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Oltrepò Pavese. Wo bitte?

 

Das Oltrepò Pavese ist ein Hügelland im Süden der Lombardei bei Pavia. Wie der Name sagt „auf der anderen Seite des Po”. Geographisch wie kulturell eingekeilt zwischen Piemont, Emilia und Lombardei entwickelte sich im Oltrepò eine eigenständige Weinkultur, die bisher im ausschließlichen Dienst der Mailänder stand und nun erstmals den Kontakt zum Ausland sucht. Doch zwei Hindernisse stehen den Winzern des Oltrepò Pavese dabei im Weg.

Erstes Problem: Der Wein, der nicht von den Tankwagen der norditalienischen Spumantehäuser abgeholt wird, wird fast komplett im nahen Mailand getrunken. Dadurch sind die Oltrepò Pavese-Weine außerhalb der Region unbekannt und ist ihr Stil auf die Vorlieben der nahen Städter zugeschnitten.

Zweites Problem: Es gibt nicht einen Oltrepò-Wein, es gibt deren 72! Als die DOC hier vor einem Vierteljahrhundert Einzug hielt, schufen die damaligen Politiker in beharrlicher Missachtung sämtlicher Marketingprinzipien ein unübersichtliches Durcheinander von geschützten Weinnamen. Kommunikation und kollektives Marketing wurden dadurch praktisch unmöglich gemacht. Alles wäre viel einfacher heute, wenn die DOC-Schöpfer damals die Finger von diesem Gebiet gelassen hätten…

 

Ist es Mangel an Kritikfähigkeit? Ist es ein besonderes Gespür für Entdeckenswertes? Ist es blinde Liebe zu den italienischen Weingebieten? Vielleicht eine eigenartige Mischung davon? Tatsache ist, dass ich mich immer wieder auf komplizierte Liebesbeziehungen einlasse. Zumindest, was den Wein anbelangt. Alles Liebschaften, die im übrigen von Dauer sind: St. Magdalener zum Beispiel, Lambrusco oder Valtellina, auch Bardolino und Nordpiemont gehören dazu. Und jetzt Oltrepò Pavese.

Ich kann mir nicht genau erklären, wo all die emotionelle Energie herkommt, die meine Zuneigung zu Land und Leuten des Oltrepò Pavese nährt. Als ich im vergangenen Herbst zum ers­ten Mal in jener Gegend war, um mich ausgiebig über die Appellation schlau zu machen, trat gerade der Po wieder mal über seine Ufer und in den Hügeln herrschte eine Woche lang derart dicker Nebel, dass man die Rebberge selbst dann kaum sah, wenn man unmittelbar davor stand. Auch die Verkos­tung der Oltrepò-Weine ist nicht ein Grund für unbegrenzte Begeisterung. Was dann nährt mein Interesse?

 

 

Die typische Landschaft des Oltrepò Pavese

 

Möglicherweise sind es die Menschen, die mich jeweils in den Bann eines Weingebietes ziehen und mich immer wieder die Fixpunkte meines Weingeschmacks neu definieren lassen. Ja, sicher sogar: Es sind die Menschen, die mich auf ihre Weine neugierig machen, nicht umgekehrt.

Hätte ich fernab von Casteggio meinen ersten Bonarda, und nicht in Mailand meinen ersten Buttafuoco getrunken, ich hätte diese Weine möglicherweise spontan abgelehnt. Aber hier, im Hügelland südlich von Pavia, schmecken diese Weine genau richtig.

Die Weine des Oltrepò sind für Gaumen, die an Piemont und Toskana gewohnt sind, nicht ausgesprochene Aha-Erfahrungen. Bonarda & Co. sind gewöhnungsbedürftige Weine, Ausdruck einer ganz bestimmten Wein­­­­t­rinkkultur. Die Croatina-Traube, die in der Zusammensetzung der traditionellen Weintypen überall mehr oder weniger dominant zu Grunde liegt, verfügt über Gerbstoffe, die man wohlerzogen mit „rustikal” umschreiben könnte.

Die trockenen bis bitteren Geschmacksmerkmale vor allem des Bonarda, aber auch des Oltrepò Pavese Rosso, des Buttafuoco und des Sangue di Giuda sind nicht wegzubeschönigen; die verbreitete Restsüße bestätigt nur die Machart der lokalen Tannine.

