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Die deutschen Bio-Winzerinnen Dr. Eva Vollmer und Hanneke Schönhals aus Rheinhessen wollen pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwis) mit ihrem Projekt „Zukunftsweine“ mehr Anerkennung und Popularität verschaffen. Im Interview mit Kristine Bäder erzählen sie, warum es neue Rebsorten in der Weinszene so schwer haben.

Nie waren Piwis populärer als aktuell. Wieso ist die deutsche Weinszene trotzdem so wenig neugierig auf sie?

Hanneke Schönhals

Schönhals: Die deutsche Weinbranche ist sehr traditionsliebend. Deutschland ist ein absolut Rebsorten-orientiertes Land. Nicht nur im Anbau sondern auch beim Verbraucher. Neugier auf Neues ist nicht eben in die Branche hineingeboren. Die müssen wir erst hineinbringen. Die Branche wird in Deutschland vorwiegend von einer kleineren Weinelite geprägt und repräsentiert, die nur einen geringen Prozentsatz ausmacht. Das ist auch nicht schlecht, sie setzen Qualitätsstandards - aber sie definieren sich vor allem über Riesling und Spätburgunder. Dazu passt kein junges, wildes Konzept ohne Schubladen, das erst noch seine Stilistik entfalten muss und entdeckt werden will. Es löst nicht sofort Begeisterung aus. Ich denke aber, dass der gesellschaftliche Wandel dazu beiträgt, dass Verbraucher mehr Bewusstsein dafür entwickeln, wie ein Produkt hergestellt wird.

Vollmer: Das ganz große Problem von Anfang an war die unglückliche Wortwahl. Piwi, also pilzwiderstandsfähige Rebsorten, ist das absolut falsche Wort für eine solche Mission! Die Menschen hören als erstes das Wort Pilz - und das ist sofort negativ besetzt und damit kontraproduktiv. Deshalb können wir mit unserem Projekt “Zukunftsweine” ganz anders agieren.

Piwis wurden sehr lange nur in die schlechten Lagen gepflanzt

Warum bleiben die Winzer skeptisch?

Schönhals: Einen Weinberg anzulegen, ist eine Entscheidung für die nächsten 30 Jahre. Da gibt die Entscheidung für traditionelle Sorten den Winzern Sicherheit. Schließlich muss man den Wein auch verkaufen können.

Vollmer: Bis heute haben die Piwis nicht den Ruf, den sie haben könnten. Um das zu ändern, brauchen wir Leuchtturm-Weine. Allerdings gibt es da auch wenig Erfahrung – ich habe selbst noch keine produziert. Piwi-Sorten wurden sehr lange nur in schlechte Lagen gepflanzt, weil sie dort Lösungen durch Frost- und Pilzresistenzen bieten, während die guten Lagen mit Riesling und Spätburgunder besetzt waren. Deshalb ist es heute schwierig, klare Expertentipps zu geben. Als ich mich beispielsweise für die Sorte Souvignier Gris interessiert habe, war es sehr schwer, an Flaschen dieser Sorte zu kommen. Und was es gab, war nicht so, wie ich mir das gewünscht habe. Ich habe trotzdem an die Sorte geglaubt und sie gepflanzt.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit Piwis? Und warum?

Dr. Eva Vollmer

Schönhals: Mein Vater hat schon vor 30 Jahren die ersten Piwis gepflanzt und auf ökologischen Anbau umgestellt. Damals hatte er die Vision, vollständig vom Pflanzenschutz wegzukommen. Als ich in den Betrieb eingestiegen bin, hatten wir schon einen Anteil von knapp 25 Prozent Piwis, das war natürlich ein super Alleinstellungsmerkmal. Wir haben alles versucht: Bilder vermittelt, andere Namen benutzt, um die Sorten in den Fokus zu rücken. Es hat aber niemand interessiert, außer unsere Privatkunden und -kundinnen. Aber jetzt ist die Welt bereit für solche Lösungen. Und dann kam Eva mit diesem neuen Namen …

Vollmer: Als ich in Geisenheim studiert habe, war das Thema noch nicht sexy. Auch für mich nicht. Da war immer die Verknüpfung: Piwi gleich Regent gleich schmeckt nicht. Diese sensorische Schwelle war lange da, auch, weil es kaum flüssige Gegenbeweise gab. Ich bin damals im Kopf und im Weingut erst mal von konventionell nach bio umgezogen. Erst nachdem das ein, zwei Jahre lief, hatte ich den Kopf frei für den für mich wichtigsten Schritt meiner Generation, das Ruder auch in Richtung Nachhaltigkeit herumzureißen.

