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Seit Jahren zieht es mich in die Steiermark. Genauer nach Leutschach. Dort, am südlichsten Ende der Steiermark, immer nur ein paar Schritte von der slowenischen Grenze entfernt, findet sich eine Viererbande von Winzern (Franz Strohmeier, der Weststeirer, ist der fünfte im Bunde), die ein innovatives Ausrufezeichen in einer Gegend setzt, die für Experimente nicht unbedingt bekannt ist, und einen gekonnten Bogen von der Tradition hin zur Avantgarde schlägt.

Andreas Tscheppe, Weingut E. & A. Tscheppe

Andreas, und da sind wir am Anfang der Geschichte, traf ich das erste Mal am Bahnhof von Ehrenhausen. Seiner Ansicht nach der perfekte Ausgangspunkt, um in die Weinwelt der Steiermark einzutauchen und nachdem ich noch nie da unten – quasi an der slowenischen Grenze – war, schlugen wir nicht den direkten Weg nach Leutschach ein, sondern wählten die Hügel, die Weinstraße, die Strecke vorbei an Grenzpflöcken und Rebstöcken. Wir passierten ein paarmal die slowenisch-steirisch-slowenisch-steirische Grenze und während wir uns als physische Grenzgänger erwiesen, erzählte mir Andreas über das Leben als Grenzgänger zwischen den hiesigen Weinwelten: „Eigentlich hatte ich ja die Weingärten vom Vater auf der Riegersburg. Aber eigentlich wollte ich etwas bei mir machen, und so entschied ich mich für neue Rebanlagen in meiner Heimat. Dann ist erst mal einiges schiefgegangen, und kurz bevor ich alles hingeschmissen habe, dachte ich mir, jetzt starte ich nochmal so richtig durch.“

Wie er das gemacht hat, kann man am besten am Krebskogel, einem eigentlich steinalten, aber brachliegenden Weinberg ablesen, den er seit letztem Jahr wieder aufbaut. 2,4 Hektar galt es zu rekultivieren. Aus einer Kräuterwiese sollte wieder ein Weingarten werden. Ein bürokratischer Spießrutenlauf sei es gewesen, die Rebpflanzrechte zu bekommen, erzählt er, aber letztlich hatte er ein paar Aktenordner voll mit Dokumenten und obenauf die Bewilligung. Also setzte er sich in seinen Bagger („ich bin ja ein leidenschaftlicher Baggerfahrer“) und legte los, terrassierte den Krebskogel von oben nach unten und pflanzte auf den hoch gelegenen Flächen Gelben Muskateller, Goldmuskateller und Sauvignon, der unten in Chardonnay übergeht. Anhand dieser Neuanpflanzung kann man nicht nur das Engagement von Andreas Tscheppe ablesen, sie steht eigentlich paradigmatisch für eine Gruppe von Winzern, die es sich zwar nicht zum Ziel gesetzt hat, den steierischen Weinbau zu revolutionieren (dazu fehlt ihnen der missionarische Eifer), dafür jedoch umso konsequenter ihre eigene Vorstellung von hochqualitativem, terroirgetriebenem und wirklich nachhaltigem Weinbau umsetzt. Tscheppes Konzept ist ausgefeilt, durchdacht und mit beeindruckender Leidenschaft umgesetzt.

 

Winzer Andreas Tscheppe (Foto: Mario Zalto)

So passt er zum Beispiel die Terrassen dem Gelände an. Er planiert die Flächen also nicht gerade in den Berg hinein, sondern geht mit mit dem Hang („sonst hätte ich den halben Berg wegsprengen müssen“) der sich zudem der Sonne in diversen Expositionen zuwendet und nebenbei – zumindest für urbanes Volk – eine ästhetische Dimension öffnet. Die Pflanzdichte ist hoch, der Weinberg ebenso: 580 Meter auf seiner Kuppe – „von da oben kannst du bis nach Ungarn rüberschauen“. Von dort kommt auch das warme pannonische Klima und trocknet das nachts feucht gewordene Laub.

