Weinbau ist in vielen Regionen Europas nicht mehr rentabel. Das spüren vor allem kleine Familienbetriebe. Viele von ihnen suchen verzweifelt Nachfolger. Aber lohnt es sich überhaupt noch?
Die Situation ist ernst, die Stimmung mies. Selbst die größten Optimisten haben inzwischen verstanden, dass es sich nicht um eine vorübergehende Konsumkrise handelt, sondern dass sich der Weinbau in einem strukturellen Wandel befindet. Zu viel Wein, zu wenig Nachfrage. Die Gleichung ist einfach. Doch was tun? Die Vorschläge der EU-Politiker, um die Weinproduktion wieder ins Gleichgewicht zu bringen, sind an einer Hand abzuzählen: Rodungen, Krisendestillation, grüne Lese, Entalkoholisierung. Aber ob das dauerhaft die Probleme löst? Unwahrscheinlich.
Während Verbände nach Marketingstrategien suchen, um die Nachfrage wieder anzukurbeln, bahnt sich im Hintergrund das große Winzersterben an. Besonders betroffen: unbekannte Betriebe und Winzer, die keine eigenen Absatzkanäle haben und nur Trauben oder Fasswein produzieren. Thomas Schaurer ist Winzer und Gründer des Vereins „Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau“. Er sagt deutlich: „In wenigen Monaten droht 50 bis 60 Prozent aller Winzerfamilien in Deutschland der Bankrott. Was passiert, wenn unsere Weinberge verschwinden? Dann verlieren wir nicht nur ein Jahrtausende altes Kulturgut – sondern auch ein Stück Heimat. Zurück bleiben verwilderte, brachliegende Flächen.“
Trauben seien nichts mehr wert, schreiben frustrierte Winzer in den Sozialen Medien. Für viele ist Weinbau längst mehr Beschäftigungstherapie als wirtschaftliche Grundlage. Aber das kann nicht die Zukunft für junge Menschen sein.
Immer weniger junge Menschen wollen das elterliche Weingut übernehmen.
123rfSchaut man sich das Durchschnittsalter der deutschen Winzer an, liegen wir derzeit bei 55 Jahren. Zwar werden in den Weinmedien oft „Jungwinzer“ und „Quereinsteiger“ gehypt, doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Es gibt zu wenig Nachwuchs.
So wird der demographische Wandel einschneidende Veränderungen mit sich bringen. Er wird den Weinbau in den kommenden Jahren mehr als je zuvor beeinflussen. Denn wenn die Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1946–1964) in Rente gehen, werden viele Rebflächen wegen mangelnder Nachfolge aufgegeben werden. Das zeichnet sich jetzt bereits ab. Laut der 2023 an der St. Gallen Business School erschienenen Studie „Der Weinbau im Wandel“ haben lediglich 28 Prozent der Haupterwerbswinzer in Deutschland einen gesicherten Betriebsnachfolger. Bei den Nebenerwerbswinzern gaben sogar nur 18 Prozent an, die Hofnachfolge gesichert zu haben.
De facto stehen viele Betriebe, die über Generationen hinweg von Familien geführt wurden, heute ohne Nachfolger da. Nicht nur in Deutschland. Überall scheuen junge Menschen die harte körperliche Arbeit im Weinberg, die langen Arbeitstage und die unsicheren wirtschaftlichen Perspektiven.
Doch es gibt auch positive Beispiele. „Viele wollen den Familienbetrieb nicht übernehmen, weil sie erlebt haben, dass sich ihre Eltern dafür selbst ausgebeutet haben. Erfahren diese jungen Menschen, dass manche Weingüter hohe Gewinne mit einer Kapitalrendite von zehn bis 15 Prozent erwirtschaften, dann werden einige richtig neugierig. Dann erkläre ich gerne, welche Fehlentscheidungen die Eltern in der Vergangenheit im Weingut getroffen haben – und wie erfolgreiches Weinverkaufen geht. Und nicht selten hat die Jugend danach Lust auf das Weingut der Eltern bekommen. Dann habe ich zwar keinen Verkaufsauftrag erhalten, aber einen Betrieb vor dem Verkauf gerettet, weiß Weingutsmakler Erhard Heitlinger zu berichten.
