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Wie die Colli Fiorentini, Carmignano oder die nördlichen Hügel des Chianti Classico war auch die Rùfina in fester Hand wohlhabender Bürger und Adliger von Florenz. Dort besaßen sie ihre Villen, Schlösser und Fattorien, wo sie zur Jagd gingen und sich im Sommer vor der städtischen Hitze flüchteten.

Die Gutsverwalter sorgten zum Rechten und dafür, dass sie selbst nicht zu kurz kamen. Wer damals Ländereien besaß, hatte nur Rechte, aber keine Pflichten. Die Mezzadria - Halbpacht - war dazu da, den Besitzer reichlich mit Wein, Olivenöl, Korn und Fleisch zu versorgen, ohne dass er sich um etwas zu kümmern brauchte. Mit dem Niedergang dieser feudalen Zustände in den 60er- und 70er- Jahren sahen sich die Besitzer, Anwälte, Händler, Bankiers, Professoren, Adlige, plötzlich gezwungen, landwirtschaftliche Unternehmer zu werden: Nicht nur Einnahmen waren zu verbuchen… da die Bauern nicht mehr gratis arbeiteten, entstanden plötzlich massive Kosten.

Der Weiler Frascole bei Dicomano


Ein überforderter Landbesitzer nach dem anderen wusste sich vor den kapitalfressenden Kosten nicht anders zu helfen als sich schleunigst seiner Landgüter zu entledigen. In den 70er- Jahren fand vor allem im Chianti Classico der große Handwechsel statt. Oftmals verblieb den alten Besitzern noch der zentrale Kern des ehemaligen Großgrundbesitzes. Um die Villa zu halten, wurden die Bauernhäuser ringsum - Poderi -, eines um das andere, veräußert. Kein Barone und kein Marchese kam ungeschoren davon. Außer… außer die Frescobaldi.

Auch die Frescobaldi-Dynastie riskierte, das letzte Kapitel ihrer 700-jährigen Geschichte als Großgrundbesitzer aufzuschlagen. Während die meisten Besitzer hilflos die Arme hängen ließen, erkannte der junge Vittorio Frescobaldi jedoch rechtzeitig, dass er der sozialen Revolution vorauseilen musste, wollte er sich nicht von ihr überrollen lassen. Wollte er die Kosten auffangen, musste er seine Erzeugnisse, vor allem war da der Wein, möglichst gewinnbringend absetzen. Die Frescobaldi hatten das Glück, im richtigen Moment den richtigen Mann am Ruder zu haben. Vittorio, der Präsident des Familienunternehmens, besaß etwas, was den meisten damaligen Großgrundbesitzern abging: die Gabe des unternehmerischen Denkens. Während die Ländereien der Nachbarn verwilderten oder den Besitzer wechselten, entstaubte er die spätmittelalterlichen Strukturen der Marchesi de' Frescobaldi und ermöglichte den erfolgreichen Übergang in die moderne Marktwirtschaft.

Tiziana und Lamberto Frescobaldi. Sie kümmert sich um die Kommunikation% Lamberto um die Technik im Familienkonzern.

Dort, wo die Frescobaldi ihren schönsten Besitz haben - das Schloss Nipozzano in der Rùfina -, scheint die Zeit rundum stehen geblieben zu sein. Der Ausverkauf der landwirtschaftlichen Immobilien hat nie stattgefunden. Von zwei, drei Ausnahmen abgesehen, sind die Besitzer einheimisch geblieben.

Global und local players

Frescobaldi ist der größte Produzent der Gegend, fast 50 Prozent der Rùfina-Produktion werden unter der Marke Nipozzano vermarktet. Wäre Frescobaldi kennzeichnend für die Rùfina, müsste man die Appellation als „modern" bezeichnen.

Trotz der starken wirtschaftlichen Präsenz des Familienunternehmens scheint dieses aber eher eine Art Enklave in diesem, an das Chianti Classico vor 20 Jahren erinnernden, Weingebiet darzustellen. Obschon die Frescobaldi betonen, zur Appellation Rùfina zu stehen und Ferdinando Frescobaldi während zwölf Jahren dem Konsortium vorstand, liegt eine weinkulturelle Generation zwischen den adligen Weinunternehmern und der anderen Hälfte der Appellation. Im positiven wie im negativen Sinne. 20 Millionen im maßgeschneidert-internationalen Stil vermarktete Frescobaldi-Flaschen aus einem halben Dutzend in der ganzen Toskana verteilten Weingütern passen so gar nicht zur bäuerlichen Realität der Rùfina.