Zudem ist der Krebskogel von einem Kastanienwald vor den kalten Winden der Koralpe geschützt. Schutz und Nachhaltigkeit sind dann auch weitere Schlagwörter, und Andreas setzt dabei auf eine vitale Weingartenkultur. Hier oben am Krebskogel wächst ein Kräutermeer zwischen den Rebstöcken, die Wiese wird nur im Frühjahr einmal gemäht, Pfirsichbäume brechen die Rebreihen auf und eigentlich geht es ihm darum, „die Monokultur, die der Weinbau nun einmal ist, auszubremsen“.

Er deutet auf den Fuß des Krebskogels, der von einem mächtigen Birnbaum dominiert wird. „Ich versuche den Baum unbedingt zu erhalten. Der ist 80 Jahre alt, der hat hier oben über Generationen gestanden, warum soll ich ihn wegräumen.“ Außerdem, und hier wird es komplizierter, „hat jeder Baum eine gewisse Energie.“ Worin die steckt, werde ich im Laufe der nächsten zwei Tage erfahren. Fürs erste machen wir uns auf den Weg hinüber zu Andreas’ Hof oben am Langegg. Wir stapfen durchs Laub, und während wir in der Weite den Czamillonberg und andere klassische steirische Lagen ausmachen, berichtet mir der Winzer auch von den Problemen, mit denen er sich seit der Gründung seines kleinen Weinguts 2006 herumzuschlagen hatte.

„2008 hatte ich im Laufe der Vegetation die größten Probleme mit den Rehen“, erzählt er. „Als das ausgestanden war, kamen die Vögel. Die fressen vor allem meine Trauben, weil sie ihnen besser schmecken als das restliche Zeug hier.“ Er lacht, die Absurdität der Situation verlangt danach, aber eigentlich muss es ein ziemlicher Schock gewesen sein, als er 2008 seinen Goldmuskateller ernten wollte. Den hatte er von einem befreundeten Winzer aus Südtirol eingeführt, und als er seine erste Lese einfahren wollte, stand er vor einem bereits abgeernteten Weingarten, weggefressen von den Rehen. 25 Liter blieben ihm, die er auf der Maische in einem Glasballon vinifizierte. 2009 hagelte es ihm alles weg, 2010 war schwierig, und erst 2011 konnte er ihn so lesen und verarbeiten, wie er das von Anfang an beabsichtigt hatte: superreif und im Holzfass ausgebaut.

 

(Foto: Mario Zalto)

Andreas Tscheppes Leben spielt sich vor allem oben ab. Auf Kogeln und Kuppen. Ganz oben befindet sich auch sein Hof, vor dessen Eingang ein Schild mit dem Bild eines seiner – zumindest in einem kleinen Kreis – berühmten Etiketten steht. Ein Hirschkäfer ist darauf abgebildet, anatomisch präzise dargestellt, und nur ein Verweis darauf, was sich so an Getier in seinem Weingarten bewegen darf. Vom Langegg, das fast durchwegs mit den Rebstöcken des Bruders bepflanzt ist, schauen wir in die Ferne, und auf einen Teil der vier Hektar, die Andreas bewirtschaftet. Er weiß, dass das nicht viel ist, aber „man kann auch nicht gleich von Null auf Hundert“. Also kauft er zu, manchmal auch von konventionellen Winzern, meistens jedoch vom Bruder, der ebenfalls Mitglied der Gruppe ist. Die Gruppe: das sind Andreas und Ewald Tscheppe, die Brüder, dazu Roland Tauss, Sepp Muster und, geographisch ein wenig entlegen, programmatisch jedoch ganz auf Linie (und vielleicht der Experimentellste von allen), Franz Strohmeier. Sie fungieren im Kollektiv unter dem Namen "Schmecke das Leben", und liest man sich durch ihr Manifest, stößt man unter anderem auf folgende Sentenzen: „Schmecke das Leben ist eine Wertegemeinschaft von fünf steirischen Winzern... Ihr gemeinsamer Weg eines gemeinsamen Naturverständnisses führt sie zu einem neuen Lebensstil – einem neuen Weinstil...“

