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Es ist ein Glücksspiel, das tödlich enden kann. Die Chancen stehen eins zu … (je nach Revolver). Doch hier geht es nicht um Menschen, es geht um Weine, die vielleicht – bei schlechtem Ausgang – als „Leichen“ entsorgt werden müssen Die Spieler selber bleiben gesund – aber nicht immer ganz munter. Und trotzdem wird das Spiel immer wieder gespielt. Der Einsatz ist ab und zu hoch, so hoch, dass er auch schmerzen kann.

 

Jung- und Altweine% bereit zum Aufmarsch in eine Degustation (Foto: P. Züllig)

Beim einem glücklichen Ausgang des Spiels ist ein jeder Weinliebhaber stolz, einmal im Leben einen Pétrus 1945 getrunken zu haben, einen Cheval Blanc 1947, einen Lafite-Rothschild 1928 oder gar einen Margaux 1900. In der Welt der großen Weinexperten und -liebhaber wird das Spiel immer wieder gespielt, mit allen sogenannt guten Jahrgängen, mit allen Spitzenweinen der alten Weinwelt. So kenne ich eine ganze Reihe von Weinfreunden – darunter natürlich auch Weinpäpste –, die ihre Alttrophäen gar nicht mehr zählen können. Bestenfalls haben sie ihre Erlebnisse in Punkten, oft auch in Verkostungsnotizen festgehalten und/oder veröffentlicht. In der Regel sind es große Namen, die man mit Altweinen verbindet, keine „grauen Mäuse in grauen Kleidern“, von denen niemand spricht. Besonders häufig werden die Weine aus dem Bordelais zum Russischen Roulette gebeten, wohl aus weinkulturhistorischer Tradition. Hat man doch die Bordeauxweine – vom linken Ufer – bereits 1855 anlässlich der ersten Weltausstellung in Paris klassifiziert, und zwar aufgrund der erzielten Preise in den vorangehenden hundert Jahren.

 

Degustation mit der „Revue du Vin de France“ – auf den Spuren alter Weine (Foto: P. Züllig)

Auch ich träume in weinseligen Stunden oft vom großen Glück, einen Uraltwein verkosten oder gar trinken und schließlich bewundern zu dürfen. Der älteste Wein, den ich je verkostet habe (vor elf Jahren bei einer Degustation der „Revue du Vin de France“ anlässlich des Jahrtausendwechsels), war ein Grave Trigant de Boisset, 1921, also keiner der ganz großen Namen. Und trotzdem ein fantastischer Uraltwein. Er regte in mir den Appetit an auf mehr, auf neue Nuancen eines Erlebnisses, das ich nie vergessen werde. Seither bin ich bekennender Altweintrinker.

Es ist nicht ganz einfach, diesem Bekenntnis Taten folgen zu lassen. Nicht jeder alte Wein ist auch ein „Altwein“. Alt zwar schon, aber nicht ausgestattet mit subtilen Aromen, mit Reifeschmelz, deutlich veränderter Säurestruktur, viel Kräutern, tiefer Süße und einer feinen Palette von Fruchtaromen. Ich merke, es ist schwierig, die besonderen Eigenschaften, die Einmaligkeit von Altweinen zu beschreiben. Sommelier Michael Lippert schreibt zum Thema Altwein in seinem Blog: „Altwein schmeckt anders. [...] Meine Erfahrung in vielen Seminaren und Diskussionen zeigt mir, dass kaum jemand eine Vorstellung davon hat, wie reifer Wein schmeckt. Und viele können sich dafür auch nicht wirklich begeistern.“

 

Uraltweine im Keller von Château Clos Fourtet% Saint Emilion (Foto: P. Züllig)