Was ist für die Zukunft geplant?

Schönhals: Wir sehen uns als Vorreiterinnen, die nicht nur einfachen, sondern tiefgründigen Wein machen. Wir haben beide entschieden, nur noch Piwis zu pflanzen und das Wagnis einzugehen, die neuen Sorten auch in gute und beste Lagen zu setzen.

Welche Bedeutung haben Bio und Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang?

Schönhals: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Ich selbst komme aus dem ökologischen Weinbau und bin überzeugt, dass wir über Golfrasen im Weinberg und das Spritzen von Glyphosat nicht mehr diskutieren müssen. Auch nicht über den Einsatz von Insektiziden. Wir können uns aber auf dem Bio-Anbau nicht ausruhen. Die Bio-Verbände konzentrieren sich vorwiegend auf den Anbau, vor allem bei den sozialen Aspekten wurde da einiges verschlafen. Deshalb hat das Entstehen von Siegeln wie “FairChoice” und “fair‘ngreen” eine Berechtigung. Trotzdem bin ich überzeugt, dass der konsequente ökologische Anbau die Basis ist, auf der wir mit allem weiteren Streben nach Nachhaltigkeit aufbauen sollten.

Biologischer Weinbau hat nichts mit dem Pflanzen von Piwis zu tun

Was wollen Sie mit Ihrem Projekt „Zukunftsweine“ erreichen?

Vollmer: Wir sind schwer öko-verliebt, wollen aber klar kommunizieren, dass Bio-Weinbau nichts mit dem Pflanzen von Piwis zu tun hat. Wichtig ist es, den Pflanzenschutz damit insgesamt um bis zu 80 Prozent reduzieren zu können. Denn der wird durch die Piwis in jedem Jahr eingespart – unabhängig von der Art der ökologischen oder konventionellen Bewirtschaftung. Das ist eine gute Basis, um sich langsam aufeinander zu zu bewegen. Wir wollen keine Barrieren zwischen öko und konventionell schaffen - jeder Betrieb ist herzlich willkommen, unsere Bewegung mitzugestalten.

Wie sieht die bisherige Resonanz auf das Projekt aus? Sollen weitere Winzer eingebunden werden?

Vollmer: Wir haben eine Vision weit über Rheinhessen hinaus. Wir wollen möglichst viele Winzerinnen und Winzer einbinden. Und wir brauchen neue Perspektiven für das Thema: Nachhaltigkeits- und Marketingexperten, Vertriebler, unverbrauchte Köpfe, die das Thema aus neuen Blickwinkeln betrachten und die ganz in die Tiefe gehen wollen. Eine schicke Optik allein reicht nicht, um die alten Vorurteile auszureißen.

Schönhals: Wir sind ja selbst noch am Üben, gute Argumente zu haben und darüber zu sprechen. Hier in Rheinhessen gibt es bereits eine große Diversität und Aufgeschlossenheit für eine Vielfalt von Rebsorten. Die wollen wir weitertragen. Andere Länder sind schon viele weiter als wir, in Deutschland sind die Piwis erst bei drei Prozent Anbaufläche. Da ist noch enormes Wachstumspotenzial.

Wir brauchen mehr anspruchsvolle Jahrgänge wie 2021

Was ist notwendig, um mehr Winzer und Verbraucher von den neuen Sorten zu überzeugen?

Schönhals: Vielleicht braucht es noch mehr extrem anspruchsvolle Jahrgänge wie 2021. Wenn man fünfzehn Mal gegen die Wand gefahren ist - oder durch den Weinberg zum Spritzen -, fängt es an weh zu tun. So entsteht ein Wille zur Veränderung. Grundsätzlich müssen wir aber Top-Weine machen.