Andererseits - und das ist ein Punkt, der für mich entscheidend ist - sind die Oltrepò Pavese-Weine auf Croatina-Basis absolut eigenständige und unverwechselbare Gewächse.

Nicht allein auf Grund ihrer exotischen Tanninqualität, auch die besondere Frucht der Croatina-Traube, die vor allem bei jungen Bonarda an Backpflaumen und Kirschen erinnert, ist charakterisierend. Wie auch immer man auf sie subjektiv ansprechen mag, die Anerkennung ihrer Originalität, wichtigste Voraussetzung für das Entstehen von Neugier beim Weinfreund, ist ihnen gewiss.

 

 

Die Croatina-Traube

Nicht die sogenannte „absolute Qualität” ist es denn, die die Weine des Oltrepò Pavese interessant macht, sondern die auf Terroir und Sorten basierende Eigenständigkeit. Definiert man Qualität im Sinne von Zugänglichkeit, von unmittelbarem Konsens, dann gibt es in Italien viele Weine, die besser sind als die Weine des Oltrepò.

Definiert man Qualität auch ein bisschen über Originalität, dann haben die Weine auf Croatina-Barbera-Basis - Bonarda, Buttafuoco, Sangue di Giuda und Oltrepò Pavese Rosso - echte Chancen, auch im Ausland Freunde zu finden.

 

Bonarda & Co.

 

Meinen ersten Schluck Bonarda trank ich in einer Pizzeria in Gesellschaft zweier junger Leute - Mitarbeiter einer nahen Cantina Sociale -, die ich zuvor zufällig in einer Weinbar in Casteggio kennengelernt hatte. Obschon nicht die originellste aller möglichen Kombinationen, schmeckten die leicht restsüßen, perlenden Bonarda mit ihren herben Tanninen zur Mar­gherita hervorragend.

Meine Tischgenossen brachten mir den seltsamen Wein - für sie eine alltägliche Selbstverständlichkeit - ohne viel Weinpoesie näher. Die Art, wie sie die Bonarda-Interpretationen kritisch kommentierten, verlieh diesen Weinen Profil und Würde.

Damals war mir noch nicht klar, dass es viel einfacher gewesen wäre, wenn ich diesen perlenden, lieblich-herben Roten spontan abgelehnt hätte. Erst bei der Verkostung für die Merum Selezione, bei den Gesprächen mit den Winzern und beim Studium der Produktionsvorschriften erkannte ich, dass die Bonarda-Angelegenheit von unerwarteter Komplexität ist.

Bonarda ist rot, restsüß und perlend? Ja. Oder zumindest oft. Bonarda kann aber auch ein restsüßer Stillwein sein. Oder trocken und perlend oder trocken und still. Bonarda ist in der Regel ein junger Jahrgangswein, manchmal aber auch ein in der Barrique ausgebauter Lagerwein. Bonarda kann eigentlich alles sein, vorausgesetzt, er wurde aus der Sorte Croatina gekeltert.

Die Frage, was nun ein echter Bonarda sei, habe ich den Produzenten immer und immer wieder gestellt. Und jedesmal erhielt ich eine Beschreibung aus anderer Warte. Fest steht, dass die Produzenten den moussierenden, leicht süßlichen Bonarda zwar selber gerne trinken und dieser Wein für sie kommerziell der wichtigste Wein ist, sie aber viel lieber mit einem respektableren Gewächs Karriere machen würden. Mit dem Bonarda verbindet sie eine veritable Hassliebe.

Der Bonarda ernährt die Winzer des Oltrepò, aber im Gegensatz zu ihren Lambrusco-Kollegen in der Emilia schämen sie sich für ihren wichtigsten Wein und versuchen mit allen Mitteln, dem Image als Frizzante-Erzeuger zu entfliehen. Sie bauen Cabernet an, erzeugen mit viel Elan opulente Blauburgunder, investieren in den Buttafuoco und den Oltrepò Pavese Rosso Riserva. Möglichkeiten gibt es hier genug, um Saat für Lorbeeren auszuwerfen. Das Problem ist nur, dass von zehn Kunden neun nach Bonarda verlangen.

