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Reben schneiden ist die wichtigste Arbeit im Weinberg. Trotzdem wusste lange niemand so genau, worauf es ankommt. Die italienischen Agronomen Marco Simonit und Pierpaolo Sirch haben dazu ein bahnbrechendes Konzept entwickelt. Der “sanfte Rebschnitt” schützt Rebstöcke gegen Hitze und Holzkrankheiten, lässt sie länger leben und erbringt bessere Erträge. Der Arbeitsaufwand: Kaum höher als konventionell.

Den verschiedenen Bewirtschaftungsfaktoren, die die Weinqualität beeinflussen, ist in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit gewidmet worden: Bodenbearbeitung, Wasser- und Nährstoffversorgung der Rebe, Laubwand-Management, Ertragskontrolle. Der Frage, wie man Reben richtig schneidet, ist dagegen kaum nachgegangen worden. Dabei bestimmt der Rebschnitt nicht nur Menge und Qualität der Trauben. Er erleichtert auch alle Folgearbeiten im Weinberg. Mindestens genauso wichtig der fundamentale Einfluss des Schnitts auf die Gesundheit des Rebstocks, auf dessen Widerstandskraft und Lebensdauer: Schlechter Rebschnitt verkürzt das Alter der Weinstöcke, ein wohlüberlegter kann es verlängern.

Die Umtriebszeiten sind in modernen Weinbergen drastisch zurückgegangen und liegen heute bei 20 bis 30 Jahren. Die Erkenntnis, dass alte Reben besseren Wein ergeben, wird damit fast wertlos.

Marco Simonit und Pierpaolo Sirch (v.l.n.r.)

Simonit & Sirch

Falscher Schnitt = totes Holz

Der Italiener Marco Simonit hat sich diesem Thema mit Leidenschaft verschrieben. Er begann bereits vor rund 30 Jahren mit seinem Freund Pierpaolo Sirch im Friaul eine Methode zu entwickeln, auf die heute Winzer in aller Welt setzen: den sanften oder wundarmen Rebschnitt. Das Berater-Team der beiden betreut inzwischen neben Winzern aus ganz Italien vor allem berühmte Weingüter aus Bordeaux, Burgund und der Champagne. Dazu kommen Betriebe anderer europäischer Länder sowie aus Übersee. Auch in Österreich und Deutschland wächst das Interesse seit Jahren.

Die nach den beiden Agronomen benannte Technik fußt auf der Beobachtung, dass Schnitte ins mehrjährige Holz konusförmige Eintrocknungen im Pflanzengewebe verursachen und dort verlaufende Saftbahnen unterbrechen. Je größer die Schnittwunden, desto tiefer und folgenreicher sind diese Austrocknungskegel. Zwar zeigen die Reben äußerlich zunächst keine Auffälligkeiten, doch in ihrem Inneren entstehen großflächige Nekrosen. Sie sind der Grund, warum scheinbar gesunde Rebstöcke im Sommer plötzlich kollabieren. Ihr gestörtes Leitungssystem ist Hitze und Trockenstress nicht mehr gewachsen. Die Folge: Blätter und Trauben welken, sie sterben innerhalb weniger Tage ab.

Rebe mit kontrolliertem Holzzuwachs

Simonit & Sirch

Sanfter Rebschnitt als Antwort

Die Methode von Simonit & Sirch ist darauf ausgerichtet, ein effizientes, saftführendes Leitbahnsystem zu erhalten. Erreicht wird das durch möglichst kleine Schnittwunden mit Hilfe gezielter Schnitte in lediglich ein- bis zweijähriges Holz. Ein ausreichend belassener Überstand verhindert, dass die Eintrocknungen bis ins saftführende Gewebe dringen.

Neu angeschnittene Triebe befinden sich immer an der Basis des Vorjahreszapfens, und haben somit Anschluss an bereits entwickelte Saftbahnen. Durch stetigen, kontrollierten Holzzuwachs entsteht so über die Jahre eine astförmige Fortführung des Rebstamms.

„Mit unserer Methode erreichen die Reben ein höheres Alter, sie sind widerstandsfähiger gegenüber dem Jahreszeiten-Stress und der Klimaveränderung “, erklärt Marco Simonit und ergänzt, dass dafür nicht nur ein gut ausgeprägtes Wurzelsystem nötig sei, „sondern auch eine gut ausgebildete Holzstruktur, ein Stamm und eine Krone mit Ästen, ähnlich wie bei einem Baum." Durch diesen kontinuierlichen Zuwachs von Altholz werden die natürlichen Wachstumsbedürfnisse der Rebe respektiert. Im Falle der Guyot-Erziehung verläuft diese Astwerdung (Ramifikation) waagerecht. Ein Hochbauen des Stockes, wie beim herkömmlichen Rebschnitt, bleibt aus. Somit entfällt auch der periodisch wiederkehrende – und lebensverkürzende – Rückschnitt durch Köpfen der Rebe, sobald sie sich zu weit vom Biegedraht entfernt hat.