Verkostungsnotizen: Der Keller, in dem Andreas Tscheppe seine Weine vergärt, liegt am Fuße des Langeggerberges, am Hof seines Bruders. Seine Weine befinden sich allerdings weiter oben, und so beginnen wir gemeinsam mit der Erkundung dieses neuen Weinstils (zum Lebensstil kommen wir auch noch). Wir fackeln nicht lange und fangen mit einem seiner fast schon legendären (geht das in so kurzer Zeit?) Erdfassweine an. Dabei verbuddelt Andreas ein Fass in der Erde, um dem darin befindlichen Wein einen möglichst ruhigen und stabilen Ausbau zu ermöglichen. Ausgebuddelt und abgefüllt riecht und schmeckt der reinsortige Sauvignon Blanc erstmal nach Kräutern und Orangen, der Körper ist dicht und doch straff. Drei Wochen Maischestandzeit sorgen für feines Tannin, die Malolaktik spürt man nicht direkt, sie macht den Wein lediglich ein wenig runder und balancierter. Die Eingriffe, die sich schon im Weingarten auf das Wesentlichste beschränken, nehmen im Keller nochmals ab. Das Pressen ist schonend und langsam, die Schwefelung minimal, die Temperatur wird nicht reguliert, die Vergärung verläuft spontan. Die Weine bleiben über Wochen, Monate und Jahre im Fass und auf der Hefe, und erst wenn sie nach Andreas’ Befinden fertig sind, wird abgefüllt. Das kann Jahre dauern, und so kommt es, dass wir nun vor dem Sauvignon Blanc 2007 sitzen, der Grünen Libelle, die alles Mögliche, nur keine Primärfrucht offeriert: Kamille, Kräuter und Blüten dominieren, der Wein hat Druck und Zug in Richtung Gaumen, ein Maischetag gibt ihm einen zusätzlichen Kick. Die Weine sind kompromisslos und bieten einen völlig anderen Zugang zu steirischem Sauvignon Blanc. Sie sind ein Gegenpol, ein beeindruckender Alternativentwurf und hinterfragen in ihrer Natürlichkeit zugleich die standardisierte Typologie der Rebsorte. Hier ist man Lichtjahre entfernt von Maracuja- und Stachelbeernoten, vom grünen Paprika und den Holundernoten, Aromen, die normalerweise dem Sauvignon ihren Stempel aufdrücken. Gleiches gilt für die Blaue Libelle, die mit ihren Graphit- und Kräuternoten mehr an Chablis erinnert als an Steirische Klassik, und was dann noch mehr überrascht, ist der Muskateller, der zwar aromatischer erscheint, jedoch auch griffig, fest und kompakt ist, ein Wein mit Power und Struktur. Wir lehnen uns zufrieden zurück und beschließen dann, hinunter zum Bruder zu fahren, vorbei an alten Rebstöcken, die in einem alten steirischen Reberziehungssystem gehalten sind und schon zu Ewalds Weingärten gehören.

 

(Foto: Mario Zalto)

Ewald Tscheppe, Weingut Werlitsch

Anders als sein Bruder hat Ewald Tscheppe seine neun Hektar Weingärten quasi komplett rund um seinen Hof. Das gibt uns dann auch gleich die Möglichkeit, wieder bergauf (in Richtung Andreas) zu stapfen – unter blauem Himmel und bewaffnet mit einem Spaten, um dem biodynamischen Bodenleben auf die Spur zu kommen. Der Boden hat an sich elementare Bedeutung im Weinbau, bei den fünf Winzern nimmt das Wort, die Substanz, ihre Struktur, das Leben darin, allerdings nochmals eine neue Dimension an.