Obschon die Rùfina unbestritten zu den Anbaugebieten mit den besten klimatischen Voraussetzungen der Toskana gehört, blieb sie praktisch unbeachtet. Der Toskana-Boom der 90er- Jahre ging an der Rùfina unbemerkt vorbei. Ganze zwei Dutzend Produzenten füllen Chianti Rùfina DOCG ab, davon vier Handelshäuser und eine Cantina Sociale. Zu den knapp 20 Selbstvermarktern gehören alte Adelsfamilien, die auf Stammbäume bis ins tiefe Mittel-alter zurückblicken können, Bilderbuchbetriebe, die mit nichtlandwirtschaftlichen Einkommen herausgeputzt werden, einige größere, wirtschaftlich eigenständige Fattorien mit 100 000 bis 200 000 Flaschen und Kleinproduzenten mit 15 000 bis 50 000 Flaschen, die nur dank massiver Selbstausbeutung mehr schlecht als recht über die Runden kommen.

Wirklich Geld in die landwirtschaftliche Betriebskasse bringen nur das Vermieten von Ferienwohnungen und - wenn die Schulden zu bedrohlich werden - der Verkauf von Besitzungen.


Der Wein der Rùfina ist unterbewertet: Denn trotz der für den Sangiovese hervorragenden Anbaubedingungen sind die Flaschenpreise tief und heben sich nicht merklich von denen des normalen Chianti ab. Nicht nur für die Trauben, auch für die Oliven herrschen hier besonders gute Bedingungen: Das Olivenöl der Rùfina gehört zu den besten der Toskana. Zu den meisten Betrieben gehören Tausende von Olivenbäumen und die genossenschaftliche Ölmühle in Pelago arbeitet nach modernsten Qualitätsvorstellungen. Nur: Mit Olivenöl lässt sich heute kein Geld verdienen, auch dann nicht, wenn es überdurchschnittlich gut ist.

Zentrum der italienischen Weinwelt

Ende des 19ten Jahrhunderts erlangte Pontassieve - Tor zur Rùfina und Brückenstadt am Einfluss der Sieve in den Arno - plötzlich Bedeutung als Eisenbahnknoten. Die Bahnlinie nach Rom folgte damals dem Arno und kam bei Pontassieve vorbei. Erst wurde die von Florenz kommende Linie nach Arezzo fertiggestellt, später kam die nach Borgo San Lorenzo hinzu.

Die günstigen Verkehrsbedingungen zogen Industrie und Handel an: Eine Eisenbahnwerkstätte entstand, Glasfabriken und Zementwerke. Auch der Weinhandel blühte auf, entlang der Bahnlinie reihten sich bald die Handelskellereien. In den Nachkriegsjahren sollen hier an die 50 Weinhäuser ansässig gewesen sein. Pontassieve war Umschlagsplatz für Wein aller Herren Regionen. Nicht Siena, Florenz oder gar Montalcino waren in diesen Tagen die Zentren des Weins, sondern Pontas-sieve. Es war auch Pontassieve, das Florenz mit Wein versorgte. Mit dem „carro matto", dem verrückten Wagen, wurden die „Fiaschi" in die 20 Kilometer entfernte Stadt gefahren. Einer dieser verrückten Wagen steht im Weinmuseum von Poggio Reale in Rùfina: 2800 Fiaschi zu 2,5 Liter, das sind immerhin siebentausend Liter Wein, wurden pro Fahrt auf überaus riskante Weise nach Florenz gefahren.

Der Fiasco, die bauchige, strohumwickelte Glasflasche, wurde im Jahr 1877 in Pontassieve erstmals industriell hergestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden diese Flaschen von Mund geblasen, waren ziemlich zerbrechlich und der Wein musste mit einer Schicht Öl vor Oxidation geschützt werden. Deshalb wurde ein Fiasco entwickelt, der dem Druck des Korkens standhielt. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Export von Chianti und allen Weins, der unter diesem Namen das Land verließ, entscheidend vereinfacht. In den 70er- und 80er- Jahren wurde der Fiasco, der bereits seit dem 15. Jahrhundert als Weingefäß im Gebrauch war, immer mehr zum Symbol für schlechte Qualität.

