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Der etwas sperrig anmutende Begriff Sauerstoffmanagement beschreibt alle Maßnahmen, die darauf Einfluss nehmen, inwieweit der Wein oder auch bereits der Most mit Sauerstoff in Berührung kommt. Dies betrifft in erster Linie die verschiedenen Schritte der Weinbereitung, doch bereits seit Jahren beschäftigen sich Forschungsprojekte damit, wie auch während der Flaschenreife eine kontrollierte Sauerstoffzufuhr über den Verschluss die Entwicklung des Weins positiv beeinflussen kann. Große Anstrengungen in dieser Richtung unternimmt die Firma Nomacorc, Hersteller von Kunststoffverschlüssen für Weinflaschen.

Reduktion und Oxidation als Weinfehler

Ansatzpunkt für die Forschungen sind Weinfehler, die durch zu hohen oder zu geringen Sauerstoffkontakt des Weins entstehen können. Nomacorc umreißt die Problematik auf seiner Internetseite wie folgt: “Reduktion als Folge einer zu geringen Sauerstoffversorgung während der Weinherstellung und des Reifeprozesses führt zu einem verstärkten Vorkommen unerwünschter schwefelbasierter Komponenten, die  einen an faule Eier erinnernden Geruch verursachen. Bestimmte Rebsorten und Weinherstellungsarten sind stärker für Reduktion anfällig als andere, und es wird angenommen, dass Verschlüsse, durch die nur minimale Sauerstoffmengen eindringen können (z.B. Schraubverschlüsse) die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser unerwünschten Reaktion unterstützen. Zur Oxidation kommt es, wenn zu viel Sauerstoff im Wein vorhanden ist. Sie führt zu Farb- und Aromaveränderungen. Oxidation ist in den meisten Fällen auf das Einbringen einer zu großen Sauerstoffmenge bei der Weinherstellung zurückzuführen. Sie tritt häufig auf, wenn wenig Sorgfalt bei der Abfüllung auf Flaschen angewandt wird. Ursache sind häufig Verschlüsse wie Naturkorken, die Undichtigkeiten oder eine unregelmäßige Struktur aufweisen können.” Nomacorc nimmt auch Bezug auf eine Untersuchung anlässlich der “International Wine Challenge” 2008, bei der mehrere tausend Weine aus der ganzen Welt verkostet und beurteilt wurden. Dort seien sechs Prozent der Weine als fehlerhaft identifiziert worden, wobei davon 29 Prozent reduktive und 19 Prozent oxidative Fehlaromen aufgewiesen hätten.

 

Im Labor wird die Sauerstoff-Durchlässigkeit von Flaschen-verschlüssen geprüft. (Foto: Nomacorc)

2007 hat Nomacorc in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten aus sieben wichtigen Weinbauländern grundlegende Forschungsprogramme ins Leben gerufen, um nach eigenen Angaben “den Einfluss der Sauerstoffdurchlässigkeit von Verschlüssen auf die Entwicklung des Weins nach der Flaschenabfüllung” zu untersuchen. Dabei geht es darum, wie sich die Sauerstoffzufuhr durch den Flaschenverschluss auf die Chemie und die sensorischen Eigenschaften des Weins auswirkt und wie der Sauerstoffeinfluss bei der Abfüllung, die Beschaffenheit des Verschlusses und die Weinentwicklung zusammenhängen. Berücksichtigt werden laut Nomacorc auch Faktoren wie Lagerungs- und Temperaturbedingungen. Ziel der Forschungsprojekte sei es, “fundierte Kenntnisse über die Weinentwicklung nach der Flaschenabfüllung zu erwerben, um schließlich die Weinqualität verbessern zu können”.