„Bodenbeobachtung ist alles“, meint dann auch Ewald, „man kann im Boden lesen und irgendwann weiß man dann auch über ihn Bescheid. Über seine Bruchstellen, seine Struktur, die Verdichtungshorizonte, seine Durchwurzelung. Das verlangt freilich Übung, und als Ewald den Spaten in die Erde steckt und ein Stück Humus aushebt, liest er, während ich ihm wie ein Analphabet gegenübersitze, zuhöre, schaue und an Erde rieche, die mir Ewald unter die Nase hält. Erde eben, könnte man meinen, doch mit der Leidenschaft und analytischen Fähigkeit, mit der Ewald darüber spricht, wird einem schnell klar, dass man besser aufpasst und zuhört: „Du musst den Boden in seiner Gesamtheit, als Organismus betrachtet – und wie jeder Organismus braucht er Balancen.“ Wir sind in der Zwischenzeit mitten in der Biodynamik angekommen, wo genau diese Gesamtheit ein grundlegendes Prinzip bildet. „Und um diese Balancen zu schaffen, musst du fein steuern, den Boden dort, wo er es braucht, ein wenig füttern, beobachten, was passiert, wie er reagiert“, fährt er fort. Ewald Tscheppe verwendet zwei biodynamische Präparate, er kompostiert schon lange nicht mehr, lässt im Weingarten natürliche Konkurrenz zu, und irgendwann „läuft das System dann von selbst“.

Die genaue Bodenbeobachtung führte letztlich auch dazu, dass ihm die Herkunftsidee wesentlich näher ist als der Sortengedanke. Dass er sich dabei auf dünnem Eis bewegt, ist ihm durchaus bewusst. „In Österreich ist das Sortendenken absolut dominant. Kunden wollen die Rebsorte, der Rest spielt eine untergeordnete Rolle“, weiß Ewald und macht es dann erst recht ganz anders. Seine Weine sind sämtlich Cuvées, wobei die genaue Zusammensetzung nirgendwo auf dem Etikett zu finden ist. Dort stehen die Namen Ex Vero I bis Ex Vero III, Tscheppes persönliche Aufteilung. Sie stehen für die Lagen – die sich durchweg am Langegg befinden – ihre Exposition, ihre Steilheit, ihre Struktur. Während man sich beim Ex Vero I zum Beispiel am Hangende befindet, dort, wo das Grundgestein etwas tiefer liegt und erst nach einem halben Meter Braunerde auf Fels stößt, ist Ex Vero III in den obersten Hängen zu finden und die Wurzeln der Rebstöcke von Anfang an direkt im Fels. Ex Vero II ist die goldene Mitte.

 

(Foto: Mario Zalto)

Während wir absteigen, erzählt Ewald weiter. Darüber, dass er froh ist, abgekapselt am Talende zu wohnen, in seiner kleinen Oase, wo ihn niemand schief anschaut, wenn er nicht mäht. Oder über die drei Stufen, die eine Sache für gewöhnlich durchläuft, wenn jemand etwas Neues beginnt: „Am Anfang macht einer eine Sache und die wird ignoriert. Dann macht er sie noch immer und dann gibt es plötzlich Gegenwind, und wenn er das noch immer besteht, dann heißt es, das haben wir immer schon gesagt.“ Er jedenfalls möchte nicht mehr anders arbeiten, bekennt er, und wenn man seine mächtigen, alten, aber robusten Stöcke ansieht, dann weiß man auch warum.

Was die hergeben und inwieweit sich die Unterschiede der Lagen sensorisch wahrnehmen lassen, versuchen wir ein wenig später in Ewalds Verkostungsraum herauszufinden. Dabei ist schon seine erste Handbewegung wegweisend. Die geht in Richtung Burgundergläser, mächtigen Pokale, in denen normalerweise nur Rotweine Platz finden – und Ewalds komplette Ex-Vero-Palette.