 

 

Oltrepò-Winzer bei der Abfüllung

 

So schwenken die Oltrepò-Winzer ihren weinmacherischen Ehrgeiz halt wohl oder übel auch auf den Bonarda und entziehen im hie und dort die Kohlensäure, lassen ihm Restsüße oder verzichten darauf. Eine zunehmende Zahl von Winzern bietet einen Bonarda an, der dicht, konzentriert und barriquebeladen ist wie die Super Tuscans der Frühzeiten. Und die Kundschaft zeigt sich begeistert! „Erstaunlich!”, lautet das Kompliment, das durch den Zusatz „…für einen Bonarda” allerdings zweischneidigen Charakter erhält.

Es liegt nicht in meiner Kompetenz, den Winzern vorzuschreiben, wie ein Bonarda zu sein hat. Wäre ich dazu befugt, ich würde versuchen zu vereinfachen und den Bonarda auf die Typologie des fruchtig-frischen, unmerklich restsüßen, aber womöglich trockenen, stets perlenden Rotweins aus der Croatina-Traube einzuschränken.

Spürbar süße Frizzante sowie stille Versionen würde ich anderen Weinkategorien zuordnen (an denen es im Oltrepò Pavese nun weiß der Himmel nicht mangelt). Ich kann die Winzer lediglich auf die schwierige Lage aufmerksam machen, in der sich der Bonarda-willige Kunde in einem Weingeschäft oder einem Restaurant befindet: Wer eine Flasche Bonarda bestellt, kann nie wissen, was er kriegt. Außer er wäre ein Habitué aus Mailand oder Pavia, der sämtliche feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Etiketten und Erzeugern kennt. Beim weniger kundigen Weinfreund kann die Unsicherheit nur dazu führen, dass er Lambrusco ordert, weil er dann immerhin sicher ist, die Art von Wein zu erhalten, nach dem ihm zumute ist.

Bonarda sei der ideale Wein „per far l’amore in vigna”, meint Gian-Maria Vercesi del Castellazzo in fröhlicher Runde. „Und wer keine Liebe macht im Weinberg”, vermittelt sofort Andrea Picchioni, „kann den Bonarda ja immer noch zum Trost trinken”.

Mit oder ohne Winzererotik: Der Bonarda - seine perlende Spielart jedenfalls, hier „vivace” oder „frizzante” genannt - ist kein ernsthafter, sondern ein ausgelassener Wein. Ähnlich dem Lambrusco entzieht er sich humorloser Weinkritik. Er will nicht mit anderen Weinen konkurrieren, er will lediglich sich selber sein und den Trinkenden ein bisschen Oltrepò Pavese spüren lassen.

 

 

Rote Frizzante-Problematik

 

 

Die Winzergruppe "InOltre"

Der Vergleich mit dem Lambrusco liegt auf der Hand. Beides sind rote, mehr oder weniger restsüße Perlweine. Neugierig, ob die Produzenten die Eigenständigkeit des Bonarda lediglich proklamieren, oder ob sie in der Lage sind, diese auch am vollen Glas festzustellen, veranstaltete ich in den Räumen der Merum-Redaktion eine kleine Blindverkostung mit den Mitgliedern der Winzer-Gruppe „Inoltre” (siehe Foto).

Indem ich in eine Bonarda-Serie ein paar Lambrusco einschmuggelte, legte ich ihnen arglistig eine Falle. Zu meiner Schande und des Bonarda Ehren muss ich gestehen, dass die Winzer nicht viel Mühe hatten, die Piraten aus der Emilia zu erkennen. Einzig beim Grasparossa zögerten sie etwas länger. Die betonten Tannine und die übliche Restsüße des Grasparossa erinnerten sie an heimische Gewächse, die Mehrheit der Runde pochte aber darauf, dass die Frucht eine andere sei, dass es sich nicht um einen Bonarda, sondern um einen Lambrusco handeln müsse.

Bravi! Das Intermezzo bedeutet einen kleinen Triumph des Terroirs (Frucht) über die Machart (Kohlensäure und Restsüße).

