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Blattner Der Schweizer Valentin Blattner ist ein Pionier bei der Züchtung von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Aus seiner Forschung stammen erfolgreiche Piwi-Sorten wie Cabernet Jura, Cabernet Blanc, Réselle, Sauvignac und viele andere. Seine Kollegen bezeichnen ihn als unerschrockenes Genie und Tüftler, seine Arbeit ist bis heute wegweisend. Raffaella Usai hat mit Valentin Blattner über seine unermüdliche Suche nach immer besseren Sorten gesprochen.

Warum haben Sie begonnen, Piwi-Sorten zu züchten?

Blattner: Als junger Mann ging ich direkt nach der Schule für ein Jahr in die Westschweiz, eigentlich um Französisch zu lernen, aber ich arbeitete dort bei einem Winzer. Im Weinberg zu arbeiten hat mir gefallen, allerdings waren mir schnell die wöchentlichen Spritzungen der Reben zuwider. Mir war klar, dass ich unter diesen Bedingungen keinen Weinbau machen wollte. Deshalb musste ich eine Alternative finden und fing an, eigene Sorten zu züchten.

War das damals ihr erster Kontakt mit Wein?

Blattner: Nein, mein Ur-Großvater hatte in seinem Garten einige von Eugène Kuhlmann in den 1930er-Jahren gezüchtete Hybrid-Sorten und machte auch Wein daraus, was in meiner Heimatregion rund um Basel durchaus normal war. Aber irgendwann wurden die Hybrid-Reben in ganz Europa verboten.

Sie leben in einem kleinen Dorf im Schweizer Jura. Wie sind Sie dort gelandet?

Blattner: 1985 habe ich aus den Kuhlmann-Reben meines Ur-Großvaters meine erste Sorte gezüchtet, aber mir wurde verboten, sie anzupflanzen. Deswegen bin ich in den damals neuen Kanton Jura gezogen, wo ich meine eigenen Sorten nicht nur züchten, sondern auch anbauen durfte. Ich bin quasi ins Asyl gegangen (lacht). Im Jura habe ich dann Wein aus meinen eigenen Sorten gemacht.

Und Sie konnten den Wein auch verkaufen?

Blattner: Ja, sicherlich! Der Verbraucher lechzt doch geradezu nach neuen Produkten.

Was hat Sie an den Piwi-Sorten so fasziniert?

Blattner: Anfangs wollte ich mich von der Konkurrenz absetzen und Weine anbieten, die andere nicht hatten. Zudem konnte ich mit den Piwis günstiger produzieren und hatte somit eine größere Marge. Die Zeit, die andere auf dem Traktor verbrachten, um Pflanzenschutzmittel zu spritzen, habe ich genutzt, um den Kunden meine Weine zu erklären. Piwis vereinen viele Vorteile: weniger Spritzmittel, weniger Aufwand, weniger Bodenverdichtung, mehr Zeit für andere Dinge. Aber natürlich geht es mir auch um ein größeres Ziel: In der modernen Landwirtschaft wird alles nur noch künstlich am Leben gehalten. Ohne Dünger, ohne Pestizide würde alles sterben. Das hat man schon vor Jahrzehnten gesehen, aber keiner hat etwas dagegen getan. Der Weinbau tötet sich selber. Und dagegen kämpfe ich seit bald 40 Jahren. Ich integriere die Rebe in ein bestehendes Ökosystem, das heißt, in die lokale Pflanzengesellschaft mit all ihren Lebewesen, Insekten, Schlangen und Mäusen. In einem intakten Ökosystem läuft alles rund und somit braucht man keine großen Eingriffe. 

 

In der modernen Landwirtschaft wird alles künstlich am Leben gehalten.

Wie gehen Sie bei der Züchtung einer Piwi-Sorte vor?

Blattner: Ganz einfach! Wie die Bienen. Ich nehme den Pollen und bringe somit die Resistenzeigenschaften einer robusten Sorte in die Qualitätssorte. Dann säe ich die Samen aus und beobachte, welche Pflanzen krank werden und welche nicht. Die gesunden haben die Resistenzveranlagungen. Und dann schaue ich, wie gut diese Gene sind.

Von Zuchtbeginn bis zur Zulassung vergehen rund 15 Jahre. Warum dauert das so lange?

Blattner: Weil Papier geduldig ist. Es ist ein ungeheurer bürokratischer Aufwand. Technisch gesehen wäre es in drei Jahren möglich und dann könnte man die Sorte in vitro im Labor vermehren. Aber man muss erst beweisen, dass es eine gute Sorte ist, dass man sie selbst gezüchtet hat, man muss, man muss, man muss... Wenn mir nicht so viele bürokratische Steine in den Weg gelegt würden, könnte ich in fünf Jahren eine neue Sorte auf den Markt bringen.

Ist es tatsächlich so einfach?

Blattner: Wenn man einen Resistenzmechanismus gegen Oidium oder Peronospora findet und weiß, wie er sich vererbt, ist es einfach. Das Finden ist schwierig. Aber um eine wirklich gute Sorte zu bekommen, muss man schon wissen, was man tut. Die Pilze sind ja auch nicht blöd. Einen Resistenzmechanismus finden sie raus, also müssen wir verschiedene Barrieren aufstellen. Man braucht mindestens zwei, drei oder vier Mechanismen, um einem Pilz langfristig Einhalt zu gebieten.

Sind Sie ständig auf der Suche nach neuen Sorten?