Wir fangen mit Ex Vero I an, und während der Wein sich die notwendige Luft im Glas holt, kommen wir gleich mal auf das Thema Schwefel zu sprechen, eine der heißesten Kartoffeln in der gegenwärtigen Weinwelt, kontrovers diskutiert und oft missverstanden. Ewald Tscheppe hat dazu seine eigene Meinung: „Schwefel“, glaubt er, „zerstört keineswegs die Lebenskraft des Weins. Zu viel Schwefel, zu früh allerdings bringt ihn völlig aus dem Gleichgewicht. Mit der Beigabe von Schwefel erhältst du junge, frische Aromen im Wein. Wesentlich ist aber, was die Zeit mit dem Wein macht. Komplexe Strukturen, die sich im Weingarten gebildet haben, müssen über die Jahre aufgebrochen werden – gleichzeitig müssen sich im Wein lange Aromaketten bilden, und die entstehen nicht von heute auf morgen. Aromen müssen beweglich bleiben, Schwefel allerdings fixiert.“ Kurz: Nur über den Faktor Zeit kommt man an das komplexe Produkt Wein ran.

Komplexität ist dann auch definitiv ein Schlagwort, dass die Weine von Ewald Tscheppe charakterisiert. Und zwar vom Ex Vero I weg, der immer hauptanteilig Chardonnay ist. Würze dominiert da quer durch die Jahrgänge (wobei diese nach Jahren der Reife interessanterweise an Frucht gewinnen), dezente nussige Töne wechseln mit filigranen Kräuternoten. Eingebettet ist das alles in ein perfektes Gefüge aus Säure und Körper, die Weine sind dicht, saftig und lang, harmonisch und ausbalanciert und das, obwohl sie oftmals schon tagelang offen sind. Die Vinifizierung ist ähnlich wie die des Bruders, die Weine machen durch die Bank einen biologischen Säurebabbau und landen ausnahmslos in unterschiedlich großen Holzfässern verschiedener Provenienz und unterschiedlichen Alters.

 

(Foto: Mario Zalto)

Als Ewald 2004 das väterliche Weingut übernahm, stellte er keineswegs – wie das so oft passiert – alles schlagartig um, drei Entscheidungen traf er allerdings sofort. Er meldete den Betrieb bei Demeter an, kaufte Holzfässer und beschloss, sämtliche Weine als Cuvées abzufüllen. Allesamt mutige Maßnahmen, die definitiv zu diesem Zeitpunkt keinem Trend folgten, für die er allerdings plausible Erklärungen hat: „Ich habe überhaupt kein Problem mit Holz. Allerdings ist Holz nicht gleich Holz.“

Und so verwendete er anfangs ähnlich viel Zeit für die richtige Holzwahl wie andere für die Auswahl der richtigen Aromahefen. „Holz muss das gleiche können wie der Wein, der sich darin befindet, es muss sich so integrieren, dass man die Manipulation nicht merkt, und der Wein vor allem runder und weicher wird. Wenn das gelingt, dann gewinnt der Wein auch an Vielschichtigkeit und Langlebigkeit“, erklärt er. Und damit es zu auch keinen unliebsamen Überraschungen kam, begab er sich zudem auf eine wochenlange Suche nach dem richtigen Küfer.

Der hat seine Sache jedenfalls gut gemacht. Der jüngste Ex Vero II (2008) der immer ein wenig vom Sauvignon geprägt ist, wirkt ein wenig stoffiger, saftiger und druckvoller als die erste Version, der Kalk kommt stärker durch. Das alles wird jedoch dann nochmals vom 2007 getoppt. Der scheint sich gerade auf einem Höhepunkt zu befinden („meine Weine verändern sich und das ist auch wichtig und gut so“), die Aromen sind ausgeprägt, Kräuterwürze dominiert anfangs, wird dann allerdings von Beerennoten abgelöst und endet mit fast exotischen Aromen. Ewald sagt, der Wein sei wie gebündeltes Licht. Das muss man nicht verstehen, es fällt allerdings auch nicht wirklich schwer, es nachzuvollziehen. Der Wein wirkt offen, hell, kraftvoll – und vom Holz merkt man nichts. Und auch nicht von irgendwelchen grünen Sauvignon-Aromen. Das liegt zum einen am Ausbau, anderseits auch daran, dass mit Chardonnay ein kongenialer Partner zur Verfügung steht. Beide werden zwar getrennt gelesen, vergoren und ausgebaut, nach einem Jahr wird dann verschnitten, und dann reift der Wein nochmals ein Jahr, um eine perfekte Balance zu finden. „Die Weine beginnen quasi nochmals neu reifen“, erklärt Tscheppe, „deshalb brauchen Cuvées auch länger, bis sie fertig sind.“ Das klingt alles einfach, doch erfordern all diese Maßnahmen extremes Durchhaltevermögen – denn Zeit ist, auch für Winzer, Geld. Zeit ist aber auch ein elementarer Qualitätsfaktor. Ewald Tscheppe hat sich für letzteres entschieden.

