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Die Rebsorte hat nicht den besten Ruf, vor allem nicht in Kreisen von Weinliebhabern. Zu banal erscheint ihnen der aus dieser Rebsorte gekelterte Weißwein , zu wenig raffiniert, zu eintönig im Geschmack und zu bescheiden in den Aromen. Dieses Pauschalurteil, das sich in den Fünfzigerjahren durchgesetzt hat und dem Wein noch immer anhaftet, stammt hauptsächlich aus einer Zeit, als man im Weinbau die Masse pflegte. Nicht nur beim Müller-Thurgau, überall, wo Rebstöcke eine reiche Ernte versprechen konnten. Dieses Versprechen lieferte er damals, der Müller-Thurgau oder Riesling-Sylvaner, wie er auf Grund der Angaben des Züchters einst genannt wurde. Die Rebe ist unproblematisch im Anbau, gedeiht fast überall, ist früh reif und liefert hohe Erträge. Damit verbunden: ein anspruchsloser Charakter, „der auch ungeübten Weintrinkern erste harmlose Weinvergnügen beschert“. Grund genug, die bereits 1882 neu gezüchtete Rebsorte – vor allem in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg – weinweltweit anzubauen. Gerade recht, um die Weinversorgungslücke zu schließen.

 

Müller-Thurgau% die wichtigste Weißweinsorte in der Ostschweiz (Foto: P. Züllig)

Noch heute ist Müller-Thurgau die weltweit am häufigsten angebaute Neuzüchtung, 40.000 Hektar sollen es sein, und noch heute ist ihr schlechter Ruf weltweit so verbreitet, dass die Rebsorte in Weinzirkeln kaum Beachtung findet – oder dann etwa so: „Im Sommer ist ein sauberer Müller-Thurgau ein ausgezeichneter Schorle-Wein.“ Oder: „Man kann nur hoffen, dass Müller-Thurgau seine Bedeutung für den deutschen Weinbau verliert und durch höherwertigere und anspruchsvollere Rebsorten ersetzt wird. Dass es trotzdem hin und wieder richtig gute Müller-Thurgau-Weine gibt, liegt dabei weniger an der Rebsorte als an deren Winzern.“ Als vor bald zwei Jahren Nathalie auf www.cucina-casalinga.blogspot.ch eine Weinrallye zum Thema „Müller-Thurgau“ vorgeschlagen und organisiert hat, musste sie zugeben: „Ganz am Anfang muss ich gleich mal gestehen –  und als Kochbloggerin darf ich das hoffentlich – , dass ich gar nicht wusste, dass der Müller-Thurgau soooo einen schlechten Ruf hat. Was fielen da in den klassischen Weinblogs für skeptische Bemerkungen, als sie von meinem Thema hörten. Bei mir war dieses negative Image nicht angekommen. Ich trinke seit langer Zeit Müller-Thurgau. Meist von kleinen Weingütern aus Franken oder vom Bodensee, und natürlich aus Südtirol.“

 

Weinberg in der Schweiz: rote Rebsorten Pinot Noir% weiße Rebsorten Riesling-Sylvaner (Foto: P. Züllig)

 

Weingut Huber & Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft% “Liebesheirat” Müller-Thurgau 2012% Baden (Foto: Blog www.schnutentunker.de)

Das Thema – es mag noch so skeptisch beäugt werden – interessiert, denn es nahmen an dieser Weinrallye mehr als zwanzig Blogs teil und präsentierten Beispiele vom guten Basiswein bis zum hochwertigen Edeltropfen, von der Spezialität bis zum beliebten Alltagswein. Ich selber machte mich unter dem Motto „Das ungeliebte Kind“ auf die Suche nach Weinkindern, die „Müller-Thurgau“ heißen und die man liebt. Als dann sogar der von mir sehr geschätzte Carsten Henn im Vinum-Blog ein öffentliches Geständnis ablegte: „...dann gab es einen Wein für den Abend, mit dem ich mich beschäftigen, den ich mit mehr als einem Schluck genießen will. Diesmal war es der beste Müller-Thurgau Deutschlands, und ich bin mal so dreist zu sagen: der beste trockene Müller-Thurgau, den es in Deutschland je gegeben hat...“ – da war auch für mich der Bann gebrochen. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen, den besten Müller-Thurgau, der auch noch den romantischen Namen „Liebesheirat“ trägt. Ich habe ihn nicht kennengelernt, weder den Wein, noch seinen Schöpfer, den Spitzenwinzer Bernhard Huber aus dem badischen Breisgau. Er ist vor wenigen Monaten im Alter von 55 Jahren gestorben. In einer Würdigung lese ich: „...er war einer der wenigen, der sogar dem Müller-Thurgau neue Facetten entlockte und deutlich machte, dass sich aus dieser im Rückgang befindlichen Rebe Weine mit viel Tiefgang gewinnen lassen.“

