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Das Böse, argwöhnen Fromme seit jeher, ist eine süße Frucht, schmeichelnd und verführerisch. Es lockt mit üppigem Duft, ist weich und anschmiegsam, betört, indem es dem Arglosen ganz langsam die Sinne vernebelt - und ähnelt somit ganz und gar den plüschigen Weinen der Neuen Welt. Manchem gilt diese deshalb als Reich des dionysischen Gottseibeiuns: Mit ihren rebellischen Aufwallungen gegen die göttliche Ordnung des katastertreuen Weinbergs, mit ihrem mangelnden Respekt gegenüber den Grenzen allumfassender Großlagen, mit ihrer Missachtung der zehn Gebote - von gottesfürchtiger Mostanreicherung durch heiligen Rübenzucker bis zu demütiger Schönung des Weins mit Hilfe probater Himmelsgaben wie Gelatine und Hühnereiweiß - mit all ihren unorthodoxen Methoden und laxen Gesetzen begeben sich in den Augen europäischer Weinpharisäer die Weinproduzenten der Neuen Welt außerhalb der Gemeinschaft der Guten und Rechtschaffenen, die da glauben, dass sie allein auf gottgefällige Weise Wein erzeugen. Ach, wie tapfer widerstehen die Frommen doch den Lockungen der Schlange, die da heißen: Eichenchips und Fraktionierungszentrifuge.

Die Reblaus - Schädling mit Migrationshintergrund

Nun gut: Es ist schon wahr, dass aus den Weingebieten der Vereinigten Staaten das entsetzlichste Unheil über Europas Weinberge hereingebrochen ist. Aber das ist bald hundertfünfzig Jahre her. Es war die Reblaus, die Mitte des 19. Jahrhunderts als blinder Passagier von Nordamerika nach Frankreich gereist war, mit ihrem gefräßigen Rüssel über die Rebwurzeln herfiel und in den folgenden Jahrzehnten fast sämtliche Weinberge Europas vernichtete. Immerhin stellte Amerika aber anschließend auch das Heilmittel zur Verfügung: Da die Reblaus den in Amerika heimischen Rebsorten nichts anhaben kann, werden heute Reben grundsätzlich als Doppeldecker gepflanzt: Auf eine amerikanische Wurzel (»Unterlage«) wird eine europäische Edelrebe gepfropft. Denn die Reblausresistenz ist auch schon der einzige Vorteil der Amerikanerreben: Wohlschmeckend ist der daraus gewonnene Wein nicht.

Nicht alle Insekten sind so gefährlich wie die Reblaus. Heute werden gezielt Nützlinge ausgebracht% um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren


Hippies sind die ersten Ökos in Kalifornien

Äßen die braven Verteidiger europäischer Werte vom Baum der Erkenntnis, täten sich ihnen womöglich überraschende Einsichten auf. Vielleicht fiele ihnen ein, dass in den frühen Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts die Hippies in den USA, vorzugsweise in Kalifornien, die naturnahe Landwirtschaft wiederentdeckten. Unter Umständen stellten sie fest, dass das, was mit chemiefreien Möhrchen begann, die von langhaarigen Zauseln gehätschelt wurden, seine nahtlose Fortsetzung im Weinbau fand und in eine überraschend große Bewegung mündete. Einer dieser Hippies nämlich war Barney Fetzer, der die Schöpfung auf seine Weise respektierte: Er setzte nicht nur elf Kinder in die Welt, sondern legte auch den Grundstein für das größte Öko-Weingut der Erde. Der erste Fetzer-Wein kam 1968 auf den Markt. Der erste Bio-Winzer war Fetzer gleichwohl nicht: Zu dem Zeitpunkt betrieb in Deutschland, genauer: Rheinhessen, bereits das Weingut Sander organic winegrowing.



Hanf-Etiketten und Tinte aus Soja

Inzwischen hat die Großfamilie den Besitz zwar veräußert, aber das siebenhundertdreißig Hektar große Weingut ist zu hundert Prozent ökologisch bewirtschaftet. Ein Teil davon ist sogar nach den überaus strengen Richtlinien des Demeter-Verbandes als »biodynamisch« zertifiziert. Und das Engagement beschränkt sich nicht nur auf die Trauben: Etiketten aus Hanffaser, Tinte aus Soja, Passiv-Energie-Gebäude, Naturgärten - obwohl das Fetzer-Imperium mit Marken wie »Bonterra« mittlerweile zu hundert Prozent dem Getränkemulti Forman-Brown Corporation angehört, geht das Engagement in Sachen Bio munter weiter. Da wird begrünt und renaturiert, was das Zeug hält. Solaranlagen und Nistkästen, Müllvermeidung und Energiesparlampen, das ganze große Einmaleins des Umweltschutzes wird hier durchexerziert. Im Betrieb gibt es eigens eine »Managerin für ökologische Entwicklung«, die zugleich Geschäftsführerin der »California Sustainable Winegrowing Alliance« ist.