Weniger eindeutig fiel eine Verkos­tung aus, die das Konsortium letzten Herbst veranstaltete. Drei Dutzend Weinexperten wurden gebeten in einer Blindverkostung einer Serie von Oltrepò Pavese-Weinen die richtigen Bezeichnungen zuzuordnen. Das Resultat war so deutlich wie bedenklich: Nur ein Viertel der Weine wurden erkannt, bei allen anderen Weinen waren sich die Önologen und Sommeliers uneinig über die Identität!

Wenn aber selbst die Kenner Bonarda, Buttafuoco, Oltrepò Pavese Rosso nicht auseinanderhalten können, wie soll sich dann der Weinfreund zurechtfinden? Wie soll die heutige Exportquote - lediglich drei Prozent der Produktion - Chancen auf positive Veränderung haben?

 

 

DOC-Gemischtwaren­handlung für Mailänder

 

Es klingt ganz einfach: Oltrepò Pavese ist eine DOC. Dringt man einen Schritt in diese DOC ein, dann wird es bereits komplizierter. Die DOC Oltrepò Pavese bezeichnet fünfzehn Sortenweine und Cuvées. Auch damit könnte man noch leben, das klingt nicht komplizierter als im Friaul oder in Südtirol. Ausgesprochen babylonisch werden die Zustände aber, wenn man die Spielarten auflistet, die von jedem dieser fünfzehn Sortenweine erzeugt werden dürfen: insgesamt über siebzig verschiedene DOC-Weintypen.

Wollten die Oltrepò-Winzer nicht neue Märkte - und dazu gehören mit Ausnahme von Mailand fast alle - erschließen, die lange Weinliste wäre halb so schlimm. Wenn nun außerhalb der Lombardei keiner weiß, wo das Oltrepò Pavese überhaupt liegt, dann kommt das daher, dass noch heute das meiste der riesigen Weinproduktion dieses Gebietes, das nicht im Tankwagen zu norditalienischen Großabfüllern und Spumantehäusern geht, in der nächsten Umgebung versickert. Jedes Wochenende ist auf den engen Sträßchen zwischen den Weinorten des Oltrepò Hochbetrieb. Fahrzeuge mit dem Kennzeichen „MI” und leeren Korbflaschen im Kofferraum parken vor den Weinkellern und decken sich mit Bonarda ein. Je lieblicher der Wein, desto mehr davon wird eingepackt…

Zwischen siebzig und achtzig Prozent des Oltrepò Pavese-DOC-Weins wird innerhalb der Region verkauft: Mailand, Pavia, Lodi und, in zweiter Linie, Varese, Como, Bergamo sowie Brescia. Absatzschwierigkeiten kennen die Winzer keine, um die Keller leer zu kriegen, müssen sie lediglich um jede Tageszeit für die Privatkundschaft verfügbar sein.

Einer der Nachteile dieser Vermarktungsart ist, dass Mailands Res­taurants und Weinläden den Oltrepò-Weinen die kalte Schulter zeigen. Denn die Mailänder Kundschaft kauft ihren Bonarda, ihren Sangue di Giuda oder ihren lieblichperlenden Welsch­riesling sicher nicht beim Handel, wenn sie diese günstiger und lustvoller beim Sonntagsausflug erstehen können.

Riccardo Ottina (Il Montù): „Zum Glück oder leider, wie mans nimmt, liegt das Oltrepò Pavese nahe bei Mailand: ein immenser Weinmarkt. Aber Mailand lähmt die Produzenten. Jeder verkauft seine Produktion ohne besondere Anstrengungen. Alle konnten wir unsere Kinder in gute Schulen schicken, alle haben wir unsere Häus­chen gebaut, alle haben wir gut verdient, aber wir haben für unsere Appellation keine Zukunft aufgebaut. Weder kommunizierten wir unser Produktionsgebiet, noch wurden die einzelnen Weine charakterisiert, noch wurde dem Produktionsgebiet ein positives Weinimage gegeben.”