Forschungen zeigen Sauerstoffeinfluss bei der Flaschenreife

Zu den Forschungspartnern von Nomacorc gehören das Davis Department of Viticulture and Enology an der University of California, das Institut National de la Recherche Agronomique (INRA) in Montpellier, das Australia Wine Research Institute (AWRI), das Centro de Aromas an der Pontificia Universidad Católica de Chile und die Forschungsanstalt Geisenheim. Im September 2012 hat sich dieser Kreis um das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, das Centro Ricerca e Innovazione (CRI) in San Michele all’Adige sowie die Universidad de Zaragoza erweitert. An jedem Forschungsinstitut werden andere spezifische Fragestellungen untersucht, doch immer geht es um die Menge an Sauerstoff, die durch den Verschluss in die gefüllte Flasche gelangt und die mit der so genannten Oxygen Transfer Rate (OTR) angegeben wird. Journalistin Simone Dowé fasst in einem Artikel in der Zeitschrift “Getränkeindustrie” (Ausgabe 4/2012) die wesentlichen Forschungsergebnisse zusammen: “Bei den Forschungen wurden zunächst verschiedene Produktionsverfahren auf unterschiedliche Rebsorten angewendet. Anschließend setzten die Wissenschaftler die erzeugten Weine unterschiedlichen kontrollierten Sauerstoffkonzentrationen aus, wobei sie den Sauerstoffgehalt während der Flaschenlagerung kontinuierlich mit der NomaSense-Technologie überprüften.”

 

Mit der NomaSense-Technologie kann der Sauerstoffgehalt im Wein ermittelt werden. (Foto: Nomacorc)

NomaSense ist ein von Nomacorc entwickeltes Messwerkzeug zur Bestimmung des Sauerstoff-Gesamtgehalts im Wein. Dabei misst das Analysegerät sowohl den direkt im Wein gelösten Sauerstoff als auch den gasförmigen Sauerstoff im Luftraum. Das NomaSense-Verfahren basiert auf einer Photolumineszenz-Technologie, die nach den Worten des Unternehmens eine besonders präzise Bestimmung des Sauerstoffgehalts ermöglicht, ohne dass die Flasche geöffnet werden muss. Als eines der zentralen Forschungsergebnisse nennt Dowé, “dass eine unterschiedliche Sauerstoffzufuhr während der Flaschenreifung bei Rotweinen vor allem durch die Verwendung von Verschlüssen mit variierender OTR einen durchschlagenden Effekt auf die Aromaentwicklung hat. Bei der Untersuchung von Grenache, Shiraz, Carménère und Cabernet Sauvignon unter verschiedenen Sauerstoffbedingungen haben die Studien belegt, dass die OTR ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung des Rote-Beeren-Aromas ist.” Innerhalb von zwei bis vier Jahren konnten die Forscher anhand unterschiedlicher Aromaprofile eines Weins beispielsweise eine “optimale OTR-Spanne” identifizieren, “innerhalb derer sich verstärkt Geschmacksattribute von roten und dunklen Früchten, Schokolade und Gewürzen entwickeln”.

Weinentwicklung über den Verschluss steuern

Wie Dowé weiter ausführt, kam das Australian Wine Research Institute zu dem Ergebnis, “dass das Aroma, die Farbkomposition und die sensorischen Eigenschaften von Shiraz durch die Wahl der OTR wirkungsvoll beeinflusst werden. Laut den Forschungsergebnissen werden etwa Marmeladen-, Beeren- und Schokoladennoten über einen Zeitraum von 40 Monaten in Standardflaschen bei sehr geringer Sauerstoffzufuhr während der Flaschenlagerung verstärkt. Bei Rotweinen hängt die Entwicklung von reduktiven Geschmacksfehlleistungen während der Flaschenreifung mit dem Vorkommen des Schwefelbestandteils Methylmerkaptan zusammen. Andere Schwefelkomponenten wie Schwefelwasserstoff und Dimethylsulfit spielen zudem eine Rolle. Bei der Rebsorte Carménère führten Verschlüsse mit geringeren OTRs, wie beispielsweise Schraubverschlüsse, zur Bildung von Reduktionsaromen, wie Wissenschaftler an der Pontificia Universidad Católica de Chile bestätigten. Umgekehrt entstanden bei höheren OTRs vermehrt Aromen von roten Beeren. Bei Carménère Reserve hingegen wiesen Weine, die mit Verschlüssen einer geringeren OTR verschlossen waren, intensivere Aromen von Karamell, violetten und getrockneten Früchten auf, während höhere OTRs in den Verschlüssen die Bildung von Beeren- und Tabakaromen förderten.”