Im engen, von Drahtrahmen und hoher Pflanzdichte vorgegebenen Raster hat die Rebe nur sehr wenig Platz zur Verfügung. „Weltweit leidet der Weinbau unter diesem Dilemma. Aber die deutschen Winzer haben damit noch etwas mehr zu kämpfen", scherzt Marco Simonit. Deren Streben nach Exaktheit mache es ihnen nämlich besonders schwer, das starre, geometrische Konzept der Positionierung der Rebe im Spalier aufzugeben. Sie müsse aber den zur Verfügung stehenden Platz raumgreifend nutzen können. „Wir müssen dem Rebstock im Lauf der Entwicklung erlauben, seine Form zu ändern", erklärt Simonit. Das hört sich erstmal kompliziert und arbeitsaufwendig an. Mathias Scheidweiler vom Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau der Hochschule Geisenheim entkräftet aber die Befürchtung der Winzer, der Arbeitsaufwand sei beim sanften Rebschnitt viel größer: „In der Umstellungsphase ist die Schnittmethode arbeits- und zeitintensiver. Der Aufwand gleicht sich aber relativ schnell dem an, was in konventionellen Anlagen üblich ist“.

Holzkrankheiten vorbeugen

Im Unterschied zu anderen verholzenden Pflanzen ist die Rebe nicht in der Lage, größere Wunden, besonders bei Schnitten ins alte Holz, durch Kallusbildung zu verschließen. Vor allem große offene Schnittwunden sind jedoch Eintrittspforten für holzzerstörende Pilze. Der sanfte Rebschnitt verursacht nur kleine Wunden und ist daher geeignet, die Anfälligkeit gegenüber Holzkrankheiten zu reduzieren.

Schulung im Weinberg

Simonit & Sirch

Peter Rudloff, Weinbergsmeister vom Juliusspital in Würzburg, war einer der ersten Verfechter der Methode in Deutschland: „Wir hatten immer größere Probleme mit unregelmäßigem Austrieb und Holzkrankheiten", beschreibt er die Gründe für die Kooperation mit den Beratern im Jahr 2013. Rudloff bekräftigt die Richtigkeit der damaligen Entscheidung mit Nachdruck: „Unsere Mitarbeiter haben wieder ein Gespür für die Reben bekommen. Es wird nicht mehr nach Schema-F geschnitten, sondern jede Pflanze individuell behandelt. Die Reben sind vitaler und leistungsfähiger geworden, es gibt weniger Stockausfälle und wir haben Esca besser im Griff. Außerdem sind die Erträge trotz Klimaschwankungen und Trockenheit nicht stark zurückgegangen, sondern gleich geblieben. Die Methode lohnt sich also auch betriebswirtschaftlich. Ich kann sie jedem empfehlen."

Auch deutsche Lehr- und Forschungsanstalten haben sich in wissenschaftlichen Arbeiten dem Thema angenommen. In der Hochschule Geisenheim werden die institutseigenen Weinberge schrittweise auf das neue Schnittsystem umgestellt, seit sich das Personal 2017/2018 von Simonit & Sirch schulen ließ. Die Studierenden können die Grundlagen des Winterschnitts und das gezielte Ausbrechen im Frühjahr in einem fünftägigen Kurs lernen. Seit zwei Jahren wird vom Geisenheimer Institut für Weiterbildung auch für Externe ein Kurs angeboten.

Größere Weingüter engagieren Simonit & Sirch meist über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Zunächst wird das betriebseigene Personal intensiv geschult, danach das Wissen des Teams vor jeder Rebschnitt-Saison wieder aufgefrischt. Winzer, die nur wenige Hektar bewirtschaften und keine Berater engagieren wollen, können sich das Rebschnitt-Wissen in verschiedenen Seminaren aneignen. Die italienische Sprache ist dabei längst keine Voraussetzung mehr: Simonit und Sirch bieten inzwischen Kurse an, die in englischer Sprache und teilweise online stattfinden.

Jobst von Volckamer arbeitet als freier Journalist. Er war 15 Jahre lang Redakteur der Fachzeitschrift MERUM, hat lange in der Toskana einen Weinberg besessen und sich bei Simonit & Sirch im “Sanften Rebschnitt” ausbilden lassen.

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