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Roboter und Drohnen im Weinberg, Sensoren im Gärtank, der QR-Code auf dem e-Etikett: Die Digitalisierung beginnt, den Weinbau mit Riesenschritten zu verändern. Dabei wird Künstliche Intelligenz (KI) die entscheidende Rolle spielen. Kommt nach dem selbstfahrenden Auto das selbstkelternde Weinfass? Markus Blaser und Uwe Kauss haben recherchiert, welche Trends die Zukunft des Weins bestimmen werden.

Im Januar und Februar ist die Zeit des Rebschnitts. Das ist keine einfache Aufgabe, sondern erfordert Geschwindigkeit, Präzision und Erfahrung. Weil gut ausgebildete Fachkräfte jedoch immer mehr fehlen, wird man künftig öfter futuristisch anmutende Gestalten in den Weinbergen antreffen: angelernte Arbeiter und Arbeiterinnen mit Headsets, deren „erweiterte Realität“ ihnen bei jedem Rebstock anzeigt, wo welche Schnitte wie ausgeführt werden sollen.

Virtuelles Rebschnitt-Training

Die Geräte sollen bereits in etwa fünf Jahren marktreif sein, lautet die Prognose der Forscher des MaaraTech-Projekts der Universitäten Auckland und Ontago in Neuseeland. Sogar noch schneller könnte es bei Headsets mit „virtueller Realität“ gehen, mit denen das Schneiden trainiert wird, damit echte Rebstöcke nicht durch Fehlschnitte verletzt werden. Wie das funktioniert, demonstriert Mitchell Faulconbridge von MaaraTech in einem Video. Dazu müssen die Programmierer ihrer Software, die den Headsets die Bilder übermittelt, zunächst den richtigen Rebschnitt beibringen. An dieser Stelle kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel.

„Heute verfügen wir über die Werkzeuge, um einzigartig menschliches Wissen und Intelligenz in Software für nicht-lebendige Geräte zu übertragen – darum geht es bei KI“, sagt der Technologie-Experte Ganesh Padmanabhan. Sein Anspruch ist, schlaue Maschinen zu bauen, die Arbeiten ausführen, die bislang nie ohne persönliche Erfahrung und menschliches Gefühl funktioniert haben. Voraussetzung dafür sind von Sensoren gesammelte Daten, die durch programmierte Algorithmen so miteinander verknüpft werden, dass die Maschine durch Erfahrung lernt – und im nächsten Schritt das Gelernte selbständig in Aktionen umsetzt.

Die Rebschnitt-Headsets benötigen zwar noch längst keine autonom funktionierende, ausgereifte KI - aber auf jeden Fall sind sie eine Vorstufe dazu. Denn die Technologie kann nicht nur Menschen, sondern auch Roboter trainieren. „Die Entwicklung des vollautomatischen Rebschnitt-Roboters wird allerdings noch länger dauern“, erklärt Karly Burch von MaaraTech. Die Soziologin befasst sich mit den Auswirkungen von KI auf die Menschen, die sie nutzen sollen. Beispielsweise werden Headsets nur für Männerköpfe konstruiert, doch in den Weinbergen arbeiten immer mehr Frauen. Das stundenlange Tragen solcher Geräte kann zudem durch die “VR-Krankheit” bei den Arbeiterinnen und Arbeitern zu Übelkeit und Gleichgewichtsproblemen führen. Auch deshalb sollen diese Arbeitsschritte künftig komplett von Robotern ausgeführt werden.