Dem Artikel zufolge kann die OTR des weiteren “dazu benutzt werden, die Entwicklung von Phenolverbindungen während der Reifung in der Flasche zu kontrollieren”. Das habe das Institut National de la Recherche Agronomique (INRA) in Paris herausgefunden. “Sowohl bei Grenache-Rotweinen als auch bei Grenache-Roséweinen nahm die Farbintensität über zwei verschiedene Jahrgänge hinweg mit steigender OTR zu. Der Verlust an freiem SO2, Flavanolen und die Konversionsrate von Anthocyanen zu neuen Pigmenten [...] kann zudem durch die OTR beeinflusst werden, wie die Studienergebnisse zeigten”, so Dowé. An der Forschungsanstalt Geisenheim sei entdeckt worden, “dass das Sauerstoffmanagement bei der Abfüllung auch bei längerer Lagerung Auswirkungen zeigt – unabhängig von der Art des Verschlusses. Der Grund: Schwankungen im Sauerstoffgehalt während der Abfüllung können den Wein verändern.”

 

Auch bei der Abfüllung ist der Wein dem Sauerstoffeinfluss ausgesetzt.

Kunststoffverschlüsse mit indivdueller OTR

Auch die neuen Forschungspartner werden jeweils mit eigenen Schwerpunkten in die Projekte eingebunden: Das DLR Rheinpfalz fokussiert sich auf die Einflüsse der Weinherstellung und des Sauerstoffkontakts auf die sensorischen und chemischen Eigenschaften von Pinot Noir – vor und nach der Abfüllung. Die Forschungen am italienischen CRI sollen sich vor allem auf die Reaktion von verschiedenen Weinarten mit Sauerstoff konzentrieren, und das Analyselabor für Aromen und Önologie an der Universidad de Zaragoza beschäftigt sich mit der Erforschung von Sauerstoff-Faktoren, die das Weinaroma beeinflussen.

Vor dem Hintergrund dieser Forschungen und ihrer Resultate hat Nomacorc eine Reihe von Kunststoff-Weinverschlüssen entwickelt, die laut Produktbeschreibung “eine gleichmäßige und vorhersehbare Sauerstoffversorgung gewährleisten” und in einem patentierten Koextrusionsverfahren hergestellt werden. Sie bestehen aus einem flexiblen Schaumkern und einer abdichtenden, festeren Außenhülle.

Querschnitt durch einen Nomacorc-Verschluss: Schaumkern und Außenhülle sind fest miteinender verbunden. (Foto: Nomacorc)

Die Verschlüsse sind so konzipiert, dass sie pro Zeiteinheit eine genau berechnete Menge an Luftsauerstoff hindurch lassen und somit gemäß Herstellerangaben einen zielgerichteten Einfluss auf die Weinentwicklung ermöglichen. Die Produktlinien “Light”, “Smart+” und “Classic+” haben eine konstante, fest definierte OTR, wobei auf einen besonders niedrigen kalkulierten Sauerstoffeintrag Wert gelegt wird. Die “Select Series”-Verschlüsse mit vier Typen, die sich unter anderem in Durchmesser und Dichte unterscheiden und jeweils in drei Längenvarianten erhältlich sind, lassen den Wein gezielt mit unterschiedlicher Einwirkung des Sauerstoffs reifen.

Schraubverschlüsse mit Spezialdichtung

Kunststoffpfropfen sind indessen nicht die einzige Verschlussvariante, um die Sauerstoffversorgung in der Flasche planvoll zu regeln. Die Firma VinPerfect bietet einen modifizierten Schraubverschluss an, der in seiner Verschlusskappe mikroskopisch kleine Löcher enthält, durch die Luft hindurch treten kann. In den Aluminiumverschluss ist eine spezielle Dichtung eingebracht, die einen Verbund aus mehreren Lagen Kunststoff darstellt (Polyethylen und Polyester, teilweise mit Aluminium ummantelt). Diese Dichtung sorgt dafür, dass eine konstante, definierte Menge an Sauerstoff durch den Verschluss gelangt. “VinPerfect verbindet die Verlässlichkeit eines Schraubverschlusses mit der Sauerstoffdurchlässigkeit von Korken, aber in einem kontrollierten Maß”, sagt VinPerfect-Vorstandsmitglied Scott McLeod. Auch VinPerfect forscht in Sachen Sauerstoffmanagement und wirbt damit, dass Weinerzeuger mit den speziellen Schraubverschlüssen die Reifung ihrer Weine nach der Abfüllung steuern könnten: “Der Verschluss kann so ausgewählt werden, dass er die zugeführte Sauerstoffmenge auf die beabsichtigte Lagerfähigkeit des Weins abstimmt.” Es sei demzufolge möglich, den Verschluss an die vorgesehene Haltbarkeit eines Weins anzupassen bzw. diese über die Sauerstoffdurchlässigkeit des Verschlusses festzulegen.

