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Wenn sie den Namen “Piwi”-Weine hören, rümpfen viele Weinkenner schnell die Nase. Denn gute oder sogar exzellente Weine aus pilzwiderstandsfähigen Sorten haben bislang die wenigsten schon mal probiert. Gut für die Umwelt, das ja, aber auch gut für den Gaumen? Die Liste der Vorurteile ist lang. Piwis sind ein komplexes Thema, das Mut und Neugier bei Produzenten und Genießern erfordert.

Piwi-Weine sind Nischenweine - und das werden sie in naher Zukunft auch bleiben. Aber wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass der Klimawandel und die Aspekte der Nachhaltigkeit es notwendig machen, Weine aus pilzwiderstandsfähigen Sorten langfristig ernst zu nehmen. Bodenverdichtung und Pestizidbelastung können auf Dauer nicht mehr als notwendiges Übel im Weinbau in Kauf genommen werden.

Laut Experten wie Prof. Reinhard Töpfer, seit 1995 Leiter des Julius-Kühn-Instituts (JKI) für Rebenzüchtung in Siebeldingen, kann man die von der EU bis 2030 angestrebte Reduzierung der chemisch-synthetischen Pestizide nur erreichen, wenn viel mehr Weinberge mit pilzwiderstandsfähigen Sorten bepflanzt werden. „Die aktuellen Diskussionen um den Klimawandel und seine Folgen geben dem Thema Piwi Rückenwind. Der ‘Green Deal’ ist eine massive politische Vorgabe der EU, die es zu erfüllen gilt. Und Piwis sind ein wichtiger Baustein in der Strategie, die der Weinbau verfolgen muss,“ erläutert Töpfer die Perspektive der neuen Sorten.

 

Was sind Piwis?

Unter Piwis versteht man Rebsorten, die durch Blütenkreuzung europäischer Rebsorten mit amerikanischen oder asiatischen Sorten entstanden sind. Piwi steht für pilzwiderstandsfähig und damit für eine Krankheitsresistenz gegenüber Echtem und Falschem Mehltau, manchmal auch gegenüber Botrytis und Schwarzfäule. Einige bekannte Beispiele für die neuen Sorten sind Regent, Solaris, Johanniter, Bronner, Cabernet Blanc oder Souvignier gris.

Der Anbau von Piwis ermöglicht im besten Fall eine drastische Reduzierung des Pflanzenschutzes, wobei auch bei pilzwiderstandsfähigen Rebsorten in besonders infektionsreichen Jahren nicht komplett auf den Einsatz von Kupfer und Schwefel verzichtet werden kann. Die Sorten sind sehr widerstandsfähig, aber nicht hundertprozentig resistent.

 

Piwis in Deutschland

In Deutschland wurden die ersten Piwi-Sorten in den 90er-Jahren zugelassen. Heute stehen Winzern über 50 Sorten zur Verfügung, weitere befinden sich in der Zulassung. „Bei der Züchtung von Piwis spielt Deutschland eine Vorreiterrolle”, betont Prof. Reinhard Töpfer vom JKI. „Italien und Frankreich haben neue Sorten lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelt, während in Deutschland seit Anfang der Jahrtausendwende Piwis zumindest als Thema akzeptiert sind. Bei uns wurde auch deutlich früher das Vorurteil überwunden, dass neue Sorten stets Fehlaromen mit sich bringen.“

Bisher sind nur drei bis vier Prozent (ca. 3.500 Hektar) der deutschen Anbaufläche mit Piwis bestockt, rund die Hälfte davon mit der roten Sorte Regent. Im Zuge des Rotwein-Booms wurde Regent vor 20 Jahren vermehrt angebaut, doch der Enthusiasmus ist längst vorbei - und die Widerstandsfähigkeit der Sorte hat sich letztlich als nicht so hoch erwiesen wie zu Beginn prognostiziert. Benedikt Grein, Leiter der Versuchskellerei am Staatlichen Weinbauinstitut FFreiburg WBI), erklärt: „Der Regent gehört zur ersten Generation von Piwis. Er ist ein Auslaufmodell. Ich denke nicht, dass Winzer Regent heute noch neu anpflanzen. Die Forschung hat mittlerweile interessantere Sorten hervorgebracht.“

 

Langsame Evolution

Dass der Klimawandel die größte Herausforderung für den Weinbau ist, darüber muss man heute nicht mehr streiten. Auch viele Winzer haben inzwischen verstanden, dass es in Zukunft eine steigende Nachfrage nach Weinen mit geringem ökologischen Fußabdruck geben wird. Dazu kommen wirtschaftliche Zwänge wie Arbeitskräftemangel und höhere Kosten sowie das Verbot von immer mehr Pflanzenschutzmitteln. Piwi-Sorten könnten eine Antwort auf all diese Probleme sein.

