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Immer mehr Steillagen im italienischen Moscato-Gebiet werden aufgegeben. Ihre Bewirtschaftung ist extrem aufwändig, die Trauben bringen nicht mehr genug ein. Eine Gruppe junger Winzer will diesen Trend aufhalten: Ihre Kollektivmarke „Sorì Eroici“ soll den Weinen neuen Wert vermitteln.
Francesco Bocchino (Tojo Winery) © Foto: Raffaella Usai

Knapp 1.000 Arbeitsstunden pro Jahr braucht Francesco Bocchino vom Weingut Tojo, um einen Hektar Steillage zu bewirtschaften. Fast alles muss manuell gemacht werden, für größere Maschinen sind seine Weinberge zu abschüssig, die Abstände zwischen den Rebzeilen zu gering. Ich stehe mit dem Winzer in einer seiner Hanglagen. Die Morgensonne scheint uns wärmend ins Gesicht, ich bin vom Aufstieg etwas aus der Puste. Von hier oben ist die Aussicht unfassbar schön. Wir sind in der Gemeinde Santo Stefano Belbo, im Herzen des Moscato-Gebiets und schauen über ein welliges Hügelmeer hinweg in Richtung Westen nach Castiglione Tinella.

Diese hügeligen Weinberge heißen im piemontesischen Dialekt „Sorì“. Das bedeutet „von der Sonne geküsste Hügel“, erklärt Francesco Bocchino, „weil die Reben hier eine besonders intensive Sonneneinstrahlung genießen“. Rund 1.400 Hektar dieser steilen Lagen gibt es im Anbaugebiet. Sie haben ein Gefälle von mehr als 40 Prozent, bei manchen beträgt die Hangneigung sogar bis 60 Prozent. Für Maschinen sind sie ungeeignet. „Wer diese Steilhänge mit einem kleinen Traktor bearbeitet, riskiert sein Leben. Aber viele tun es, um Kosten und Mühe zu sparen“, sagt der 28-Jährige. Seine Reben sind im Durchschnitt 60 Jahre alt und daher sehr eng gepflanzt. Die Zeilen liegen weniger als 1,50 Meter auseinander. Da passt kein Traktor durch. „Solange kleinere, ferngesteuerte Maschinen und Drohnen nur versuchsweise für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln eingesetzt werden, muss ich alle Arbeiten manuell machen“, sagt Francesco.

 

Mehr Arbeit, aber wenig Anerkennung

Steillagenweinbau lebt von Idealisten, egal ob an der Mosel, am Douro oder hier. Die Winzer, die im Moscato-Gebiet unter harten Bedingungen ihre Reben pflegen, machen das nicht, weil sie dafür besonders viel Geld bekommen. Sie tun es aus Liebe und Verantwortungsbewusstsein – und weil sie die historischen Lagen vor dem Verfall bewahren wollen. In den Steillagen herrscht dramatischer Arbeitskräftemangel. Oft sind es alte Menschen, die sich unter Selbstausbeutung um ihre Weingärten kümmern. Bis sie eines Tages nicht mehr können. Das hat zur Folge, dass immer mehr dieser Weinberge sich selbst überlassen bleiben. Und dies ist nicht nur schade, sondern auch ein ernstes Problem, denn durch das Verwildern der Parzellen erhöht sich das Risiko von Erdrutschen. Ganz besonders dramatisch zeigte sich das im Herbst 2011 in den Cinque Terre, als nach heftigen Regenfällen ganze Dörfer unter Schlammmassen begraben wurden.

„Viele Weinberge wurden bereits aufgegeben, weil die Alten die Arbeit nicht mehr schaffen und sie für die Jungen nicht rentabel sind. Diese Reben machen viel Mühe, die sich am Ende nicht rechnet“, schildert Francesco frustriert. Denn die großen Kellereien und Sekthäuser zahlen für Moscato-Trauben aus den Steillagen genauso viel wie für die aus den mechanisierbaren flachen Lagen: je nach Jahrgang sind es rund 1,10 Euro pro Kilo. Auch Francesco Bocchino verkauft den Großteil seiner Trauben, er ist von der Spumante-Industrie abhängig. Nur 25 Prozent füllt er bislang unter dem Namen Tojo ab. „Mein Ziel ist es, irgendwann alles selbst zu vermarkten. Nur so werde ich davon mal gut leben können“, sagt Francesco und blickt selbstbewusst in die Zukunft.

 

Komplexes Moscato-Universum

 Die Weinberge von Poderi Roccanera © Foto: Raffaella Usai

Das Moscato-Universum ist ein komplexes soziales Gefüge mit imposanten Zahlen. In 51 Gemeinden der drei Provinzen Alessandria, Asti und Cuneo wird auf insgesamt 9.700 Hektar die Traube Moscato bianco angebaut. Davon auf 1.400 Hektar unter erschwerten Bedingungen. Den Ton geben die Sekthäuser und die Kellereigenossenschaften an. Sie vermarkten den Großteil der Produktion und diktieren die Preise, selbstvermarktende Weingüter sind in der Minderheit. Viele Winzer füllen nur einen Teil ihrer Produktion unter eigenem Namen ab und verkaufen Trauben oder Most an Großkellereien. Somit ist vor allem der Traubenpreis für das soziale Gleichgewicht der Appellation verantwortlich: Er bestimmt das Schicksal vieler Weinberge.