Vollmer: Die Erkenntnis im Kopf ist bei vielen Winzern schon da. Aber sie sehen die Chance einer guten Vermarktung noch nicht. Wenn wir zeigen können, dass das gut geht, weckt das Begehrlichkeiten. Wir wollen die Möglichkeiten und Wege dazu aufzeigen - und das geht nur durch Vorleben. Jeder, der auf seiner eigenen Bühne erfolgreich ist, hat Strahlkraft. Das muss aber erst noch stärker werden.

Haben Piwis das Potenzial für Spitzenweine?

Vollmer: Es wird und muss Flagship-Weine geben, es wird auch rebsortenreine Spitzenweine zum Austoben geben. Aber wenn wir mal größer denken: Wo besteht der größte Bedarf? Es geht gar nicht immer um den fettesten Lagenwein, der Alltag ist der unkomplizierte Basiswein, und den kann man auch mit Piwis wunderbar bedienen. Das ist ein riesiges Potenzial, auch für die Gastronomie. Wenn ich mit guter Weinmacher-Arbeit noch einen Spitzenwein aus einer Piwi-Sorte neben einen Spitzen-Sauvignon Blanc stellen kann, umso besser.

Schönhals: Die Diskussion und die Angst um den Riesling sind überflüssig. Bei drei Prozent Piwis auf der deutschen Anbaufläche brauchen wir uns keine Sorgen um den Erhalt unserer Spitzenweine zu machen. Außerdem ist Riesling in den besten Lagen inzwischen manchmal ein Risiko, weil er zu reif und zu fett wird. Es geht vor allem um den großen CO2-Fußabdruck im Basisbereich, den wir durch Piwis verringern. Was in der Spitze passiert, ist dann wundervoll zu entdecken.

Der VDP muss sich fragen, warum Souvignier Gris kein Ortswein sein darf

Welche Piwi-Sorten sehen Sie in Zukunft vorne?

Cabernet Blanc - © Wikipedia - Wolfgang Renner

Schönhals: Wir wollen bestimmte Rebsorten pushen: Souvignier Gris, Cabertin und Satin Noir, Sauvignac, Cabernet Blanc. Letzterer ist auch als Orange-Wein sehr spannend! Es gibt keine andere Sorte, die besser dafür geeignet wäre, weil er das ganz kräutrige Potenzial in der Beerenschale entwickelt. Es sind noch so viele Entdeckungen möglich, weil noch gar nicht ausgereizt wurde, was man aus diesen und vielen weiteren Sorten machen kann.

Von wem wünschen Sie sich mehr Unterstützung?

Schönhals: Als erstes könnte sich der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dem Thema annehmen und die Pflanzung von Piwis fördern.

Vollmer: Es ist schade, dass unser Top-Verband VDP bisher so wenig offen ist. Die Nachhaltigkeitsdiskussion muss auch hier noch deutlicher auf den Tisch. Der VDP muss sich in Zukunft ernsthaft fragen lassen, warum ein Souvignier Gris kein Ortswein sein darf.

Welche Schwächen haben Piwis?

Vollmer: Viele sehen die neuen Sorten als kleinen Kaufladen, dessen Angebot man nicht einschätzen kann. Da gibt’s Angst vor dem Reifezeitpunkt oder der Anfälligkeit vor der Kirschessigfliege. Wenn man sich aber mit dem großen Spektrum der Sorten beschäftigt, merkt man, dass es genügend Alternativen gibt. Es gibt sicher zwei, drei rote Piwi-Sorten, die für die Kirschessigfliege anfällig sind. Wenn ich aber guten Rosé machen will, dann sind sie trotzdem eine tolle Alternative. Es gibt genug Erfahrung und Beratung, um solche Gefahren auszuschließen.

Schönhals: Die Sorten sind nicht zu hundert Prozent resistent, aber immerhin zu 50 bis 80 Prozent. Es wird auch gesagt, sie könnten geschmacklich nicht mithalten. Aber wir würden sie nicht pflanzen, wenn wir nicht zu hundert Prozent überzeugt wären.

Fotos: © Hanneke Schönhals, Eva Vollmer

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