Sowohl VinPerfect als auch Nomacorc heben somit darauf ab, dass sich über die Steuerung des Sauerstofftransfers während der Flaschenreife die Entwicklung und die Lebensdauer des Weins aktiv beeinflussen ließen. Nach Aussage von Simone Dowé “leistet das Sauerstoffmanagement nicht nur einen Beitrag zur Kontrolle von unerwünschten Aromastoffen wie Reduktion und Oxidation. Mit der Anwendung von Sauerstoffmanagement-Strategien, insbesondere mit der Auswahl von Verschlüssen mit der richtigen OTR, ist es auch möglich, sensorische Attribute zu fördern, die vom Konsumenten geschätzt werden. Lagerfähige Weine können so auch bis zu zehn Jahre garantiert und ohne Aromafehler reifen.” Wenn allerdings über den Verschluss gezielt auf bestimmte Aromenausprägungen Einfluss genommen wird, entsteht der Wein nicht, wie von naturnah arbeitenden Winzern praktiziert und propagiert, im Weinberg und auch nur ansatzweise im Keller – sondern er nimmt gewissermaßen erst in der Flasche Gestalt an.

 

Die Produktion von Flaschenverschlüssen mit definierter OTR erfordert eine sorgfältige Qualitätskontrolle. (Foto: Nomacorc)

Sauerstoffmanagement beim Weinkauf unwichtig

Für die Konsumenten ist das Thema kontrollierte Sauerstoffversorgung in der Flasche dagegen schwer zu fassen. “Sauerstoffmanagement sagt dem Kunden maximal etwas über den alten Spruch ‘der Wein muss atmen’, aber eine echte Vorstellung davon, was da passieren soll, hat kaum ein Kunde”, meint Weinhändler Armin Busch von K&M Gutsweine in Frankfurt. Beim Weinkauf stehen eher praktisch-funktionale Aspekte im Vordergrund, etwa, ob sich die Flasche ohne Hilfsmittel öffnen lässt. Auch die Fehleranfälligkeit mit Blick auf die Gefahr eines Korkschmeckers und das Image des Verschlusses spielen eine große Rolle. “Frauen sind eher erfreut über Schrauber, die Flasche geht leichter auf und man kann sie wieder verschließen. Weißwein, der von den meisten Kunden jung getrunken wird, wird noch leichter mit Schrauber akzeptiert, bei Rotweinen, insbesondere solchen, die reifen und lagern können oder sollen, wird eher noch auf den Kork wert gelegt”, berichtet Busch. Diese Beobachtung bestätigt Kai Buhrfeindt, Sommelier und Inhaber des Frankfurter Weinrestaurants “Grand Cru”, der hin und wieder zu hören bekommt, “dass es für einen romantischen Abend zu zweit vor dem Kamin mit einer Flasche guten Rotweins schon eher das ‘Ploppgefühl’ mit Naturkork sein müsste”. Sind also mögliche Verbesserungen bei der Reifefähigkeit eines Weins dem Verbraucher egal?

Sicher nicht, denn verdorbene oder stinkende Weine mag niemand trinken. Doch die Forschungsergebnisse zur gezielten Sauerstoffversorgung des Weins nach der Abfüllung sind noch jung und eher wenig bekannt. Den Weinproduzenten mögen die Spezialverschlüsse neue Möglichkeiten eröffnen, doch diese müssen nicht zuletzt zu ihrer Philosophie passen, und jeder Verschluss hat seine Vor- und Nachteile. Armin Busch denkt, “dass der Winzer sich Gedanken bezüglich des Sauerstoffmanagements vor der Füllung machen sollte, gerade auch im Hinblick auf den dann verwendeten Verschluss.” Darauf verweist auch Rüdiger Meyer, Sommelier und Weinberater aus Pähl am Ammersee: “Weine mit Schrauber dürfen nicht so reduktiv ausgebaut sein wie bei anderen Verschlüssen.” Meyer hält Verschlüsse mit vorbestimmter OTR “im Prinzip für alle” Arten von Wein für sinnvoll, “man muss nur die Weinherstellung anpassen”. Weinhändler Busch äußert sich einschränkend: “Ich könnte mir vorstellen, dass das allgemein für reifefähige Weine interessant sein könnte. Ob sich ein hoher Aufwand in der Fertigung da aber wirklich lohnt?”