 

Die Oltrepò Pavese in Zahlen

 

Gesamtfläche
Weinbaufläche
Weinproduktion
(gesamt)
Weinproduktion Oltrepò Pavese DOC
Anteil Produktion Cantine Sociali
(fünf)
Traubenproduzenten
Weinerzeugende Keller
Abfüller
Direktverkauf ab Hof

offen
in Flaschen
Verkauf an den Handel
Fasswein
in Flaschen
Export

900 km2
13500 ha
rund 70 Mio Liter
rund 55 Mio Liter
70%
4500
1000
450
60-70%
70-75%
25-30%
30-40%
50-60%
40-50%
3%

 

Das Oltrepò Pavese und seine Weine sind unbekannt. Unbekannt und namenlos: Denn die Weinkundschaft holt sich den Wein in Korbflaschen und füllt ihn zu Hause ab. Das meiste wurde und wird noch heute einfach als „Rotwein” oder „Weißwein” getrunken, Namen und Ursprung sind bei der traditionellen Kundschaft kein Thema.

Nicht nur das Bezeichnungschaos und der Mangel einer hierarchischen Ordnung der Weine stellen für den Erfolg der Oltrepò-Weine außerhalb der näheren Umgebung ein Hindernis dar, auch der Name Oltrepò Pavese selbst bietet für Nichtitaliener Schwierigkeiten. Niemand würde je einen „Oltrepò Pavese Riesling italico Frizzante” bestellen: Da riskiert einer zu verdursten, bevor er dem Kellner den Weinnamen zu Ende buchstabiert hat. Viel einfacher ist da, gleich einen Prosecco zu bestellen

Die DOCG und die fehlende Spitze der Appellation

 

Verfügte man im Oltrepò über eine DOC-Spitzenkategorie, dann wüssten wir alle immerhin schon mal, wo oben und wo unten ist. Heute sind die Weine - wie das beim italienischen DOC-System leider üblich ist - alle nebeneinander, nicht übereinander angeordnet, und jeder Winzer kreiert sich seine eigene Klassifizierung.

Bei den einen ist der Topwein der Oltrepò Pavese Rosso Riserva, ein Barrique-Bonarda oder der Buttafuoco, bei den anderen ein IGT-Phantasiewein, ein Metodo Classico oder ein Pinot nero. Jeder Betrieb versucht, sich selber möglichst gut zu verkaufen; kollektive Konzepte sind weder beim Marketing noch bei der Kommunikation auszumachen. Domenico Zonin (Tenuta Il Bosco): „Jeder Winzer hat sein eigenes Spitzenprodukt, in dessen Image er investiert.”

Buttafuoco besäße zwar den richtigen Namen und den geeigneten Charakter, um zum Top-Oltrepò aufgebaut zu werden, darf aber nicht auf dem ganzen Gebiet erzeugt werden. Bonarda ist ebenfalls ungeeignet, da er als Wein- und Sortenname auch in anderen Weingebieten - Piacenza, Nordpiemont - gebräuchlich ist und zudem über ein ungeeignetes Image verfügt.

Pinot nero ist hier zwar sehr verbreitet, aber seine Destination war bisher nicht rot, sondern - als Grundwein für piemontesische Spumante - weiß. Auch der verbreitete Barbera ist als Name für eine Top-Kategorie ungeeignet, da Barbera bereits vom Piemont besetzt ist.

In Ermangelung besserer Ideen und Möglichkeiten fiel die Königswahl auf die Riserva des Oltrepò Pavese Rosso. Dieser Weintyp ist eine Cuvée aus verschiedenen Sorten: Barbera, Croatina, Uva rara, Pinot nero, Ughetta. Positiv ist, dass die Produktionsvorschriften den Winzern viel Freiheit bei der Sortenwahl lassen und damit die Ausdrucksmöglichkeiten nicht unnötig einschränken.

Negativ ist der hohe Hektarertrag (11 Tonnen/ha), der dafür sorgt, dass Weine auf den Markt gelangen können, die mit dünner Qualität die Anstrengungen der guten Produzenten um einen besseren Ruf der Appellation unterspülen. Noch verheerender aber ist der Name: Oltrepò Pavese Rosso. Mit der Bezeichnung „Rosso” lässt sich auch dann kein Staat machen, wenn man ein „Riserva” dahinterhängt, und nicht mal dann, wenn der Wein wirklich gut ist. Rosso bezeichnet nirgends in Italien den Topwein, sondern stets den Zweitwein einer Appellation.

Die Würfel scheinen jedoch gefallen: Der Oltrepò Pavese Rosso Riserva soll zusammen mit dem Oltrepò Pavese Spumante Metodo Classico in den Adelsstand der DOCG erhoben werden. Zusammen sollen sie künftig ihrem Anbaugebiet Ruhm und Ansehen bringen.

