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Prof. Ulrich Fischer „Mineralität existiert nicht nur in den Köpfen der Weinjournalisten“ sagt Ulrich Fischer, Professor für Önologie und Sensorik am Weincampus Neustadt und einer der führenden Sensorik-Forscher im deutschen Sprachraum. Im Interview mit Uwe Kauss und Alexander Lupersböck erzählt er über den Stand der Forschung - und erklärt, warum Weine aus Böden mit wenig Mineralien besonders mineralisch schmecken. 

Uns Weinjournalisten wird oft vorgeworfen, den Begriff Mineralität ahnungslos und ungerechtfertigt zu verwenden. Sind wir schuldig im Sinne der Anklage? 

Fischer: Wir haben in einer Terroirstudie von 2004 bis 2008 physikalische Standards für Mineralität definiert, die wir in der Analyse nutzen. Damit können wir Mineralität im Wein wissenschaftlich belegen, sensorisch reproduzierbar machen und somit beweisen. Es ist kein Hirngespinst von Weinjournalisten.

Aber man weiß, dass Mineralstoffe nicht schmeckbar sind. Wie stellt man sie fest?

Fischer: Es ist ein Missverständnis anzunehmen, dass Mineralität aus gelösten Mineralstoffen in den Wein kommt. Die können sich nicht verflüchtigen, sie lassen sich nicht riechen und schmecken. Es gibt aber andere Attribute, mit denen Mineralität korreliert: Säure, Zitrusaromen, schwefelhaltige Stoffe. Letztere beschreibt man oft mit dem Begriff Feuerstein. Die Korrelation von Aromastoffen und Mineralität ist aber noch nicht gefunden. Da spielen mehr Faktoren zusammen.

 

Die Korrelation von Aromastoffen und Mineralität ist noch nicht gefunden

Welche Faktoren des Terroirs lassen sich denn riechen oder schmecken?

Fischer: Mineralisch schmeckende Weine enthalten wenig Mineralien. Weine mit vielen Mineralien puffern dagegen die Säure besser ab und wirken am Gaumen weicher. Wenn ich Weinsäure dem Most zusetze, fällt das Kalium im Most als Weinstein aus. Damit reduziere ich seinen Mineralgehalt. Ich erhalte damit also einen mineralarmen Wein, der aber in der Säure präsenter ist. Kurzum: Ich kann Mineralität im Geschmack herbeiführen, indem ich den Wein säuere. Das führt zu einer gewissen Adstringenz. Sie entsteht aber nicht durch Phenole - sondern nur durch höhere Weinsäurewerte.  

Weshalb werden manche Weine mineralischer beschrieben als andere?

Fischer: Wenn im Wein die üblichen Aromastoffe eher dezent ausgeprägt sind, tritt die Mineralität besser hervor. Sie entsteht also durch die Abwesenheit von anderen Aromastoffen. Ich persönlich finde Mineralität eher in armen Böden wie Buntsandstein, Granit und Porphyr. Das sind Böden, die alt und ausgewaschen sind, im Gegensatz zu Kalkstein oder Schiefer, die leichter verwittern. Aber die Ausprägung von Mineralität hat nicht zwingend mit dem Anteil an Bestandteilen wie Calcium, Magnesium und Kalium zu tun.

Könnte demnach ein Winzer in Rheinhessen einen nach Schiefer duftenden Riesling wie von der Mosel produzieren?

Fischer: Wenn ich in Rheinhessen einen nach Schiefer duftenden Wein herstellen wollte, würde ich mit mehr Trub arbeiten und wärmer vergären, damit die Aromastoffe mehr rausgehen, eventuell in gebrauchten Barriques. Ich würde eher reduktiv arbeiten. Wenn ich dem Wein Schwefeldioxid zusetze, wird es von der Hefe aufgenommen und als Schwefelwasserstoff wieder abgegeben. Damit entstehen Thiole und Benzole, die am Gaumen Mineralität signalisieren. Die strahlende Säure der Mosel und den Schiefer bekomme ich so trotzdem nicht hin. Ausgeprägte Mineralität können gute Önologen allerdings in Weinen auch von fetten Böden hervorbringen.

In einer Ihrer Publikationen ist zu lesen, dass Weine von Schiefer und Basalt weniger mineralisch sind als von sandigen und „weicheren“ Böden. Man würde das Gegenteil erwarten...

Fischer: Das kann man nicht generalisieren. Da spielt der Weinhersteller eine Rolle, denn der größte Einflussfaktor ist der Mensch. Als Winzer ist man im Maische- und Moststadium aktiv. Während der Vergärung muss ich mich zurücknehmen. Ich würde heute sogar neutrale Reinzuchthefen wie Sekt-Grundhefen empfehlen und Ausbau im Edelstahl möglichst wenig Akzente setzen, damit das subtile Element des Terroirs rüberkommen kann.

 

Ich kann Mineralität im Geschmack herbeiführen, indem ich den Wein aufsäuere

Wie ist das Verhältnis von Spontangärung zu Terroir-Prägung?