Trotzdem stehen viele potenzielle Jungwinzer vor einem Dilemma: Obwohl Investitionen in moderne Maschinen, Kellertechnik oder eine zeitgemäße Bewirtschaftung der Weinberge dringend notwendig wären, schrecken sie angesichts unsicherer Marktbedingungen und sinkender Erlöse davor zurück. Zahlreiche Anschaffungen wurden bereits seit Jahren aufgeschoben, doch die hohen Kosten und das Risiko fehlender Rentabilität machen es für die nächste Generation besonders schwer, den entscheidenden Schritt zu wagen.
Und unter uns: Hätten meine Eltern ein kleines Familienweingut ohne berühmten Namen, würde ich mich auch fragen, ob das meine Zukunft sein soll. Aber selbst renommierte Traditionsweingüter stehen schlecht da. Vor wenigen Wochen erst gab das VDP-Traditionsweingut Dr. Wagner in Saarburg (Saar) bekannt, seinen Betrieb nach fünf Generationen einzustellen. „Es war mir zu groß und zu viel“, sagte die 41-jährige Inhaberin Christine Wagner, die den Betrieb vor einigen Jahren von ihrem Vater Heinz übernommen hatte.
Verlassene Steillagen an der Mosel in der Nähe von Cochem.
Uwe KaussBesonders deutlich wird die Krise in den Steillagenregionen wie an der Mosel. Hier ist der Aufwand immens, die Arbeit muss mühsam von Hand erledigt werden. Das treibt die Kosten in die Höhe. Während Weine aus Steillagen qualitativ herausragend sein können, werden sie am Markt selten entsprechend entlohnt.
Immer mehr Winzer geben diese Flächen deshalb auf – mit Folgen nicht nur für ihre Existenz, sondern auch für Kulturlandschaften von internationalem Rang. „Derzeit sind die Preise für Weinberge – besonders Steillagen – sehr günstig, weil viele ältere Winzer aufhören“, sagt Erhard Heitlinger. Ein Blick an die Mosel reicht, um trübsinnig zu werden. Verwilderte Weinberge, komplette Hänge, die sich selbst überlassen wurden. Wer will da schon investieren? „Ich kenne viele junge Quereinsteiger mit oder ohne Weinbauausbildung, die Interesse haben, ein Weingut zu kaufen. Aber ihnen werden bei der Finanzierung viele Steine in den Weg gelegt, weil es in der Landwirtschaft – im Vergleich zur übrigen Wirtschaft – an hilfreichen Förderprogrammen zur externen Betriebsübernahme mangelt und die Banken sehr vorsichtig geworden sind”, so Heitlinger weiter.
Laut dem deutschen Bundeslandwirtschaftsministerium bauten im Jahr 2023 noch 14.150 Betriebe in Deutschland Wein an, rund 25 Prozent weniger als noch vor zwölf Jahren. Vor allem kleine Höfe wurden aufgegeben. Während es 2010 noch rund 6.050 Betriebe mit weniger als einem Hektar Rebfläche gab, zählte die Agrarstrukturerhebung 2023 nur noch 3.160. Im Gegensatz dazu blieb die Anzahl größerer Betriebe stabil. Die Zahl sehr großer Betriebe nahm sogar zu. Dies zeigt, dass sich die Weinbaustruktur zu weniger Betrieben mit größeren Weinbergen hin entwickelt – ein europaweiter Trend.