Der Fiasco - Inbegriff für schlechte Qualität

Aber die Rùfina war nicht nur eine Drehscheibe für den Handel mit Weinen aus ganz Italien. An den Hängen des Arno- und des Sieve-Tals bis hoch nach Pomino fand Weinbau seit jeher statt, verbürgt ist er seit dem 15. Jahrhundert. Ein Dokument aus dem Jahr 1921 belegt, dass damals im Rùfina-Gebiet 2,6 Millionen Liter Wein erzeugt wurden, zufälligerweise entspricht das etwa der Menge des heutigen Chianti Rùfina DOCG. Bereits 200 Jahre zuvor wurde für den Wein dieser Gegend eine eigentliche Appellation geschaffen: Zusammen mit Chianti, Val d'Arno di Sopra und Carmignano wurde die Bezeichnung „Pomino" vom Bando des Großherzogs Cosimo III de' Medici vom 24 September 1716 geschützt und die Grenzen des Anbaugebietes festgelegt. Mit „Pomino" war nicht nur das heutige, sehr kleine Pomino-Anbaugebiet gemeint, sondern die DOC-Gebiete Pomino und Rùfina zusammen. Bereits vor 300 Jahren wurde die Rùfina somit als „Terroir" für Weine besonderer Qualität ausgezeichnet.

Zu Zeiten der Medici wurde viel Weißwein getrunken. Deshalb wurden in der Toskana vorwiegend Trebbiano und Malvasia erzeugt. Nur wenige Weingegenden, vor allem Chianti Classico, Carmignano und Pomino-Rùfina, erzeugten damals geschätzte Rotweine. Rùfina-Weine hatten immer den Ruf, besonders strukturiert und haltbar zu sein und waren den Weinen von Gaiole, Radda und Castellina ebenbürtig. Eine erfolgreiche Karriere als Terroir für Spitzenweine wäre der Rùfina sicher gewesen, wenn es in den 70er- und Anfang der 80er- Jahre anders gelaufen wäre. Das waren die Zeiten des Weinbooms und die Abfüller hatten großen Bedarf an Wein.

Die Landbenutzer nutzten die Gelegenheit, um ihre Mischwirtschaft, in der Olivenbäume und Reben noch nebeneinanderstanden, auf Massenproduktion umzustellen. Traktorgängige Rebplantagen wurden mit fruchtbaren Klonen bepflanzt. Nicht Charakter war gefragt, sondern Menge. Das ging gut bis zum Methanolskandal im Jahr 1986, als aus dem Boom mit einem Schlag eine Krise wurde. Von diesem wirtschaftlichen Rückschlag hat sich die Rùfina bis heute nicht ganz erholt. Denn die Krise nahm den Landwirten alles, was ihnen ein Einkommen hätte bringen können. Dass die Situation auch heute noch eng ist, ist überall dort sichtbar, wo die Besitzer zur Hauptsache von Einkommen aus der Landwirtschaft, sprich: vom Weinbau, leben. Noch wurde erst ein Teil der ehemaligen Massenanlagen durch dichtere Pflanzungen mit besseren Klonen ersetzt.

Maschinengercheter Weinberg - der Boden ist frisch bearbeitet

Ein massiver Qualitätsaufschwung wurde in den letzten zehn Jahren trotzdem erzielt, aber nur deshalb, weil die Erträge unwirtschaftlich tief gehalten werden. Mehr als 4000 bis 6000 Kilo Trauben pro Hektar - je nach Zustand des Weinbergs - darf ein Winzer in den alten Anlagen nicht erzeugen, will er nicht mit Qualitätseinbussen rechnen. Lorenzo Mariani (I Veroni): „Unser Ziel ist im Moment nicht, mit dem Wein Geld zu verdienen, sondern nicht zu viel zu verlieren. Wir haben unsere 15 Hektar neu angelegt und die Keller erneuert. Das sind Investitionen, die unvermeidlich waren, aber schwer wiegen. Wenn wir seit einigen Jahren trotz der schwierigen Situation eine deutliche Verbesserung der Rùfina-Weine beobachten, dann ist dafür der Generationenwechsel verantwortlich."

Hier geht es zum zweiten Teil

Hier geht es zum dritten Teil

Der vorstehende Artikel wurde uns freundlicherweise von der Merum-Redaktion zur Verfügung gestellt. Vielen Dank hierfür. Wenn Sie ein Abo der Merum bestellen möchten, können Sie das hier machen:

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