 

In Italien ist die Auffassung, die DOCG sei ein Mittel für mehr Image und Verkaufserfolg, sehr verbreitet. Ein Irrtum, da die DOCG lediglich ein aufwendiges Instrument für bessere Kontrolle und glaubwürdigere Zertifizierung ist. Natürlich führt auch über die DOCG ein Weg zu besserem Ruf, aber es ist sicher nicht der kürzeste.

Die DOCG ist gedacht für Weingebiete, deren Weine bereits über ein hohes Image - und hohe Preise - verfügen und wo verhindert werden soll, dass billigere Weine von außen in die Appellation einfließen. (Aktuellstes Beispiel für einen DOCG-bedürftigen Wein ist der Amarone.)

Ein Blick auf die erzeugten Mengen des Oltrepò Pavese Rosso zeigt, dass dieser Wein vom Markt bisher nicht in nennenswertem Maß zur Kenntnis genommen wurde. Aber auch die Produzenten selbst zeigen Skepsis: Seit 1995 ging die ohnehin geringe Anbaufläche von 700 Hektar auf 360 im Jahr 2001 zurück. Die „Topkategorie Oltrepò Pavese Rosso Riserva” ist ein Wunschgebilde, dem es nicht nur an Profil und Image mangelt, sondern dem auch qualitatives und quantitatives Fundament abgeht. Man hofft anscheinend, dem apathischen Patienten mit der DOCG zu wundersamer Vitalität zu verhelfen.

Vor dem Hintergrund des massiven Überangebotes an Pinot nero-Grundweinen erscheint auch die DOCG für den Metodo Classico ziemlich überflüssig. Carlo Boatti (Monsupello): „Seit zwei Jahren kosten Bonarda-Trauben manchmal mehr als Pinot nero-Trauben.”

Es ist zwar unbestritten, dass im Oltrepò Pavese Metodo Classico von bemerkenswerter Qualität entstehen können, aber solange die Flaschengärer hier ein ausgesprochenes Schattendasein fristen - nicht viel mehr als eine Million Flaschen im Vergleich zu den zehn Millionen Flaschen Charmat-Spumante und den 70 Millionen Liter Wein, die die Gegend erzeugt -, kann die DOCG für den Metodo Classico nicht erste Priorität sein.

 

 

Der Pinot nero ist hier meist weiß

 

Wer in einem Restaurant im Oltrepò einen Pinot nero bestellt, wird in der Regel einen weißen, leicht restsüßen Frizzante erhalten. Wer einen Rotwein dieser Sorte wünscht, der sollte besser ausdrücklich danach verlangen.

Der weiß vinifizierte Pinot noir ist hier jedoch keine modische Erfindung: Das Oltrepò machte sich bereits im 19. Jahrhundert einen Namen für Schaumwein, flaschenvergorenen allerdings. Von der glorreichen Spumante-Vergangenheit zeugt noch ein Etikett aus dem Jahr 1870 mit der Aufschrift „Champagne Oltrepò”. Es war der Staatsmann Agostino De Pretis, der bereits im 19. Jahrhundert die Eignung seiner heimatlichen Gefilde für die „Champagner”-Produktion erkannt und gefördert hatte.

Mit dreitausend Hektar Blaubur­gunder ist das Oltrepò eines der größten Produktionsgebiete der Welt für diese Sorte. Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurde das Oltrepò Pavese, das ab 1744 dem Piemont angehörte und erst wieder 1860 zur Lombardei kam, von den piemontesischen Kellereien mit Burgunder-Rebstöcken regelrecht aufgeforstet.

Carlo Boatti (Monsuppello): „Vor siebzig Jahren verteilten die piemontesischen Spumantefabrikanten den Bauern Pinot-Setzlinge, die diese hier und dort pflanzten. Im Herbst kamen die Piemontesen dann jeweils mit den Lastwagen und kauften die Trauben auf.”