Am deutlichsten wird das beim Ex Vero III. Der landet erst mal für ein Jahr im Barrique und reift dann in großen Fässern weiter. Die Weine sind, egal ob sie drei oder sechs Jahre alt sind, jung, auch wenn man bei manchen erste feine balsamisch-ätherische Anklänge schmecken kann, und voller Spannung und Kraft. Ewald ist stolz auf seine Weine, und das völlig zurecht. Sie mögen zwar einen Tick anders sein, weniger fruchtsüß und aromatisch, dafür sind sie komplex, originell und langlebig – sie sind, in aller Kürze, Weine mit Charakter.

 

(Foto: Mario Zalto)

Roland Tauss, Weingut A. & R. Tauss

Auf der Fahrt zum Weingut der Familie Tauss kommt Ewald auf die diversen und doch unterschiedlichen Einflüsse zu sprechen, die die Gruppe prägen und geprägt haben. „Der Sepp und die Maria [Muster] waren in den Spätneunzigern auf Weltreise, und als sie in Indien ankamen, begann dort gerade ein dreiwöchiges Seminar von Peter Procter über biodynamische Landwirtschaft. Die beiden haben das vertieft und mit in die Steiermark gebracht. Ich habe mir das dann angeschaut, war fasziniert und bin dann eher zufällig auf Alex Bodolinski gestoßen, der das anthroposophische Gedankengut auf einen ziemlich pragmatischen Sockel gestellt hat. Mein Bruder hat sich vor allem in die Werke von Viktor Schauberger gestürzt und viele Ideen herausgefiltert. Der Franz [Strohmeier] ist dann dazugestoßen und hat seither eine kleine Bibliothek an entsprechender Literatur zusammengetragen.“

Roland Tauss’ Zugang war profaner. „Mein Sohn hatte Neurodermitis“, erzählt er, „und da macht man sich dann eben seine Gedanken. Ich habe den Hof schon in jungen Jahren übernommen und erstmal ganz konventionell weitergemacht – gespritzt, gedüngt, geschwefelt...“ Bis dann die Allergie das klassische System zum Einsturz brachte.

Das Weingut von Alice und Roland Tauss ist in der Zwischenzeit Demeter-zertifiziert – doch ist das letztlich nur die offizielle Bestätigung eines beeindruckenden Projekts. Denn abgesehen von einem dezidiert organischen Weinbau, besser gesagt einer extrem durchdachten Kooperation mit ihren Rebstöcken und deren natürlicher Umgebung, betreiben die beiden ein Winzerhaus mit Gästezimmern, das ihre Überzeugungen ebenso deutlich manifestiert wie ihre Weine und zumindest in Österreich Vorbildfunktion in Sachen Nachhaltigkeit hat. Sie produzieren ihren eigenen Strom, heizen mit Hackgut, wärmen den Pool mit Solarenergie, sammeln Wasser in Regenwasserzisternen und klären Abwasser in einer eigenen biologischen Kläranlage. Es wird recycelt, was geht, auf den Tisch kommen Bio-Lebensmittel, und gedruckt wird mit Pflanzenölfarben. Die Liste ließe sich beliebig verlängern, doch werfen wir stattdessen einen Blick in den Keller, nachdem sich die Sonne schon bei den Werlitschs nach unten gesenkt hat und Dunkelheit über den Weingärten liegt.