Die Moscato-Traube wird sowohl für die Produktion des Asti Spumante DOCG als auch für den Moscato d’Asti DOCG verwendet. Während der Asti Spumante größtenteils ein industrielles Produkt für den Lebensmittelhandel ist, hat sich der Moscato d’Asti, seit Romano Dogliotti Mitte der 1970er-Jahre seine erste Flasche abfüllte, als Winzerwein einen Namen gemacht. Jährlich werden rund 50 Millionen Flaschen Asti Spumante und 35 Millionen Flaschen Moscato d’Asti erzeugt. Da die internationale Nachfrage nach Moscato d’Asti in den vergangenen zehn Jahren spürbar angezogen hat, erzeugen die Sekthäuser immer weniger Asti Spumante, sondern bedienen ihre Kunden ebenfalls mit Moscato d’Asti. Die Grenzen verwischen. Was früher klar getrennt war, weicht immer mehr auf. Der Präsident des Asti-Konsortiums, Lorenzo Barbero, geht davon aus, dass sich die Produktionszahlen in Zukunft weiter angleichen und sich Spumante und Moscato die Waage halten werden.

 

Winzer starten Pilotprojekt

Um zu verhindern, dass künftig noch mehr Steillagen aufgegeben werden, hat eine Gruppe von Winzern 2021 die Kollektivmarke „Sorì Eroici“ ins Leben gerufen. Der eingetragenen Marke liegt ein langjähriger Prozess zugrunde, unter anderem die Kartographierung von 20.000 Hektar Weinbergen. Luca Luigi Tosa, einer der Mitbegründer des Projekts und Vize-Bürgermeister der Gemeinde Cossano Belbo erklärt: „Wir wollen die Steillagenweine aus den Anbaugebieten Langhe, Roero und Monferrato aufwerten und die Verbraucher für die Thematik sensibilisieren. Es ist ein wichtiges Signal für unsere Region und ich hoffe, dass sich viele weitere Betriebe anschließen werden.“

Emanuele Contino (Teresa Soria) & Gabriele Saffirio (Azienda 499) / Alessandro Negro (Poderi Roccanera) © Foto: Raffaella Usai

Bislang haben sich 13 Weingüter mit insgesamt 44 Hektar Steillagen dem Aufnahmeprotokoll verpflichtet. Voraussetzungen sind Weinberge mit einer Hangneigung von mindestens 40 Prozent, die nicht mechanisierbar sind oder Weinberge mit einer geringen Hangneigung, die ebenso manuell bewirtschaftet werden müssen. Nach Norden ausgerichtete Rebberge sind ausgeschlossen. Die Erzeuger müssen außerdem nachweisen, dass sie ihre Weinberge nachhaltig bewirtschaften - entweder biologisch, biodynamisch oder integriert. Emanuele Contino vom Weingut Teresa Soria unterstreicht, warum den Winzern dies so wichtig ist: „Seit 2014 sind die Weinberge von Langhe, Roero und Monferrato Unesco-Weltkulturerbe. Für uns stand im Vordergrund, die Schönheit unserer Region zu erhalten und sie zu schützen. Daher ist die Nachhaltigkeitszertifizierung ein fundamentaler Aspekt der Zulassung. In vielen Betrieben findet derzeit ein Generationswechsel statt, damit ist auch ein Umdenken bei Pestiziden und Herbiziden verbunden.“

Das Projekt „Sorì Eroici“ umfasst alle 51 Gemeinden des Moscato-Gebiets, ist aber nicht nur auf Moscato beschränkt. Wenn die Weinberge die Kriterien erfüllen, können auch Barbera, Dolcetto oder Nebbiolo mit dem Logo ausgezeichnet werden. Wichtig ist, dass die Weine aus den zertifizierten Lagen separat vinifiziert und abgefüllt werden. Die ersten Flaschen von den Weingütern Teresa Soria, Poderi Roccanera, Rocche di Moncucco und Rapalino sind inzwischen erhältlich, weitere Winzer werden in den kommenden Monaten folgen.

„Mein Steillagen-Moscato kostet mehr als die anderen Weine, die aus flacheren Lagen kommen. Und das muss auch so sein, denn die Konsumenten sollen auf Anhieb verstehen, dass in dieser Flasche eine besondere Anstrengung steckt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch über den höheren Preis unsere Kollegen davon überzeugen können, dass dies der richtige Weg ist, um unsere Region in eine sichere Zukunft zu führen“, sagt Emanuele Contino.

Header-Foto: © Exploria

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