In den Boom-Zeiten des piemontesischen Schaumweins waren die Spumantehäuser dringend auf Nachschub angewiesen und kultivierten das Oltrepò als Produktionsgebiet für Pinot-Grundweine. So wurden die Pinot-Trauben  für die Schaumweinproduktion ausschließlich weiß vinifiziert. Ers­te lokale Kellerei, die neben den piemontesischen Cinzano, Martini Rossi & Co. Metodo Classico elaborierte, war die Cantina Sociale La Versa. Noch heute erzeugt La Versa mit einer halben Million Flaschen die Hälfte des Metodo Classico des Oltrepò Pavese.

Im bekannten Dilemma, für den Metodo Classico die Bezeichnung „Spumante” zu vermeiden, erfand man im Oltrepò Pavese schon vor geraumer Zeit den Ausdruck „Classese”.

Auch dies eine unglückliche Wahl: Statt eines Gebietsnamens, wie es sich für einen Terroirwein gehört, wählte man einen Markennamen. Als handelte es sich um ein Industrieprodukt. Da aber außer den Erfindern des ­Namens kaum einer an den Erfolg der künstlichen Bezeichnung glaubt, steht das „Classese”, wenn überhaupt, nur sehr klein auf vereinzelten Spumante-Etiketten.

Aber auch mit einem griffigeren Namen ist es fast unmöglich, italienischen Metodo Classico im Ausland schmackhaft zu machen. Wird schon der Franciacorta DOCG, der in Italien über ein ausgezeichnetes Ansehen verfügt, nur in unwesentlichen Mengen exportiert, dann ist die Exportsituation beim Metodo Classico des Oltrepò Pavese umso desolater.

Für den ehemaligen La Versa-Önologen Riccardo Ottina (heute Besitzer von Il Montù) ist der Metodo Classico der exzellenteste Wein des Oltrepò: „Das predige ich seit fünfzehn Jahren. Unser Metodo Classico könnte der renommierteste Italiens sein. Leider haben wir uns von der Franciacorta und von den Trentinern überholen lassen. In der Franciacorta wurde immer Mais angebaut, nicht Reben. Der Erfolg des Franciacorta DOCG ist ein paar Vollblutunternehmern zu verdanken. Eine große Leistung!”

Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, was aus der Franciacorta und was aus dem Oltrepò Pavese geworden wäre, wenn der junge Maurizio Zanella vor dreißig Jahren nicht in Erbusco, sondern in Rocca de’ Giorgi oder in Casteggio gestrandet wäre. Zu seinem Pech hatte das Oltrepò Pavese  bisher nicht das Glück, auswärtige Unternehmer anzuziehen. Einzige Ausnahme stellt bisher der Weinunternehmer Gianni Zonin dar, der vor fünfzehn Jahren die Tenuta Il Bosco erwarb und zu einem florierenden Unternehmen aufbaute.

 

 

und manchmal rot

 

Obschon im Oltrepò Tausende von Hektar unter Pinot-Reben stehen, scheint es den Produzenten einige Mühe zu bereiten, sortentypische Pinot noir hervorzubringen, die sich in der internationalen Burgunder-Szene behaupten könnten. In der Regel sind die roten Pinots zwar gute Rotweine, den einmaligen Zauber dieser Sorte bringen sie aber nur selten zum Ausdruck.

Das liegt bestimmt auch daran, dass nicht alle mit Pinot bepflanzten Lagen dafür taugen und oftmals zu hohe Hektarerträge eingefahren werden (2001 waren es im Mittel ganze 7700 kg). Der Hauptgrund für die dunkle Farbe und die fehlende Finesse der Weine liegt aber wohl vielmehr bei den ungeeigneten Klonen.

Carlo Boatti (Monsupello) sieht im Pinot nero einen Wein, mit dem sich das Oltrepò Pavese profilieren könnte, und schlägt für ihn die DOCG vor.

Francesco Cervetti (La Versa) geht schon mehr auf Distanz zum Pinot: „Wenn heute wenig große Burgunder aus dem Oltrepò Pavese kommen, dann hat das mehrere Gründe: Einer ist, dass man rotweintaugliche Klone erst im Laufe der letzten zehn Jahre eingeführt hat, zudem ist nicht das ganze Oltrepò Pavese für die Sorte geeignet, dann fehlt hier noch die Erfahrung für diesen Wein und viertens handelt es sich um eine sehr schwierige Sorte, die in einem Jahr Bewunderungswürdiges, im nächsten Jahr Enttäuschendes ergeben kann.”