Smartphone steuert 512 PS-Traktor

Dazu werden in einigen Jahren autonom fahrende Traktoren durch die Rebzeilen rollen. Der US-Landmaschinenhersteller John Deere hat zur Technologiemesse CES in Las Vegas vor kurzem einen autonomen Traktor vorgestellt. Er leistet maximal 377 kW(512 PS) und verfügt über sechs Stereokameras, die rundum Hindernisse erkennen und Abstände berechnen. Dazu werden die Live-Bilder in ein KI-Netzwerk gespeist. Es entscheidet in nur 100 Millisekunden, ob der mindestens 320.000 Dollar teure Traktor weiterfährt oder stoppen soll, teilte John Deere in einer Pressemitteilung mit. Dazu muss sein Lenksystem “AutoTrac”zunächst die Grenzen und Lenk-Linien von Feld oder Weinberg auf einer Erkundungsfahrt ermitteln. Die Daten werden in die "Operations Center”-App zur Fernüberwachung hochgeladen.

Der Landwirt - und künftig der Winzer - muss die Zugmaschine danach nur zum Feld oder die Rebfläche fahren. Dort startet er den autonomen Betrieb per Android- oder iOS-App. Der Traktor überprüft während der Fahrt seine Position per GPS kontinuierlich mit einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern. Der Eigner kann sich nun anderen Arbeiten widmen, denn die Maschine überwacht er komplett via Smartphone. Die Steuerungs-App bietet vollen Zugriff auf Live-Videos, Bilder, Daten und Messwerte.

Derzeit werden die Reb-Roboter vor allem zur Datensammlung genutzt. So ermittelt der vom Polytechnikum Valencia entwickelte „VineScout“ in nur einer Stunde 30 verschiedene Daten für jeden der 12 000 erfassten Messpunkte – vom Wasser- und Düngerbedarf über Risiken für beginnende Rebkrankheiten bis zum Reifegrad der Trauben. Bislang stellt er diese Daten dem Winzer bloß zur Verfügung, damit dieser die nötigen Arbeitsschritte organisieren kann. Doch künftig soll die KI autonom entscheiden, ob die Bewässerungsanlage eingeschaltet oder gleich etwas Bordeaux-Brühe auf die ersten Mehltau-Sporen gesprüht wird.

Von messenden zu sinnlichen Sensoren

Dadurch ließen sich umweltbelastende Pflanzenschutzmittel reduzieren und die Nutzung begrenzter Ressourcen optimieren – so die Hoffnung - oder besser, das Versprechen - der neuen KI-Systeme. Damit sie als Schaltzentrale, ja als Gehirn der smarten Weinerzeugung über das Internet der Dinge etwa Roboter, Drohnen, Anlagen und Apps steuern kann, verarbeitet sie mit Hilfe von Algorithmen gewaltige Informationsmengen (Big Data) von Sensoren. Auf sie  sind die Systeme somit essentiell angewiesen.

So einen Praxisversuch unternimmt derzeit das vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) mit 2,9 Millionen Euro geförderte Projekt Pinot (Projekt zur Entwicklung künstlicher Intelligenz für die Oenologie und Technologie im Weinbau). Hier entwickeln der Weincampus Neustadt, der Umwelt-Campus der Hochschule Trier, das Fraunhofer-Institut für integrierte Schaltungen, die Unternehmen Genie Enterprise und Vineyard Cloud, das Ingenieurbüro Wille Engineering sowie das Weingut Lergenmüller aus Hainfeld (Pfalz) unter anderem ein KI-basiertes Sensorsystem, das den Gärvorgang steuert. Im Weingut Lergenmüller überwachen Geruchs-, Geschmacks- und Texturfühler die Gärung. Ziel sei es, so Diplom-Ingenieur Sebastian Wille aus Hofheim bei Frankfurt, „die für die Weinqualität verantwortlichen Aromen im laufenden Betrieb zu messen, noch bevor es die eigene Nase erfassen kann“. Das soll etwa helfen, Fehlgärungen wie die berüchtigten Schwefelwasserstoff-Böckser zu vermeiden - aber auch die Qualität und Authentizität der Weine zu sichern. “Aus den gesammelten Daten lernt das System, die vielen Nuancen zu berücksichtigen, die Weine nun mal ausmachen. Ungereimtheiten können damit frühzeitig erkannt und Fehlgärungen verlässlich prognostiziert werden, noch bevor es zu spät ist”, erläutert er das Konzept, “Kellermeister reagieren darauf mit önologischen Eingriffen und sichern so die Qualität ihrer Weine.“

