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Im Jahr 2006 erhielt Hilarius Pütz die Diagnose Krebs. Er verkaufte daraufhin seine Weingüter an der Mosel und ging als Weinberater nach Georgien. Dort lebt er noch heute. Raffaella Usai hat ihn in Tiflis getroffen und mit ihm über seine zweite Chance und das Potenzial georgischer Weine gesprochen.

Herr Pütz, warum sind Sie 2007 nach Georgien ausgewandert?

Pütz: Das war eine sehr persönliche Entscheidung. Mir wurde 2006 Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Mein Arzt riet mir, meine beiden Weingüter an der Mosel zu verkaufen, ich hätte nicht mehr lange zu leben. Und da meine Tochter die Betriebe nicht weiterführen wollte, habe ich genau das getan. Ich war also frei und bin nach dem Motto „Es ist egal, wo du stirbst, erlebe etwas!“ nach Georgien gefahren.

 

Aber warum nach Georgien?

Pütz: Der georgische Weinbau war damals in der Krise und die großen Betriebe suchten ausländische Fachkräfte. Ich bekam ein Angebot. Sie müssen wissen: Vor 2006 kannten sie dort keine Absatzprobleme. Im Gegenteil, die Georgier hatten nie genug Wein, um die Sowjetunion und später Russland zu beliefern. Aber als sich der damalige Präsident Saakaschwili immer mehr dem Westen näherte, verhängte Putin einen Importstopp für Agrarprodukte aus Georgien. Und die Weingüter wussten von einem Moment auf den anderen nicht mehr, wem sie ihren Wein verkaufen sollten. Ich sage scherzhaft immer, dass die georgischen Winzer Putin dankbar sein sollten, denn dies war die Geburtsstunde des georgischen Qualitätsweinbaus. In der restlichen Welt konnte man die damaligen Weine nämlich nicht verkaufen. Um die Qualität auf internationales Niveau zu bringen, wurden Kellermeister und Önologen aus dem Ausland geholt.

Was hat das dort verändert?

Pütz: Parallel zu dieser Entwicklung gingen junge Georgier zur Ausbildung nach Deutschland, Frankreich oder Italien. Sie gehören heute zu den besten Weinmachern des Landes. Flaschenweine gibt es noch nicht besonders lange in Georgien. Früher wurde der Großteil in 10- oder 20-Liter-Gebinde gefüllt. Dieser Wein wurde massenweise bei den traditionellen georgischen „Supras“ getrunken, den Festen an langen Tafeln, an denen sich Freunde und Familien treffen. Seit 2007 steigt die Qualität der georgischen Weine jedoch kontinuierlich an. Es sind viele neue Weingüter entstanden, teils unter deutscher Leitung, wie beispielsweise das Top-Weingut Chateau Mukhrani.

Tiflis ist eine pulsierende Stadt voller Kontraste.
©Raffaella Usai
 

Wie war der Anfang in Georgien für Sie?

Pütz: Schwierig. Am Anfang hat nichts so funktioniert, wie ich wollte. Wenn ich an meine erste Weinlese zurückdenke, war das eine mittelschwere Katastrophe. Zum einen, weil die Weingüter hier nur die Sowjet-Technologie hatten, die darauf ausgerichtet war, in kurzer Zeit riesige Mengen zu verarbeiten. Und ich hatte, wie andere Kollegen auch, westliche Standards im Kopf: schonender Traubentransport, pneumatische Pressen, Flotation. Zum anderen gab es erhebliche Probleme mit den Übersetzern. Die meisten haben so getan, als würden sie übersetzen, konnten aber die Fachbegriffe nicht vermitteln. So kam es zu vielen Interpretationen und zu bösem Blut zwischen Ausländern und Georgiern.

Es prallten damals zwei vollkommen unterschiedliche Kulturen aufeinander.

Was genau waren die Probleme?

Pütz: Die Mentalitätsunterschiede zwischen Westeuropäern und Georgiern sind sehr groß. Und ich bin vollkommen unvorbereitet an die Sache herangegangen. Ein Beispiel: Als ich im ersten Jahr den Produktionsprozess für eine große Wein- und Sektkellerei in Tiflis umstrukturieren musste, wurde mir gesagt: „Ein georgischer Mann putzt nicht!“ als es darum ging, die Tanks sauber zu machen. Also mussten Frauen kommen, die diese Arbeit erledigten. Für mich völlig unverständlich.
Auch bei der Wissensvermittlung gab es große Schwierigkeiten. Ich konnte den Leuten nicht einfach sagen, dass dieses oder jenes ab heute anders gemacht wird. Das funktionierte nicht. Ich musste es so drehen, dass sie am Ende glaubten, es sei ihre eigene Idee gewesen.
Georgier sind sehr stolz und besonders stolz sind sie auf ihren Wein. Fast jede Familie macht hier ihren Hauswein nach der Quevri-Methode, seit Jahrhunderten. Bei manchen gelingt der Wein besser, bei manchen schlechter. Aber man darf einem Georgier niemals sagen, sein Wein sei nicht gut. Kritik ist nicht willkommen, auch keine konstruktive. Das musste ich erstmal lernen.

Wandmalereien in Tiflis: Wein spielt eine große Rolle im Leben der Georgier.