Konzerne wie der elsässische Les Grands Chais de France (GCF) werden immer größer, übernehmen Kellereien – und schließen sie, falls es sich nicht rentiert, wie im Fall der Mosel-Kellerei Langguth und Erben. Sie sei nicht groß genug gewesen, um in den Preiskämpfen mit dem Einzelhandel zu bestehen – aber auch nicht klein genug, um den Markt mit lukrativen Nischenprodukten zu besetzen, so die Begründung des Unternehmens.
In Italien erweitert die Familie Veronesi (Oniverse-Gruppe), die unter anderem die Bekleidungsmarke Calzedonia und die Weinhandelskette Signorvino besitzt, jährlich ihr Portfolio. Ihnen gehören inzwischen La Giuva in Valpolicella, Podere Guardia Grande auf Sardinien, Tenimenti Leone im Latium und Villa Bucci in den Marken. Erst im Juli 2025 kaufte sie das Familienweingut Pico Maccario im Piemont. Wer Geld hat, geht gerade auf Einkaufstour. Doch oft stammt das Geld eben nicht aus dem Weinbusiness.
Experten prognostizieren, dass in den kommenden Jahren große Rebflächen verschwinden werden. Laut Deutschem Weinbauverband (DWV) stehen in Deutschland 30.000 Hektar „auf der Kippe“, fast ein Drittel der deutschen Weinberge. Ganze Regionen drohen landschaftlich zu verarmen, wertvolle Kulturlandschaften könnten großflächig brachfallen. Der Verlust träfe nicht nur den Weinbau, sondern auch den Tourismus, das Landschaftsbild und die kulturelle Identität vieler Regionen.
Entspannen wird sich die Situation wohl erst in einigen Jahren. „Die diesjährige Ernte ist klein, aber gut – doch der Handel spürt es nicht. Die Preise werden frühestens in vier bis fünf Jahren steigen, wenn die Rebfläche deutlich zurückgegangen ist. Wer jetzt nicht handelt, verliert Marktchancen dauerhaft“, warnt Alexander Rittlinger, Geschäftsführer von Reh Kendermann und Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Weinkellereien.
In Frankreich sieht die Situation ähnlich dramatisch aus. Immer mehr Weingutsbesitzer erreichen das Rentenalter – ohne Nachfolger: 56 Prozent der französischen Winzer sind bereits über 55 Jahre alt, nur zwölf Prozent dagegen unter 40. Die Zahl der Insolvenzen von Weingütern ist 2024 um 55 Prozent gestiegen, besonders im Südwesten des Landes. Branchenexperten schätzen, dass insgesamt noch rund 100.000 Hektar Weinberge ausgerissen werden müssten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Und das, obwohl die französische Weinbergsfläche seit den 1960er-Jahren schon um rund die Hälfte gesunken ist.
Italien als größter Weinproduzent der Welt wehrt sich derzeit noch gegen großflächige Rodungen. Doch auch hier wird sich das Problem in vielen Regionen aus demographischen Gründen von allein lösen. Vor allem dort, wo Kellereigenossenschaften die Weinwirtschaft dominieren. Vittorio Festa ist Berater und Önologe in den Abruzzen: „Viele Weinberge werden aufgegeben, weil die jungen Leute einen Büro- oder Fabrikjob haben und sich nebenbei nicht auch noch um die Reben der Eltern kümmern wollen, die sowieso kaum was abwerfen. Die Traubenpreise decken ja oft nicht einmal mehr die Bewirtschaftung.“
Der europäische Weinbau steht an einem Wendepunkt: Seine Wettbewerbsfähigkeit hängt immer stärker davon ab, ob es gelingt, junge Menschen für den Wein zu gewinnen. Subventionen können dabei allenfalls eine Übergangshilfe sein – sie ersetzen kein tragfähiges Geschäftsmodell. Viele junge Winzerinnen und Winzer stehen vor der Wahl, ob sie in moderne Technik, neue Vertriebskanäle und klimafeste Bewirtschaftung investieren – oder das Weingut der Eltern aufgeben.