 

Preisträger 2014% Kategorie Müller-Thurgau (Foto: Vinum)

Weine mit Tiefgang aus der Rebsorte Müller-Thurgau, das wünsche ich mir, nicht zuletzt, weil sie in der deutschsprachigen Schweiz die am häufigsten angepflanzte weiße Sorte ist. Sie wurde von einem Schweizer (von Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau) gezüchtet, zwar nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland, an der „Königlichen Lehranstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Geisenheim“, und sie trägt auch seinen Namen, nur nicht in der Schweiz. Hier wird die Rebsorte – typischer schweizerischer Eigensinn – noch immer als „Riesling-Sylvaner“ bezeichnet, zumindest mit einem falschen Elternteil, denn inzwischen ist erwiesen, dass der Vater nicht Sylvaner, sondern Madeleine Royale war. Mein Wunsch geht immer häufiger in Erfüllung, es gibt ihn durchaus, den „Riesling-Madeleine Royale“ mit Tiefgang, zum Beispiel bei Thomas Marugg in Fläsch. Ich habe ihn nicht einfach so gefunden, aber auch nicht in der Bündner Herrschaft gesucht, wo eigentlich die besten Pinot Noirs der Schweiz zu Hause sind. Der „Grand Prix du Vin Suisse“, der große Preis des Schweizer Weins, hat mir dabei geholfen und den Riesling-Sylvaner 2012 von Thomas Marugg zum Siegeswein in der Kategorie „Müller-Thurgau“ erkoren.

Da brauchte ich nur noch nachzuverkosten, zuzustimmen oder Widerspruch zu erheben. Ich habe zugestimmt, ob es allerdings wirklich der beste ist, kann ich nicht sagen. Inzwischen bin ich noch manchem guten bis ausgezeichneten Riesling-Sylvaner – pardon, Müller-Thurgau – begegnet, nicht nur in der Schweiz, zum Beispiel auch bei Horst Sauer im Maindreieck oder Werner Anselmann in der Pfalz. Doch da haben die Weine – im erlauchten Kreis der Großen – kaum eine Chance. Ich behaupte nun einmal – meine Freunde in Deutschland mögen mich schlagen –, ein Müller-Thurgau auch von einem renommierten Weingut wie Horst Saurer hat keine Chance. Mindestens zwei Wertungspunkte weniger, nur weil es ein Müller-Thurgau und kein Riesling ist, noch bevor überhaupt verkostet wird. Ich frage mich, ob ein junger Wein – das heißt, ein Wein, der jung getrunken sein will – per se der schlechtere Wein ist. Ich frage mich, ob die Geschmacksnorm, die sich bei vielen – fast allen – Rebsorten durchgesetzt hat, wirklich der wichtigste Maßstab zur Ermittlung der Qualität ist? Es scheint fast so, denn diese Beobachtung mache ich auch bei den berühmtesten Rotweinen, beim Bordeaux zum Beispiel. Zugegeben, als Rotweintrinker verstehe ich vom Bordeaux weit mehr als vom Riesling und vom Müller-Thurgau. Der Bordeaux ist auch viel stärker vom internationalen Renommee abhängig: ein paar wohlwollende Parker-Worte mehr, und der Trend ist gemacht.

 

Bündner Herrschaft% ein Rotweingebiet% doch auch hier gibt es ausgezeichnete Weißweine (Foto: P. Züllig)

Anders beim Müller-Thurgau, beim Stiefkind (im wahrsten Sinn des Wortes) der Weißweine in Deutschland, aber auch bei uns in der Schweiz. Von ihnen spricht kaum jemand, sie gelten – bestenfalls als Basis- oder Alltagsweine – als „unkompliziert, geschmacklich leicht zugänglich und aufgrund ihrer harmonischen Charaktereigenschaften gerne getrunken“. Ist das wirklich die Norm, oder gibt es da nicht Ausnahmen, viel mehr Ausnahmen, als die Weinkritik registrieren mag? Auf meinem kleinen Feldzug durch Schweizer Riesling-Sylvaner habe ich paar Weine getroffen, von denen man Ähnliches sagen könnte wie der Weinjournalist (und Schriftsteller) Carsten Henn von der badischen „Liebesheirat“: „Ein Wein, der die Leichtigkeit und Würze eines klassischen Müller-Thurgaus mit langem Nachhall und Komplexität vereint. Er hat einen unheimlichen Trinkfluss und sogar mineralische Tiefe. Dies ist ein Müller-Thurgau einer neuen Generation – und hoffentlich der Beginn einer Renaissance für diese unterschätzte Rebe, die aus einer Liebesheirat entstanden ist. Man darf ihn trotzdem an allen Tagen genießen – und nicht nur am Valentinstag.“

Herzlich
Ihr/Euer

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