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Die Entschließung des Europäischen Parlaments für den Kampf gegen Krebs hat in der Weinbranche für Jubel und Aufatmen gesorgt: Wein wird im Bericht des Sonderausschusses nun doch nicht mit Tabak gleichgesetzt. Zugleich sind Restriktionen damit wahrscheinlicher geworden.

Die Erleichterung am Donnerstag vergangener Woche war bei den Verbands- und Branchenvertretern groß, als das Ergebnis der Abstimmung über eine Entschließung des Europäischen Parlaments an die Kommission bekanntgegeben wurde. Darin ging es um den Bericht des Parlaments-Sonderausschusses zur Krebsbekämpfung (BECA) zur Stärkung des Kampfes der EU gegen Krebserkrankungen. Im 63 Seiten umfassenden Bericht geht es nur in den Absätzen 15 und 16 um Alkoholkonsum.

Darin heißt es grundsätzlich, dass das Risiko einer Krebserkrankung umso geringer sei, je niedriger der Alkoholkonsum ist. Der Bericht weist erneut auf die oft kritisierte, aber von der WHO zitierte Studie hin, wonach es "am sichersten ist, gar keinen Alkohol zu konsumieren, wenn es gilt, Krebs vorzubeugen". Der BECA-Bericht betont, "dass das Risiko einer Krebserkrankung umso geringer ist, je niedriger der Alkoholkonsum ist“. Weiter heißt es: "Schädlicher Alkoholkonsum (ist) ein Risikofaktor für viele verschiedene Krebsarten (...)."

Zehn Prozent weniger „schädlicher Alkoholkonsum“ bis 2025

Daher empfiehlt der Bericht dem Europäischen Parlament, „den schädlichen Alkoholkonsum bis 2025 um mindestens zehn Prozent zu verringern“. Er fordert „eine europäische Strategie für den vollständigen Alkoholverzicht von Minderjährigen, wobei das Subsidiaritätsprinzip und die geltenden nationalen Rechtsvorschriften über Altersgrenzen für den Alkoholkonsum zu beachten sind“.

Minderjährige sollten zudem im Netz vor einschlägigen Werbebotschaften sowie Produktplatzierungen und Sponsoring geschützt werden. Der Bericht fordert ausdrücklich, Alkoholwerbung und Sponsoring bei Sportveranstaltungen zu verbieten, wenn dort hauptsächlich Minderjährige teilnehmen. Und die Überarbeitung der Rechtsvorschriften zur Alkoholbesteuerung müssten überarbeitet werden. Im Klartext: eine Alkoholsteuer und damit ein Mindestpreis wird empfohlen.

 

Muss James Bond künftig auf Champagner verzichten?

Tatsache ist: Schätzungsweise zehn Prozent aller Krebserkrankungen von Männern und drei Prozent aller Krebserkrankungen von Frauen in Europa sind laut renommierten medizinischen Studien auf Alkoholkonsum zurückzuführen. Alkohol kann zu Suchtverhalten und damit zu viel Leid führen. Alkohol, auch im Wein, ist ein zellschädigendes Gift. Dass der Zugang und Umgang mit Alkohol lange viel zu lax gehandhabt wurde, ist unbestritten. Einige Fragen zu den möglichen Werbe- und Sponsoring-Verboten drängen sich nun auf: Muss James Bond nun auf seinen Champagner und Bordeaux verzichten, oder fallen diese Filme künftig unter Jugendschutz? Wird die UEFA Champions-League bald zur bierfreien Zone? Oder dürfen Fans künftig erst als Volljährige ins Stadion?

 

Doch keine Warnhinweise wie auf Zigarettenpackungen

Branchenvertreter quer durch Europa jubeln jedenfalls über das Ergebnis der Abstimmung. Der ursprüngliche Entwurf sah nämlich viel rigidere Empfehlungen vor: Das Ende von Subventionen für die Weinbranche, also auch für den Weinanbau, hätte tiefgreifende Folgen für die Produzenten zur Folge gehabt. Ein vollständiges Werbeverbot hätte zudem vielen Marketing-Verbänden und -Institutionen die Existenzgrundlage entzogen. Besonders scharf von Branchenvertretern kritisiert wurde die in den ersten Berichtsfassungen geforderte Platzierung von Warnhinweisen auf Etiketten, dass Alkoholkonsum gesundheitsschädlich ist – in einer Gestaltung, wie man es von Zigarettenpackungen kennt.

Im gesamten Bericht wurde nun dem Wort „Alkoholkonsum“ das Wort „schädlich“ vorangestellt, so dass viel Interpretationsspielraum bleibt. Denn was schädlicher Konsum bedeutet, bleibt unspezifiziert - trotz der ausdrücklichen Warnung, dass es am sichersten ist, keinen Alkohol zu trinken. Der Bericht ist ein für die EU typischer Kompromiss: Aus ihm können Branchen-Lobbyisten ebenso wie streng gesundheitsorientierte Politiker ihre Positionen herauslesen - und hineininterpretieren. Das macht die kommenden Diskussionen über Details und mögliche Restriktionen anspruchsvoll – und bringt die Branche trotz Jubel in die Defensive.