 

Aus Verbrauchersicht sind bei Weinverschlüssen andere Kriterien wichtiger als das Sauerstoffmanagement in der Flasche. (Foto: DWI)

Wirkung erst nach langer Lagerzeit

Diese Frage ist zumindest insoweit berechtigt, als eine kontrollierte Sauerstoffzufuhr über den Verschluss tatsächlich nur bei bestimmten Weinen Sinn hat. “Über den Flaschenverschluss die Weinentwicklung zu steuern, ist nur in sehr begrenztem Umfang möglich”, sagt Professor Dr. Rainer Jung, stellvertretender Leiter des Fachgebiets Kellerwirtschaft an der Forschungsanstalt Geisenheim. “Zwar verwenden die Hersteller entsprechender Verschlüsse das kontrollierte Sauerstoffmanagement als Verkaufsargument, doch in dieser Phase – also nach der Abfüllung – ist die Beeinflussung des Weins über eine fest definierte Sauerstoffversorgung kaum relevant.” Jung zufolge kommt es auf andere Faktoren an, und er erklärt die Zusammenhänge:

“Der Wein nimmt während seines gesamten Produktionsprozesses Sauerstoff auf. Bereits wenn der Most frei abläuft, reagiert er mit der Luft und wird braun, weil Oxidationsenzyme zu wirken beginnen. Die bräunliche Färbung kommt chemisch von bestimmten phenolischen Inhaltsstoffen, die oxidiert werden. Das ist ist ein ganz normaler Vorgang und gar nicht schlimm – im Gegenteil: Die Hefe braucht Sauerstoff, um sich zu vermehren und zu arbeiten, und je mehr Hefe vorhanden ist, desto sicherer verläuft die Gärung. Die Gärung selbst ist ein reduktiver Prozess (also gegenläufig zur Oxidation), und der Wein wird wieder hell. Ließe man ihn nach der Gärung schutzlos stehen, würde auch er wieder braun, weil dann wiederum eine Oxidation einsetzte. Um zu verhindern, dass der Wein mit dem Luftsauerstoff reagiert, hält man erstens den Kopfraum im Tank oder Fass (also den freien Raum zwischen der Flüssigkeitsoberfläche und der oberen Wand des Behältnisses) möglichst klein und fügt zweitens dem jungen Wein schweflige Säure zu. Damit werden viele Lebensmittel haltbar gemacht, und im Wein kommt nur eine vergleichsweise sehr geringe Menge von 100 bis 150 Milligram pro Liter zum Einsatz. Die schweflige Säure hat mehrere Effekte: Sie hemmt Mikroorganisamen und bindet bestimmte geschmacksrelevante Stoffe, die Oxidationsnoten hervorrufen (etwa Acetaldehyd). Entscheidend ist die so genannte freie schweflige Säure. Sie sorgt dafür, dass der Wein stabil bleibt, denn sie macht oxidative Reaktionen wieder rückgängig. Erst wenn die gesamte freie schweflige Säure im Wein gebunden ist, beginnt er sich aromatisch zu verändern.

Auch beim Filtrieren und Abfüllen ist der Wein dem Luftsauerstoff ausgesetzt. Bei der Abfüllung kann man durch die Wahl des Verfahrens die Sauerstoffaufnahme beeinflussen. Abfüllmaschinen, bei denen ein kurzes Rohr in den Flaschenhals fährt und der Wein dann an der Innenwand hinunterläuft, führen ihm mehr Sauerstoff zu als Maschinen, bei denen ein langes Rohr fast bis auf den Flaschenboden fährt und die Flasche von unten nach oben befüllt wird. Welches Verfahren angewandt wird, hat aber auch wirtschaftliche Gründe, denn die Abfüllung mit kurzem Rohr geht schneller. Nach dem Füllen wird meistens der Kopfraum der Flasche inertisiert, das heißt mit einem Gas gefüllt, das den Wein gewissermaßen vor dem Luftsauerstoff abschirmt; oft ist das Kohlendioxid oder Stickstoff. Wenn jedoch der Flaschen-Kopfraum nicht inertisiert wird, birgt der dort verbleibende Sauerstoff eine große Oxidationsgefahr. Dazu ein Rechenbeispiel: Wenn der Wein mit 100 Milligramm schwefliger Säure pro Liter versetzt wurde, bedeutet das 40 bis 50 Milligramm freie schweflige Säure pro Liter. Sind im Kopfraum 15 oder 20 Milliliter Luft, reduziert sich die freie schweflige innerhalb der erste drei Monate nach der Füllung auf etwa 20 Milligramm pro Liter, als um rund die Hälfte. Und weniger freie schweflige Säure bedeutet, dass der Wein schneller reifen und sich damit schneller aromatisch verändern wird.