"Eigentlich gibt es bei uns im Keller kaum was zu sehen. Wir tun ja auch nicht wirklich viel“, erzählt Roland. Und so stehen wir zwischen einer ganzen Menge Holzfässern und reden über Nicht-Intervention. Der wesentlichste Eingriff ist die Wahl des Gebindes. „Wir haben uns für Holz entschieden, zum einen, weil es hier in der Gegend Tradition hat, zum anderen, weil es unseren Weinen die richtige Textur und Dichte mitgibt, und zu guter Letzt auch deswegen, weil Holz ein lebendiges Element ist, das den Weinen auch erlaubt, – wenn auch in mikroskopischem Umfang – zu atmen“, erklärt der naturverbundene Winzer. Ansonsten entspricht die Herangehensweise unten im Keller derjenigen, die auch die anderen vier Mitglieder von "Schmecke das Leben" praktizieren: Spontanvergärung ohne Temperaturkontrolle, Minimalschwefelung (wenn überhaupt), gelegentlicher Umzug der Weine, um sie einer bewussten Oxidation auszusetzen, viel Zeit auf der Feinhefe – und sonst? „Nichts!“

 

(Foto: Mario Zalto)

Nach einer halben Stunde sind wir auch schon wieder aus dem Keller draußen und sitzen bei den ersten Weinen. „Dieses Nichts sollte man nicht mit Nichtstun verwechseln“, lächelt Roland. Und schlägt in dieselbe Kerbe wie Tscheppe vor und Muster nach ihm.

„Man muss sich sensibilisieren – muss lernen, die Details wahrzunehmen. Geduld zu haben. Und natürliche Vorgänge zu akzeptieren. Sowohl im Keller als auch im Weingarten.“ Und man braucht auch gute Nerven. Denn bei all dieser Akzeptanz ist doch vieles, was Roland Tauss tut, ein rigoroser Kontrapunkt zu gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinungen. Er steht auf dünnem Eis, doch scheint er sich darauf durchaus wohl zu fühlen. Der respektvolle Umgang mit seinen Rebstöcken und seinen Weinen ist ihm definitiv wichtiger als der respektvolle Umgang mit der Wissenschaft. Dabei haben Experimente durchaus ihren Platz in der Tauss’schen Philosophie. Denn was passiert wirklich, wenn man plötzlich anfängt, den Schwefel radikal zu minimieren? Verwandelt sich der Wein in Essig, wie das die Lehre meint? Und wie steht es mit der konservierenden Funktion von Alkohol? Rolands Welschriesling aus dem Jahr 2006 gibt die Antwort: Als einzige Anspielung an Essig hat er eine leicht balsamische Note, dezente 11,5 Prozent Alkohol, ansonsten ist er vollgepackt mit Kräutern und Kamille, elegant, cremig und floral und noch lange nicht am Ende.

Oder was passiert, wenn man Wein einfach drei Jahre lang auf der Feinhefe lässt und mehrfach umzieht? Er wird ganz schlicht komplexer, Tauss’ Weißburgunder aus dem Jahr 2007 ist ein beredtes Beispiel dafür. Roland Tauss’ Weine sind, egal ob sie von seiner etwas einfacheren Opok-Serie oder von der Hohenegg-Linie stammen, spannende und manchmal auch spektakuläre Weine. Vor allem auch deswegen, weil sie Erwartungshaltungen erschüttern, sich stets nur über Andeutungen und Nuancen artikulieren und den Weintrinker ständig fordern. Nicht etwa deswegen, weil sie schwer zu trinken wären. Im Gegenteil, die Weine sind bekömmlich und lebendig: Die vom Opok, einem lehmigen Sandboden mit einem hohen Anteil an gelöstem Kalk, der in der ganzen Südsteiermark zu finden ist, sind vor allem feingliedrig, elegant und mineralisch, die Weine vom Hohenegg, ebenfalls Opok, allerdings mit höherem Sandanteil, würziger, dichter und stoffiger. Sie sind aber vor allem auch eines: jedes Mal anders.

