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Der Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft zum Umgang mit neuen Reben- und Pflanzenzüchtungstechniken (NGT) wurde vergangene Woche im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten angenommen. Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Rechten befürwortete den Vorschlag, gentechnisch veränderte Reben und Pflanzen schneller als bislang in den Handel bringen zu dürfen.
Die Vertreter in Brüssel hatte vorgeschlagen, die Vorschriften für den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) deutlich zu lockern und dafür zwei Kategorien für genetisch veränderte Reben und Pflanzen einzuführen. In der ersten Kategorie sollen neue Sorten mit bis zu 20 genetischen Veränderungen im Vergleich zur ursprünglichen Pflanze oder Rebe demnach weitgehend wie herkömmliche Sorten behandelt werden. Für Pflanzen oder Reben mit mehr genetischen Eingriffen sollen weiter strengere Vorschriften gelten. Laut den Plänen der EU-Kommission müssen bei genetisch veränderten Sorten aus der ersten Kategorie nur noch das Saatgut gekennzeichnet werden. Auf Produkten im Supermarkt muss dagegen nicht mehr explizit genannt werden, dass sie mithilfe von Gentechnik angebaut wurden. Die Kennzeichnungspflicht ist einer der größten Streitpunkte zwischen Verbraucherschützern und Befürwortern.
Deutschland hat den neuen Regeln nicht zugestimmt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erklärte nach der Abstimmung: „Der Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen betrifft und berührt die Menschen. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen selbstbestimmt entscheiden können, was sie essen; Landwirtinnen und Landwirte sowie Unternehmen der Lebensmittelindustrie wirtschaften schon lange erfolgreich gentechnikfrei. Dass dies auch in Zukunft möglich bleibt, dafür habe ich mich als Landwirtschaftsminister immer eingesetzt. Deutschland hat daher dem Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft nicht zugestimmt.“
Bevor die Reform endgültig in Kraft treten kann, müssen noch die EU-Staaten zustimmen. Eine Einigung vor der Europawahl im Sommer gilt als unwahrscheinlich. Verbraucherschützer und Teile der Lebensmittelbranche kritisieren die geplante Deregulierung. Die Verbände sehen die Wahlfreiheit der Verbraucher sowie die Interessen von Züchtern und Landwirten in Gefahr.
Die Pläne waren bereits im Vorfeld auf heftige Kritik gestoßen. Mehr als 200 Organisationen, darunter Bioland und Greenpeace, warnten vor negativen Folgen einer überstürzten Deregulierung. Auch der Bio-Verband Demeter warnt vor den Folgen der Entscheidung. „Mit dieser Entscheidung wendet sich Europa immer weiter von seinen Grundprinzipien der Vorsorge und der Lebensmittelsicherheit ab“, erklärte Jörg Hütter, politischer Sprecher von Demeter, in einer Mitteilung. Der Verband kritisiert besonders die ungeklärte Patentfrage. Wenn künftig nur wenige Großkonzerne Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen besäßen, läge die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung in ihrer Hand.
Befürworter der Lockerungen sehen in der neuen Gentechnik die Chance, Reben und Pflanzen zu entwickeln, die besser mit den Folgen des Klimawandels und mit weniger Pestiziden zurechtkommen. Auch im Weinbau könnten NGT-Reben eingesetzt werden, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Renommierte Wissenschaftler schätzen gesundheitliche Risiken als unwahrscheinlich ein. Die EU-Kommission hatte die Lockerung bereits im Sommer 2023 vorgeschlagen. Wie sich die neue Bundesregierung zu dem Vorhaben positioniert, ist noch nicht bekannt.
(ru / Lebensmittelpraxis, Spiegel, BMEL)