Es ist also von viel größerer Bedeutung, ob der Flaschen-Kopfraum inertisiert wurde, als den Sauerstoffeinfluss über die Verschlusswahl zu steuern. Natürlich hat jeder Flaschenverschluss einen bestimmten Sauerstoffdurchgang, ob kalkuliert oder nicht, und es gibt sehr dichte und weniger dichte Verschlüsse. Im schlechten Fall verringert sich durch den Sauerstoffdurchgang die freie schweflige Säure um etwa 10 bis 15 Milligramm pro Liter in einem Jahr der Lagerung, im guten Fall lediglich um zwei Milligramm je Liter und Jahr. 90 bis 95 Prozent der in Deutschland verkauften Weine werden jedoch in den ersten zwei Jahren nach der Füllung getrunken, das heißt, bei den allermeisten Weinen ist es völlig egal, womit die Flasche verschlossen ist, denn der Effekt, den der unterschiedliche Sauerstoffdurchgang der einzelnen Verschlussarten hat, würde sich erst nach einer Lagerzeit bemerkbar machen, die der weitaus größte Teil der Weine gar nicht erreicht.”

 

Die Lagerbedingungen beeinflussen die Entwicklung eines Weins stärker als der Flaschenverschluss.

Jung weist noch auf einen anderen Punkt hin: “Sobald der abgefüllte Wein verkauft ist, kann der Winzer seine Entwicklung ohnehin nicht mehr beeinflussen. Da ist der Sauerstoffeinfluss durch den Verschluss das geringste Problem. Nach dem Verkauf steht die eine Flasche beim Weinhändler im Regal und bekommt Neon- oder Tageslicht ab, eine andere Flasche lagert bei einem Weinliebhaber im kühlen, dunklen Keller, eine dritte wird von einem Konsumenten in der Kühle in der Nähe des Fensters oder neben der Heizung aufbewahrt - und die Temperatur und zu einem gewissen Grad auch das Licht wirken sich auf die Entwicklung eines Weins viel stärker aus als der Lufteinfluss über die Zeit. Theoretisch müsste der Erzeuger den Wein selbst sachgerecht lagern, und der Verbraucher dürfte ihn erst trinkfertig kaufen, aber das ist ja nicht wirklich machbar. Wenn der Winzer die Lagerung des abgefüllten Weins aus der Hand gibt oder dem Zufall überlässt, sind die Bedingungen unkalkulierbar, doch damit der Effekt einer kontrollierten Sauerstoffversorgung zum Tragen kommen könnte, müssten sie so stabil wie möglich sein.”

Das Sauerstoffmanagement über den Verschluss wird also laut Jung erst nach mehreren Jahren Lagerzeit relevant, und die meisten Weine werden weit vor dieser Zeit konsumiert. Darüber hinaus stehe bei den Weinen, die so lange reifen, das Image der Verschlussart vor der Funktionalität: “Wenn Sie einen Château Pétrus von 1985 haben, dann erwarten Sie in der Flasche einen Naturkorken, nichts anderes. Ob ein Kunststoff- oder Schraubverschluss da eine besser berechenbare Entwicklung verspräche, ist vollkommen gleichgültig.”

Zum Magazinartikel "Drehverschluss wird salonfähig"

Zum Magazinartikel "Die häufigsten Verschlüsse"

Zum Magazinartikel "Winzer- und Verbandsstimmen zu Verschlüssen"

Zum Magazinartikel "Kein perfekter Verschluss für alle Weintypen"

Zur Website "Verschlusssache Wein"

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