„Warum auch nicht“, meint Roland lakonisch. Wir machen hier kein Industrieprodukt, wir agieren in einem Jahreszyklus, der uns stets neue Ideen und Reaktionen abverlangt.“ Doch ist das schon der große Rahmen, treten auch im Kleinen fortwährende Unterschiede auf, die die meisten Konsumenten oft nicht wahrhaben wollen. „Minimale Temperaturschwankungen unterstützen ganz andere Aromastrukturen, Lagerung prägt, jedes Holzfass unterscheidet sich vom nächsten, Kork ist nie gleich Kork, und Luft und Zeit verändern noch viel mehr.“ Das bedeutet letztlich, das selbst Weine aus dem gleichen Jahrgang oft heute so und morgen anders schmecken können. Am Ende sollte das freilich kein Problem sein, vor allem dann, wenn sich der Konsument in den Kreativprozess des Winzers integriert. Ist man sich nämlich der Intentionen der Winzer bewusst, hat man zum einen ein immer neues Geschmackserlebnis, zum anderen eine legitime Antwort auf gesteuerte Vereinheitlichung.

 

Weinlandschaft um Leutschach (Foto: ÖWM/Anna Stöcher)

Diese Vereinheitlichung und vor allem der Sauvignon Blanc Hohenegg werfen auch gleich die nächste Frage auf, die vor allem auf dem verzerrten Bild von Typizität und Authentizität fußt. Denn was sich hier im Glas befindet, hat wenig mit dem gerne transportierten Geschmacksprofil von Sauvignon Blanc zu tun. Wer hier nach frischen Stachelbeeren und Maracuja, Limetten und Grünem Paprika sucht, tut dies vergebens. Vielmehr hat man es mit einem weichen, stoffigen, floralen Wein zu tun, der am Gaumen feine ölige Spuren hinterlässt und dabei doch stets präzise in seiner Kräuterigkeit und Mineralität bleibt. „Prüfnummer bekommt man dafür in der Steiermark keine“, bemerkt Roland achselzuckend, „obwohl das für mich Steiermark pur ist.“

Wie kann das sein? Eine naheliegende Erklärung ist wohl die, dass die meisten Weintrinker dermaßen konditioniert auf Primärfruchtnoten sind, dass ihnen gar nicht mehr bewusst ist, dass sie eigentlich auf mehrfacher Manipulation fußt. Reinzuchthefen, zum Beispiel, müssen zwar nicht zwingend Aromen in den Wein abgeben, können aber Aromen im Wein unterstreichend herausarbeiten. Gärtemperaturen wiederum können so reguliert werden, dass von der ersten Sekunde weg extreme Fruchtaromen den Wein dominieren. Stahltanks, die definitiv keine Tradition in der Steiermark haben, werden Holzfässern vorgezogen und definieren so einen Typus mit, der heutzutage in der Steiermark als klassisch angesehen wird. Die Situation ist grotesk, doch bevor man lange lamentiert, macht es viel mehr Sinn und vor allem Spaß, auch noch Rolands Blaufränkische zu probieren. Die sind so außergewöhnlich in der Südsteiermark wie bemerkenswert in der Nase und am Gaumen: Der vom Opok ist würzig, zimtig, dunkelbeerig und straff, elegant und lang, der Hohenegg teilt dieses Profil, doch fügt er noch Pfeffer, Kraft und Kompaktheit dazu und schickt einen mit einem Abgang auf den Weg nach Hause, der selbst noch im Bett anhält.

Das Weingut E. & A. Tscheppe im Weinführer

Das Weingut Werlitsch im Weinführer

Das Weingut A. & R. Tauss im Weinführer

Zu Teil II der Artikelserie: "Mehr von der 'Fünferbande'"

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