Tatsache ist, dass mit dem Pinot nero bisher keine qualitative Kontinuität gezeigt wurde. Cervetti weiter: „Alle sprechen vom Pinot nero, alle sind sich einig, dass er ein großer Wein sei. Die Erwartungen an einen Pinot-Wein sind hoch, der Weinkunde erwartet ein besonderes Erlebnis, aber in acht von zehn Fällen ist er enttäuscht.”

Pessimismus ist aber nicht angesagt: Wirklich beurteilen kann man die Burgunder-Eignung des Oltrepò Pavese erst in den kommenden Jahren, wenn die mit geeigneten Klonen bepflanzten Neuanlagen - vor allem in den höher gelegenen Weinbergen - in Produktion gehen werden. Einige Pinot sind schon heute Grund zur Hoffnung, dass die Geduld der Pinot-Liebhaber belohnt werden wird.

 

 

Erpicht auf Input

 

Wenn ich im Rückblick versuche, meine Gedanken zu ordnen und das Wichtige aus dem Erlebten und all den Gesprächen herauszudestillieren, dann bleibt vor allem ein Eindruck: Das Oltrepò Pavese ist ein wunderschöner Landstrich mit liebenswerten Menschen. Obschon zur Lombardei gehörend, ist die Wesensart der Leute hier weit mehr von Piemont und Emilia geprägt.

Mein Eindruck ist, dass im Oltrepò Pavese in diesem Moment eine neue Epoche beginnt. Die Winzer scheinen geradezu erpicht zu sein auf Input, entschlossen, aus dem Tagtraum zu erwachen, in den sie ein allzu bequemer Absatzmarkt hat fallen lassen. Sie wollen raus aus der Provinz und sich den Herausforderungen stellen, die eine solche Öffnung mit sich bringt. Obschon davon wohlhabend geworden, sind sie ein „Marketing” satt, das hauptsächlich daraus besteht, am Wochenende fremde Autos mit Korbflaschen zu beladen.

Die Weine des Oltrepò Pavese (ich bin bereit, Wetten anzunehmen!) werden in fünf, sechs Jahren nicht nur besser, sondern vor allem anders sein, ausgewogener, klarer als heute, mit anderen Worten: reifer für einen modernen, kritischen Markt.

Ihnen, liebe Leser, empfehle ich, bei der nächsten Gelegenheit die Autobahn Piacenza-Turin bei der Ausfahrt Stradella oder bei Casteggio zu verlassen und einen oder zwei Winzer zu besuchen. Vielleicht geht es Ihnen dann wie mir, vielleicht wird Ihnen dieses unbekannte Land plötzlich nah, und es erschließt sich auch Ihnen der Reiz dieser ungewohnten Weine.

Eine Attraktion bietet das Oltrepò Weintouristen auf jeden Fall: Während man in der Langa nur noch gegen Voranmeldung und besondere Empfehlung ein paar Flaschen auf dem Weingut erstehen und man die Toskana schon seit Jahren nur noch von außen bewundern darf, freuen sich die Winzer von Canneto Pavese, Rovescala oder Casteggio über Privatkundschaft noch. Lassen Sie sich nicht beirren, wenn man verdutzt auf Ihr Nummernschild schaut, die Winzer hier sind ausländische Kundschaft halt nicht gewöhnt.

Beim abschließenden Durchlesen dieses Artikels fiel mir mit steigender Besorgnis auf, wieviel Kritik gegenüber den Weinen und der Weinpolitik des Oltrepò Pavese in diesen Zeilen steckt. Im gleichen Moment geschah aber auch ein Zweites: Während ich die letzten Korrekturen anbrachte, packte mich die unwiderstehliche Lust auf einen Schluck Bonarda… „Zweck also doch erfüllt?”, fragte ich mich, halbwegs versöhnt mit mir selber, und nahm einen kräftigen Schluck des purpurroten Weins.

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Zu Teil 2:
Oltrepò Pavese - Die Produzenten

 

Der vorstehende Artikel wurde uns freundlicherweise von der MERUM-Redaktion zur Verfügung gestellt. Vielen Dank hierfür. 

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