 

Zwischen „maßvoll“ und „schädlich“

Christian Schwörer

OIV-Generaldirektor Pau Roca zeigte sich erleichtert: Die Unterscheidung zwischen Konsum und schädlichem Konsum sei für seine Arbeit „konzeptionell sehr wichtig". Auch Christian Schwörer, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbandes (DWV), betont in seiner Stellungnahme: "Der angenommene Text unterscheidet nun grundsätzlich zwischen schädlichem und maßvollem Konsum. Außerdem wird empfohlen, den Verbrauchern Informationen über maßvollen und verantwortungsvollen Alkoholkonsum zur Verfügung zu stellen, anstatt die Verwendung ungerechtfertigter Gesundheitswarnungen zu fördern". Die Vereinigung der Europäischen Anbaugebiete (AREV) betont ebenfalls den Unterschied zwischen mäßigem Konsum und Missbrauch. Sie sieht dadurch sogar das „immaterielle Kulturerbe Mittelmeerdiät“ gerettet.

Der italienische Europaabgeordnete Herbert Dorfmann aus Südtirol, der sich sehr für Änderungen des ursprünglichen Antrages eingesetzt hat, betonte in einem Interview mit vitisphere.com: „Ich sage nicht, dass Alkohol kein Problem für die öffentliche Gesundheit darstellt, wir alle wissen, dass er viele Krankheiten verursachen kann. Aber es gibt einen Unterschied, der zwischen dem Konsum und dem Missbrauch von alkoholischen Getränken zu machen ist. Die Änderungsanträge waren wichtig, weil sie diese Unterscheidung treffen. Das verstehen Winzer und Verbraucher, die in Maßen ein Glas Wein oder Bier genießen.“

 

„Alkohol ist auch eine gefährliche Suchtdroge“

Herbert Dorfmann

Dem widerspricht die österreichische Europa-Abgeordnete Sarah Wiener in einer Aussendung ausdrücklich: „Diese Änderungen zeigen einmal mehr, wie rücksichtslos hier gegen öffentliche Interessen lobbyiert wird. Wir sind alle mit dem Glas Bier oder dem Schoppen Wein kulturell erzogen worden, aber dennoch und gerade deshalb müssen wir uns eingestehen, dass Alkohol nicht nur Krankheitsverursacher, sondern auch eine gefährliche Suchtdroge ist. (…) Aber stattdessen propagiert der Bericht des Parlaments nun, dass unser Trinkverhalten auch risikofrei sein kann."

Herbert Dorfmann hat eine andere Einschätzung: „Es ist klar, dass die Abgeordneten, die für die ursprüngliche Version des Berichts mit seiner Formulierung ‚no safe level‘ verantwortlich waren, uns als Mitglieder der Weinlobby betrachten. Ich glaube aber nicht, dass es hier um eine Lobby geht. Es gibt hunderttausende Winzer und Weinhändler in Europa. Ich selbst stamme aus einer Winzerfamilie, und es ist völlig legitim, dass sie mit einer Politik nicht einverstanden sind, die ihren Beruf als schädlich ansieht.“

 

Restriktiverer Zugang zu Alkohol für Jugendliche

Welche Forderungen des Berichts die Kommission in konkrete Regularien überträgt, ist derzeit offen. Im Regelfall orientieren sich die Kommissare aber nah an den Empfehlungen des Parlamentes. Der Zugang zu alkoholischen Getränken dürfte daher speziell für Jugendliche noch restriktiver geregelt werden. Hinweise zu moderatem und verantwortungsvollem Alkoholkonsum auf Etiketten werden ebenso wie Inhaltsstoffangaben und Nährwertinformationen kommen. Eine Steuer oder auch ein Mindestpreis für alkoholische Getränke wird von vielen Experten als wahrscheinlich angesehen.

Ob man Alkoholabhängige mit schärferen Restriktionen tatsächlich besser vom Missbrauch abhalten kann, bleibt zu hoffen - und abzuwarten. Tatsache ist: Die Weinbranche als Teil der Alkoholindustrie ist nun im Fokus der Beobachtung von Politikern, Institutionen und der einflussreichen Weltgesundheitsorganisation WHO. Gesunder Lebensstil, der Verzicht auf Fleisch und alternative Ernährungs-Haltungen kollidieren oft mit dem gelebten Umgang mit Alkohol. Dieser darf daher keine weiteren Anlässe zu neuen Angriffen bieten. Die Gefahren des Alkohols nicht zu negieren, aber sich zugleich die Freude am bewussten Genuss nicht verleiden zu lassen: Das muss das Ziel sein. Nur wenn wir Wein wie ein Kulturgut behandeln, können wir die Weinkultur schützen. Diesmal sind wir vor härteren Einschnitten davongekommen. Es liegt nun an allen Beteiligten in der Weinbranche, dass das in Zukunft so bleibt. Denn der BECA-Bericht ist der Auftakt für eine neue, deutlich kritischere Haltung der politisch Verantwortlichen zum Wein als jemals zuvor. Die Forderungen nach Restriktionen stehen nicht mehr nur in einem Papier der EU-Administration. Sie sind nun die offiziellen Forderungen des Europäischen Parlaments. Und das wird Folgen haben.

Fotos: ©123rf, ©herbert-dorfmann.eu, ©DWV

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