Doch die Liste der Vorurteile und Bedenken gegenüber Piwis ist lang und oft nachvollziehbar. Wie soll man mit der neuen Rebsorte umgehen? Wie verhält sie sich im Keller? Können Piwis geschmacklich mit den traditionellen Sorten mithalten? Werden die Kunden die neuen Weine akzeptieren? Fragen, die beantwortet werden wollen. Prof.Töpfer will Winzern die Angst vor dem Unbekannten nehmen: „Es macht keinen Sinn, die traditionellen Rebsorten schlecht zu machen. Es wird einen langsamen Übergang geben müssen. Die neuen Sorten müssen ihren Platz finden, beispielsweise in Produkten, bei denen der Sortenname nicht so im Vordergrund steht, bei Sekten oder Markenweinen. Riesling oder Burgunder zu ersetzen ist nicht das Ziel, aber es gibt schon eine Reihe von Sorten, die eher austauschbar wären.“

Quereinsteiger sind oft mutiger beim Thema Piwi. Das zeigt das Beispiel von Astrid Liebich aus Baden. Die 60-jährige übernahm vor zehn Jahren den ein Hektar großen Weinberg ihrer Familie. Doch anstatt die Trauben wie bisher an die Genossenschaft zu verkaufen, setzte Liebich auf Piwis. Sie riss den Großteil der Riesling-Reben raus, pflanzte an ihrer Stelle Souvignier gris, Cabernet cantor und Cabernet cortis und fing an, ihre Trauben selbst zu keltern. „Bei einem Kurs über ökologischen Weinbau in Freiburg hörte ich 2010 das erste Mal von Piwis und war sofort Feuer und Flamme. Heute ist mein Hektar zu 50 Prozent mit Piwi-Sorten bepflanzt, der Rest sind RRiesling Weiß – und Spätburgunder. Selbst in schlechten Jahren spritze ich die Piwis nur zwei Mal, die anderen muss ich acht bis zehnmal behandeln. Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich meine gesamte Fläche mit Piwis bepflanzen“, sagt Astrid Liebich überzeugt.

 

Stilistische Kopie oder eigenständiges Profil?

Ein Teilbereich des Praxisforschungsprojekts Vitifit widmet sich der Frage, welche sensorische Stilistik von Piwi-Weinen den größten Erfolg beim Weinliebhaber verspricht. Dazu haben Marc Weber und Prof. Ulrich Fischer vom Institut für Weinbau und Önologie der DLR Rheinpfalz und Ole Kohlmann vom Deutschen Weininstitut eine interessante Studie veröffentlicht. Das Fazit ihrer Analyse und Blindverkostung mit Konsumenten: „In ihrem Qualitätspotential sind Weine aus Piwi-Rebsorten auf Augenhöhe mit den Standardrebsorten. Es mangelt aber noch an Erfahrung, wie sie am besten ausgebaut werden sollen. Daher stellt sich die Frage, ob Piwi-Weine gute sensorische „Kopien“ der Stilistiken der Standard-Rebsorten sein sollen - oder ob sie ein eigenständiges, abweichendes, anders erkennbares Profil zeigen sollen.“

Benedikt Grein (WBI) hat als Önologe viel Erfahrung mit Piwi-Sorten gesammelt. In unzähligen Mikrovinifikationen hat er im Versuchskeller Maischestandzeiten, Hefen oder die unterschiedlichen Ausbaumöglichkeiten ausprobiert. Sein Wissen teilt er auf Vorträgen oder Schulungen mit interessierten Winzern. Für ihn steht fest, dass „Piwis nicht nur passabel, sondern hervorragend schmecken müssen. Denn skeptische Winzer überzeugt man nur mit exzellenter Qualität, das haben Blindproben immer wieder gezeigt.“

Es bedarf also einer guten Kommunikationsstrategie, um Verbraucher zu sensibilisieren und Winzer zu informieren. Dafür wurde im vergangenen Dezember der Verein Piwi Deutschland gegründet. Ein Zeichen, dass sich im Land zumindest langsam etwas bewegt.

Copyright Fotos: © JKI; Benedikt Grein (WBI)

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