KI statt Degustation

Vom Einsatz künstlicher Nasen, Gaumen und Augen bei der Weinerzeugung ist es zu deren Verwendung für die Weinverkostung nicht weit. Derzeit arbeitet Bernard Chen von der Universität Central Arkansas in den USA an der Entwicklung eines virtuellen Sommeliers: Mit Hilfe eines computergestützten Wein-Aromarades übersetzt er professionelle Verkostungsnotizen in ein maschinenlesbares Format und verknüpft die Beschreibungen mit den chemischen Analysedaten der betreffenden Weine. Auf diese Weise soll die KI erstmals Verbindungen zwischen Labor- und Verkosterlogik erkennen, die wie ein Profil für jeden Wein zusammengefasst werden. Damit lasse sich Weinbewertung durch die Erfassung der Analysedaten automatisieren, sagt Chen. So könne das System jede subjektive Wahrnehmung ausschließen: „Dank KI werden wir in Zukunft über objektive Weinbewertungen verfügen.“

Diese Beispiele zeigen, dass die Weinwirtschaft am Beginn einer echten technologischen Revolution steht. Zugleich birgt diese Entwicklung schwer einschätzbare Risiken. Das hat auch die Internationale Organisation für Rebe und Wein (OIV) erkannt, die im November 2021 einen über 80 Seiten starken Bericht zu digitalen Trends im Weinsektor vorgestellt hat. Mit ihm will sie ihren globalen Führungsanspruch beim Thema herausstellen: Anders als bei der Industrialisierung vor 200 Jahren wollen die Verantwortlichen den radikalen Wandel nicht nur passiv erdulden, sondern aktiv gestalten.

Fehlende Datensouveränität weckt Skepsis

Sehr oft stehen, wie in so manchen KI-Projektbeschreibungen zu lesen ist, vor allem Produktivitäts- und Profitsteigerungen im Vordergrund. Hier ist Skepsis angebracht: Nicht umsonst bezeichnet die OIV die hohen Einführungskosten solcher Systeme als eine der zentralen Herausforderungen der Digitalisierung. Große Kellereien und Online-Händler können ihre Abläufe mit KI-Netzwerken massiv rationalisieren, doch für kleine und mittlere Weinbau- und Handelsbetriebe ist das schlicht nicht finanzierbar. Sie drohen – wieder einmal – dabei auf der Strecke zu bleiben.

Es sei denn, der Winzer oder Händler zahlt mit seinen Daten. Die Anbieter lernender Maschinen und Software stellen ihre Tools oft kostengünstig, für Forschungsprojekte sogar kostenfrei zur Verfügung. Doch im Gegenzug müssen die Nutzer eine Vereinbarung unterzeichnen, die meist keiner so genau liest. Im besten Fall tritt der Eigentümer das Nutzungsrecht an den erhobenen Daten für den Projektzweck ab – im schlechtesten geht das Eigentum daran komplett an ein die Entwickler. Damit bauen sie proprietäre Agrar-Datenbanken auf, um sie künftig zu hohen Lizenzkosten anzubieten.

Die Datensouveränität erscheint deshalb aktuell als das Kernproblem der Künstlichen Intelligenz im Weinbau. Wem gehören die mit, durch oder für KI erhobenen Myriaden an Daten? Dem Winzer, der Forschung oder „Big Data“? Wer darf sie für welche Zwecke und für welche Beträge nutzen? Diese Fragen sind offen. Doch die Antworten werden Richtung und Intensität bestimmen, mit denen KI, Roboter, Drohnen und Sensoren die Weinwirtschaft verändern.

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