Fischer: Spontangärungen können je nach Ernährungsstatus des Mostes und anderen Faktoren zur Böckserbildung beitragen, was das Weinaroma überlagert. Es gibt Jahrgänge, die transparenter sind, so dass ich im übertragenen Sinn bis auf den Boden durchschauen kann. Ich würde die kühleren Jahrgänge mit einer längeren Vegetationsperiode präferieren, so wie 2021 sein dürfte. Warme Jahrgänge wie 2005 und 2007 sind da schwieriger. Mir gefällt, dass Ortsweine das Terroir oft sogar besser ausdrücken, weil sie weniger Druck bringen müssen.

Widerspricht das nicht den Erwartungen und Wünschen vieler Winzer und Kunden?

Fischer: Bei höherwertigen Weinen wie Ersten Lagen und Großen Gewächsen will man ja möglichst viel Komplexität reinbekommen. Dazu muss man aber andere Akzente setzen. Jedenfalls ist der Winzer der größte Faktor, wenn er sich nicht zurücknimmt. Wir haben in einem Versuch die Trauben von sechs Weingütern selbst geerntet und mikrovinifiziert. Dabei haben wir uns bemüht, keinerlei Mikroorganismen auf die Trauben zu bringen und nur mit weinbergseigenen Hefen zu arbeiten. Dazu haben wir mit Hygiene-Handschuhen gearbeitet, unsere eigene Presse mitgebracht und in eigenen Kühlcontainern vergoren. Alles wurde zuvor mit 70-prozentigem Alkohol desinfiziert. Wir haben alle Moste durchgegoren und mit den in den Weingutskellern vergorenen Weinen verglichen. Es war dasselbe Lesegut, derselbe Lesezeitpunkt. Die Weine mit dem eigenen Mikrobesatz schmeckten deutlich schlanker und mineralischer, das Terroir war stärker ausgeprägt. Sie haben im Gegensatz zu den Weingutsweinen keinen Säureabbau gemacht. Wir wissen, dass ein Teil der Weingutsstilistik aus dem Keller kommt, weil es dort immer eine eigene Kellerflora gibt.

Kann man daraus folgern, dass die Kellerflora den mineralischen Eindruck reduziert?

Fischer: Wenn der Winzer sich nicht zurücknimmt, überlagert er mit der Kellerwirtschaft das Terroir und die Mineralität.

 

Der größte Einflussfaktor ist der Mensch

Könnten Sie Weintrauben sensorisch nach ihrer Herkunft unterscheiden?

Fischer: Nein. Ich könnte höchstens die Säure unterscheiden, die Aromastoffe sind gebunden. Dadurch lassen sie sich nicht retronasal wahrnehmen. Terroir-Trauben zu unterscheiden halte ich nicht für möglich. Wir haben mit Trauben schon sensorische Versuche gemacht, mit einem Sauvignon Blanc, einem Riesling und einem Spätburgunder von je drei Leseterminen, und sie mit den daraus produzierten Weinen verglichen. Es war etwas enttäuschend, wie klein die Unterschiede und schlecht die Korrelationen waren, obwohl unsere Ergebnisse reproduzierbar waren. Die Reife und der Zuckergehalt waren unterscheidbar, aber nicht die Aromen des Weines. Viele Winzer stellen das anders dar. Ich kann es nicht bestätigen.

Trotzdem sind viele Weinfreunde fasziniert, wie Standortfaktoren den Wein prägen.

Fischer: Mit unserer Terroir-Studie wollen wir den Winzern ein Gefühl und eine Begründung geben, warum sie diesen Weg weitergehen sollten. Eine Rebsorte, eine Hefe und eine Weinstilistik sind austauschbar. Ich kann erschreckend gute Weine rund um die Welt machen, die durchaus ähnlich sind. Aber das Terroir – Grundgestein, Boden, Hangneigung, Ausrichtung, Rebsorte – ist nicht kopierbar. Doch austauschbare Weine erzielen keine höhere Wertschöpfung. Die Nagelprobe ist der Wein im Glas. Ich empfehle den Regionen und der Weinwirtschaft insgesamt, die Kellerwirtschaft individuell anzupassen, damit sie gut unterscheidbare Regionenweine produzieren.

Mineralität muss also vom Boden gelöst werden?

Fischer: Die Wahrnehmung von Mineralität wird nicht durch die Präsenz bestimmter flüchtiger oder nicht flüchtiger Bestandteile im Wein ausgelöst. Gefördert wird sie durch den Mangel an deutlichen Rebsortenaromen, an Holz oder Fehlaromen. Frische, zitronige und grüne Aromen und eine ausgeprägte Säure mit ihrer leicht adstringenten Wahrnehmung auf der Zunge unterstützen den Eindruck von Mineralität. Obwohl ihre Beschreibung variiert, erkennen viele Verbraucher Mineralität und schätzen ihre Ausprägung.

Foto: © Weincampus-Neustadt

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