessen werden. Begriffe wie Emotionen, Momentum, Podestplätze, Sieger und Verlierer. Und wie bei einer Olympiade bin ich froh, wenn der Hype all dieser Begriffe bald wieder abklingt. Vielleicht ist dann Zeit, eine unspektakuläre Bilanz zu ziehen und nüchtern festzustellen, wo allenfalls das Momentum zu suchen ist. Für mich – abgestimmt auf meinen Geschmack – wohl einzig und allein in der Qualität eines Weins, und zwar weitgehend unabhängig vom Momentum.

Herzlich
Ihr/Euer

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