Raffaella Usai

Warum sind Sie in Georgien geblieben, obwohl der Großteil der Kollegen das Land wieder verlassen hat?

Pütz: Wenn ich heute noch lebe, dann führe ich es auch darauf zurück, dass ich hier so viel zu tun hatte, dass ich an die Krankheit gar nicht denken konnte. Mein heutiges Engagement ist pure Dankbarkeit. Was mich aber hauptsächlich hier gehalten hat, ist das enorme Potenzial der georgischen Weine, das immer noch schläft. Es fasziniert mich, was aus diesen autochthonen Rebsorten rauszuholen ist.

Was mich hauptsächlich hier gehalten hat, ist das enorme Potenzial der georgischen Weine.

Sie engagieren sich auch für junge georgische Nachwuchswinzer. Wie tun Sie das?

Pütz: Gleich im ersten Jahr ist mir aufgefallen, dass die georgischen Winzer zwar eine sehr gute Hochschulausbildung genossen, aber von der Praxis keine Ahnung hatten. Sie konnten alle chemischen Formeln auswendig, aber mit einem Kilo Trauben in der Hand wussten sie nichts anzufangen. Ich habe daher eine duale Ausbildung nach deutschem System angeregt, was mir mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Tiflis auch gelungen ist. Dann haben wir die Bayerische Landesanstalt für Weinbau ins Boot geholt. Gemeinsam haben wir das georgische Bildungsministerium überzeugen können, die duale Winzerausbildung als Pilotprojekt zu starten. Das läuft seit neun Jahren sehr erfolgreich.

Sie beraten heute nicht mehr große Betriebe, sondern widmen sich einem kleinen Familienweingut in Kachetien, im Osten des Landes. Wie kam es dazu?

Pütz: 2013 wurde der russische Boykott der georgischen Agrarprodukte aufgehoben. Und viele Kellereien sind in das alte System zurückgefallen und haben ihren Export nach Russland in großem Stil wieder aufgenommen. Das wollte ich nicht mitmachen und habe meinen damaligen Job aufgegeben.
Schon während des Kaukasus-Krieges 2008 lernte ich die Familie Bedenashvili kennen. Sie hatte zwei Hektar Weinberge in Kardenakhi (Kachetien) und große finanzielle Sorgen, da die staatliche Unterstützung ausblieb. Ich habe ihnen dabei geholfen, ihr kleines Familienweingut nach deutschem Modell umzubauen. Die kleinen Privatbetriebe hatten keine moderne Technologie, um hochwertige Weine zu erzeugen. Was anfangs nur ein Nebenjob von mir war, wurde ab 2013 meine Hauptaufgabe.

 

Das heißt, Sie arbeiten nur noch für dieses Weingut?

Pütz: Ja, genau. Heute hat das Weingut zwölf Hektar Rebfläche und ich kümmere mich sowohl um die Weinberge als auch um die Kellerarbeit. Den Direktvertrieb in Europa hat einer der Söhne der Familie übernommen, der seit vielen Jahren in Heidelberg lebt.

Was haben Sie verändert?

Pütz: Unser Konzept ist: Wein und Tourismus sind eine Einheit. Wir heißen viele deutsche Touristen auf unserem Weingut in Kachetien willkommen, machen professionelle Verkostungen und bringen den Menschen die Kultur des Landes näher. Dabei bleiben wir immer bäuerlich und authentisch. Es gibt keinen Pomp bei uns, nur eine wunderbare Aussicht auf den Kaukasus. Und das kommt bei den Touristen gut an. Wenn sie möchten, können sie dann Wein bei uns bestellen und aus dem Lager in Heidelberg wird er ihnen direkt nach Hause geliefert. Parallel dazu machen wir seit der Corona-Pandemie auch Online-Verkostungen, da in den vergangenen zwei Jahren spürbar weniger Besucher gekommen sind.

Mit den autochthonen Rebsorten Georgiens kann sich Hilarius Pütz voll entfalten.
©Raffaella Usai

Welche Chancen haben georgische Weine auf dem Weltmarkt?

Pütz: Sie müssen sich von den anderen Weinen abheben. Auf der einen Seite mit den Amphoren-Weinen, auf der anderen Seite mit exotischen autochthonen Rebsorten, die aber „europäisch“ ausgebaut werden.

Nun sind Sie ja mittlerweile im Rentenalter, was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Pütz: Ich möchte dieses Familienprojekt in gute Hände übergeben und hoffe, irgendwann einen jungen Winzer oder eine junge Winzerin zu finden, die meinen Job engagiert weiterführen möchte. Zurzeit studieren zwölf Georgier an der Hochschule Geisenheim. Auf diese Generation setze ich. Mit der Georgierin Dr. Sopiko Ghvanidze aus Geisenheim habe ich hier die duale Ausbildung initiiert. Auch Prof. Jon Hanf arbeitet eng mit Kollegen in Georgien zusammen. Ich wünsche mir, dass dieser Austausch bestehen bleibt und dadurch der georgische Weinbau vorangebracht wird.

Eine Frage zum Schluss: Wie geht es Ihnen heute?

Pütz: Mir geht es wunderbar. Ich habe den Krebs vor ein paar Jahren besiegen können und freue mich jeden Tag darüber, dass ich noch lebe.

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