Integriert und sustainable

»Nachhaltiger Weinbau« ist das neue Zauberwort, von Staats wegen wird diese umweltschonende Wirtschaftsweise in Kalifornien kräftig gefördert. In etwa entspricht sustainable winegrowing unserem »integrierten Anbau«, eine Art »bio light«. Es bedeutet im Kern, dass der Landwirt oder Weinbauer auf biologischen Pflanzenschutz zurückgreift und beispielsweise Schädlinge lieber mit Pheromonen verprellt als mit Gift vernichtet. Es heißt, dass er sich dreimal überlegt, ob er wirklich mit der Chemiespritze ins Feld zieht. Dass er sich aber auch die Möglichkeit offenhält, mit der chemischen Keule gegen die durch Feuchtigkeit begünstigten Pilzerkrankungen Echter und Falscher Mehltau vorzugehen, wenn es ihm nötig erscheint. Denn wenn das Wetter einmal so fies ist, dass Mehltau droht, muss der Biodynamiker sich schon gewaltig anstrengen, um die feuchten Trauben im Weinberg trockenzupusten, damit sie nicht faulen. Da ist die Verlockung, zur Spritze zu greifen, groß.

Ein bisschen Bio?

Überzeugte Biowinzer sehen im Spritzen nach Bedarf allerdings einen windelweichen Kompromiss. Denn: Auch durch seltene Spritzungen kann ein sorgfältig austariertes Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten. »Ein bisschen bio« gäbe es demnach nicht. Andererseits: Geringer und überlegter Chemie-Einsatz ist allemal besser als bedenkenloses, verschwenderisches Vorgehen nach der Methode »viel hilft viel«.

Achtzig Prozent der Weingüter, so sagt man uns, hätten bereits Fortbildungsmaßnahmen in Sachen Nachhaltigkeit in Anspruch genommen. Ein Viertel der Winzer richtet sich bereits konsequent danach, Tendenz stetig steigend. Vor allem die anspruchsvolleren Weingüter beteiligen sich: Die fünfundzwanzig Prozent der mitwirkenden Betriebe repräsentieren vierzig Prozent des Werts des kalifornischen Weins. Selbst der Betrieb, der für europäische Traditionalisten der Inbegriff der Schrecklichen Neuen Welt ist, hat sich den Prinzipien der Nachhaltigkeit verschrieben: Gallo, größter Weinerzeuger der Welt, will kein Umweltferkel sein und ist sehr aktiv in Sachen Nachhaltigkeit. In der firmeneigenen Glasfabrik wurde sogar ein spezielles Recycling-Verfahren für Weinflaschen entwickelt. Exakte Zahlen über den Gesamtweinausstoß erfährt man hier nicht.


Zentrifuge gegen Alkohol

 

 

Gallo-Oenologe Ralf Holdenried

Als reiner Familienbetrieb ist Gallo freilich nicht zu umfassender Information verpflichtet. Geschätzte 600 Millionen Flaschen sind es wohl, dazu nochmal die gleiche Menge in größeren Gebinden. Die Trauben stammen von den zweitausend Hektar selbst bewirtschafteter Rebfläche und von zugekauften Trauben aus der zehnfachen Fläche. Von riesigen Weinplantagen im anspruchslosen Central Valley bis hin zu kleinen feinen Lagen im Russian River und im Alexander Valley in Sonoma County kann Gallo das ganze Spektrum vom schlichten Basiswein bis zum Luxus-Cabernet abdecken. Die Frage nach der berüchtigten Zentrifuge (spinning cone column), die Wein in seine Bestandteile zerlegt und, so die Befürchtung, Wein-Design nach Frankenstein-Manier ermöglich, beantwortete der aus Rheinhessen stammende Önologe der Gallo Family Vineyards wie folgt: Nein, selbst habe man so ein Gerät nicht. Aber, ja doch, im Nachbarort stünde eins, das seine Dienste verschiedenen Weingütern zur Verfügung stellt. Ja, auch Gallo nehme diese Dienste in Anspruch, allerdings ausschließlich zum Zwecke der Alkoholreduktion, weil die Weine hier, klimabedingt, teilweise bis sechzehn Grad Alkohol erreichten. Und das wolle doch keiner trinken.

 

 

Zum zweiten Teil: "Biowein vom Mannequin"

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