Blattner: Natürlich, es ist wie eine Sucht. Man sieht immer wieder neue Möglichkeiten. Nur so findet man immer resistentere Rebsorten und auch eine bessere Qualität. Resistenz alleine reicht nicht, die Sorte muss auch einen hervorragenden Wein ergeben.

Was antworten Sie Kritikern, die behaupten, dass die klassische Kreuzungszüchtung überholt ist. Viele setzen auf Cisgenetik oder Genome Editing. Was halten Sie davon?

Blattner: Ganz einfach: Es gibt verschiedene Resistenzmechanismen und die kann man reinkreuzen. Ich kann jederzeit ein resistentes Gen in einen Pinot noir reinkreuzen, ohne Probleme. Wenn ich das mit Gentechnik machen würde, wäre es viel komplizierter, dann säße das Gen vielleicht am falschen Ort und es würde nicht funktionieren. Wieso hat die Wissenschaft bislang noch nichts Brauchbares gefunden und ich hingegen ganz viel? Die meisten Kollegen arbeiten mit Markern, die man einsetzen kann, um nachzuschauen, ob die resistenten Gene vorhanden sind. Aber eine Selektion mit diesen Markern zu machen, ist das dümmste, was man machen kann. Weil man dann nur eine Selektion nach diesen bestimmten Genen hat. So findet man kein neues Gen und auch keine neuen Kombinationen. Man muss erst in der Natur suchen und dann später mit den Markern schauen, was drin ist. Bei diesen Feldversuchen findet man auch Pflanzen, die vielleicht nicht den gewünschten Marker haben, aber trotzdem resistent sind. Dann hat man wieder etwas Neues entdeckt.

Ihre Sorten sind heute weit verbreitet. Wo überall arbeiten Sie?

Blattner: Alle Europäer kommen zu mir und wollen ihre traditionellen Sorten resistent haben. Und das ist ja auch gut so, denn meine eigenen Sorten sind nicht für jedes Anbaugebiet geeignet. Für die Pfalz und das Rheintal ist Cabernet Blanc zum Beispiel ideal, aber in Südeuropa braucht es andere Sorten. Vor einiger Zeit sind spanische Winzer zu mir gekommen und wollten, dass ich ihre autochthonen Sorten Xarello, Macabeu und Parellada mit resistenten Sorten kreuze.

Sie können also klassische Sorten so kreuzen, dass ihr Charakter nicht verändert wird?

Blattner: Das ist die große Herausforderung. Xarello, Macabeu und Parellada haben eine relativ neutrale Aromatik, weil sie für die Cava-Produktion verwendet werden. Um diese Sortentypizität zu erhalten, darf die resistente Sorte keine ausgeprägte Aromatik besitzen, sie soll nur die Resistenzmechanismen mitbringen. Die klassische Sorte ist die Mutter und damit dominant.

 

Ich habe schon vor 35 Jahren gesagt, dass die neuen Sorten besser sein müssen als die traditionellen! Denn das Bessere ist der Feind des Guten!

Was sagen Sie Winzern, die Vorurteile gegenüber Piwis haben?

Blattner: In einem Jahr wie diesem konnte man wunderbar sehen, welche Vorteile Piwi-Sorten haben. Man brauchte sich bloß einen Merlot-Weinberg anzuschauen, wo fast nichts mehr hing und dann einen Weinberg mit resistenten Sorten, in dem gesunde Trauben auf die Ernte warteten. Da sollte man als Winzer schon mal über Alternativen nachdenken. Viele Winzer scheuen sich, weil sie nicht wissen, wie sie Piwi-Weine verkaufen sollen. Der Produzent muss mit dem Verbraucher in Kontakt treten und ihm erklären, dass sein Wein erstens hervorragend schmeckt und zweitens viel weniger Spritzmittel braucht. Damit weckt er Interesse. Ich habe schon vor 35 Jahren gesagt, dass die neuen Sorten besser sein müssen als die traditionellen! Denn das Bessere ist der Feind des Guten! Davon gilt es sowohl Winzer als auch Verbraucher zu überzeugen.

Warum liest man so wenig über Piwi-Weine?

Blattner: Die Weinjournalisten haben beim Thema Piwi-Weine versagt, obwohl sie die Aufgabe hätten, über neue Themen zu informieren. In der Vergangenheit haben Blindverkostungen oft bewiesen, dass Piwi-Weine mit klassischen Rebsorten-Weinen mithalten können oder sogar besser sind. Und trotzdem schreiben wenige drüber. Wenn man den Konsumenten probieren lässt, kommt der oft zu einem ganz anderen Ergebnis als die sogenannte Fachwelt, weil er viel unvoreingenommener ist.

Sie denken also, dass der Konsument viel eher bereit wäre, Piwi-Weine zu kaufen, als mancher Winzer annimmt?

Blattner: Absolut. Die Verbraucher legen heute großen Wert auf Nachhaltigkeit und werden in Zukunft immer öfter nach rückstandsfreien Weinen fragen. Viele Konsumenten werden auch Bio-Weine hinterfragen, deren Trauben 15 Mal gespritzt worden sind. Ein biologisch erzeugter Pinot noir ist eine fliegende Kuh! Haben Sie schon mal eine gesehen? Der Trend geht eindeutig in Richtung rückstandsfreie Weine. Und die kann man nur mit resistenten Sorten erzeugen.

Fotos: ©Rebschule Freytag

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