In einem Punkt ist man sich aber einig: Reifen Weinen zollt man Respekt. Dieser Respekt, ja, sogar eine gewisse Ehrfurcht machen Weine zwar nicht genussvoller, aber letztlich bedeutender. 1961 ist ein bedeutendes Weinjahr im Bordelais. Da gibt es schon mal glänzende Äugelein vor einem mit 61er-Wein gefüllten Glas. Halt! Noch etwas: 1961, also vor fünfzig Jahren, bestand ich gerade die Matura (Abitur), hatte den ersten unendlich großen Liebeskummer, musste in die Rekrutenschule einrücken, saß zum ersten Mal (staunend) in einer Vorlesung über deutschen Barock. Und noch etwas: 1961 drang Juri Gagarin als erster Mensch in den Weltraum vor, wurde in Deutschland die Mauer gebaut, trat John F. Kennedy sein Amt als Präsident der USA an, wurde der Sendebetrieb des ZDF aufgenommen, und, und, und. Wein vermittelt zwar nicht Geschichte, er kann aber als „Zeitzeuge“ Geschichte lebendig werden lassen. In der Erinnerung oder im Wissen längst verblasster Ereignisse tauchen Begebenheiten wieder auf, kehren zurück in unser Leben… im guten Fall sogar als Genuss.

Eigentlich kann man sich beim Trinken von Altweinen der geschichtlichen Dimension nie verschließen. Wenn diese dann noch mit Weingenuss verbunden ist, möglicherweise sogar mit einem sogenannten Jahrhundertjahrgang, kann ein Mythos entstehen, der für viele Weinliebhaber zum Traum der Träume wird, zum Einmal-im-Leben.

 

Altweinrunde in Bonn: auf der Suche nach Altweinerfahrungen (Foto: P. Züllig)

Nun aber kommt die Kehrseite des Verlangens. Alte Weine werden immer rarer, sei es, weil sie inzwischen getrunken, in Schatzkammern verschwunden oder ungenießbar geworden sind. Getreu den Marktgesetzen wird seltene und gefragte Ware immer teurer. In Hong Kong versteigerte das Auktionshaus Christie’s kürzlich 300 Flaschen Lafite Rothschild aus den Jahren 1981 bis 2005 für mehr als fünf Millionen Euro, also durchschnittlich für 17.000 Euro die Flasche. Dabei sind dies noch gar keine Uraltweine.

Kein Wunder, dass Altweintrinken zum kostspieligen Glücksspiel geworden ist. Das mit den ominösen Kellerfunden – Keller aus den Jahren 45, 47, 55, 61 sind längst geleert – hat sich auch seit Langem erledigt. Echte Goldgräberkeller sind rar geworden.

Wo es um viel Geld geht, kommen auch die Falschspieler aufs Parkett. Gefälschte Weine der Spitzenklasse sind mehr im Umlauf, als wir denken. Gerade weil das Geschäft mit teuren Weinen so unüberschaubar geworden ist – teure Weine reisen oft mehrmals rund um die Welt –, vor allem aber weil gute Fälschungen nur schwer zu erkennen sind, bewegen wir uns hier in einem Graubereich, der jedes Spiel mit Altweinen zum Russischen Roulette macht: Weinfälschungen oder/und abgebaute, oft gar ungenießbare Weine, die man meist für viel Geld erworben hat. Die Wahrheit – zumindest bezüglich des Genusspotentials – entscheidet sich erst beim Ploppen des Korkens (sofern es überhaupt noch ploppt!). Dann aber nimmt das Schicksal seinen Lauf.

 

Drei teure% aber schlechte% untrinkbare Weine – wohl gefälscht (Foto: P. Züllig)

Glück oder Pech. Wie gesagt, es gibt dabei nur Weinleichen und oft geprellte Menschen. Geprellt um Geld und um den Glauben, um die Hoffnung, ein Stück Weingeschichte erleben zu können.

Selbst mir, als bekennendem Altweintrinker, ist dieses Spiel zu gefährlich geworden. Mit den Größen der Weingeschichte lässt sich nicht so einfach spielen. Aber mit Kleinen, die irgendwo und irgendwie überlebt haben, meist weil sie klein sind, entwickelt sich oft ein unglaubliches Liebesspiel. Ein kleiner Cos Labory 1947 wird zur echten Altweinentdeckung. Ein Figeac 1959 offenbart – für mich – seine Qualität. Es sind meist die „Kellerkinder“, welche die Altweintrinker glücklich machen und sie davon abhalten, Russisches Roulette zu spielen. Denn die Erfahrung, dass selbst bei sorgfältiger Auswahl von drei Weinen bestenfalls nur einer noch genießbar ist, gehört zum Alltag der Altweintrinker. Glück – auch Weinglück – ist nur selten berechenbar.

Herzlich
Ihr/Euer

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