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Seit 2004 findet in den Wiesbadener Kurhaus-Kolonnaden die Verkostung der aktuellen Grossen Gewächse (GG) statt. Für Weinjournalisten, Fachhändler und Sommeliers aus ganz Europa eine hervorragende Möglichkeit, sich einen Überblick über die bald zum Verkauf anstehenden Jahrgänge zu verschaffen. Viel professioneller kann man solch eine Veranstaltung nicht organisieren. Von allen Seiten erhält der VDP hier überschwängliches Lob.

Die angestellten Weine verursachen mir dagegen Kopfschmerzen. Auch auf die Gefahr hin, dass mir Zorn oder Ignoranz vieler Kollegen entgegen schlagen: Immer mehr Weine sind in einem Zustand, der ein Bewerten sehr schwierig macht. Oxidative Fassproben, enorm viel CO2 und Schwefel, deutlicher Füllschock, und doch tun alle so, als ob nichts wäre.

Zustand der angestellten Weine

 

(Foto: VDP / Yutaka Kitajima)

Nur auf die weißen Burgundersorten, den Silvaner und die Rieslinge der Gebiete Baden, Franken und Württemberg ist dieser Kommentar bezogen. Doch trifft es auch auf einige Rotweine und mit Sicherheit auch auf sehr viele Rieslinge der klassischen Regionen zu. Allerdings habe ich diese nicht probiert und kann da keine definitive Aussage treffen.

Seit ein paar Jahren scheint es, dass immer mehr weiße GG in einem Zustand in Wiesbaden vorgestellt werden, der sehr fragwürdig ist. Nein, damit meine ich nicht die Qualität an sich. Die kann ich nicht meinen, da diese eben in Wiesbaden nur selten in der Flasche auffindbar ist. Was tue ich dann in den Wiesbadener Kurhaus-Kolonnaden? Nun, verzweifelt Weine suchen, die in einem aussagekräftigen Zustand sind. Zumindest den Kern, den Charakter und die grobe Richtung will man schmecken dürfen.

Fassproben

Einige Fassproben sind vor Ort, viele Unwägbarkeiten gleich mit im Gepäck. Fassproben können extrem variieren. Allein schon dadurch, dass es für den Winzer schwierig ist, den Schwefelgehalt des Fassmusters einzustellen. Zu hoch bedeutet extrem verschlossene Weine, die hart und flach schmecken. Zu niedrig heißt, es besteht die Gefahr eines oxidierten Weines. Dazu bauen Fassproben, einmal geöffnet und mit Luft in Kontakt, sehr viel schneller ab. Gleiches gilt für die geschlossene Flasche, da ist manchmal schon nach ein paar Tagen Vorsicht geboten. Der Transport mit Schütteln und unterschiedlichen Temperaturen ist noch eine zusätzliche Belastung für die Fassmuster. Fünf Fassproben aus einem Barrique oder Tank können sich als fünf sehr verschiedene Weine präsentieren. Wer bei den Primeurs in Bordeaux ist, kann ein Lied davon singen.

Gelöstes CO2 und Schwefel

Brachialer Schwefel, Unmengen von CO2 oder eine noch in den allerletzten Zügen liegende Gärung haben weder für die Weingüter noch für die Verkoster Sinn. Sind dann noch Schrauber oder Glasverschlüsse im Spiel, verschärft sich die Lage im sprichwörtlichen Sinne noch. Unruhig und komplett durch den Wind. Ein Rätsel, wie man bei Weinen mit stechendem Schwefel auch nur ansatzweise irgendwas herausriechen oder schmecken kann. Da ist halt nur Schwefel und nicht viel anderes. Dieser legt sich um jedes Aromamolekül und hält jegliche Aromen sozusagen unter Quarantäne. Liegt London unter Nebel, hat die Sonne nun mal auch keine Chance.

Oder wie geht es, bei soviel gelöstem CO2, weil vielleicht erst am Tag davor gefüllt wurde, den Stil des Weines erkennen zu können? Da sprudelt es am Gaumen nur so vor sich hin. Und beim Degustieren zerplatzen die Bläschen im Mund, geben das CO2 frei und diese blockieren die Rezeptoren im Mund erst einmal. Resultat sind sehr ähnlich schmeckende Weine. Auch hier ist der Transport wieder ein Faktor, der das normalerweise im Wein gebundene CO2 erstmal löst.

 

(Foto: VDP)

Aber!

Die Aussagen einiger Anwesenden – da werden alle erdenklichen Aromen angepriesen – erstaunen dann doch. Da wird augenscheinlich von Weinen gesprochen, die definitiv keinen Füllschock oder zuviel Schwefel haben können. Da werden Weine gelobt, wie exzellent sie sind, Terroir und Winzerhandschrift zeigen. Wonderful – full of wonder. Das soll mir doch bitte mal einer zeigen, wie ich das bei einem Weißwein, der vor einer Woche gefüllt wurde, auch nur ansatzweise erkennen kann. Macht das Sinn? Da sollte sich unsere Branche mal selbst an die Nase fassen und ehrlich zu sich selbst, den Winzern und den Lesern sein.

Mehr Zeit

Offensichtlich reicht vielen VDP-Winzern die Zeit bis September des nachfolgenden Jahres nicht aus, um ihre Weißweine so zu präsentieren, wie es sein sollte. Und das ist ein großes Kompliment an die Weingüter, denn die besten Weine brauchen Zeit und keinen Zeitdruck. Provokant ausgedrückt: Je länger es dauert, bis ein Wein auf der Flasche ist und sich nach dem Füllen wieder gesammelt hat, umso größer wird er. Doch dann bitte konsequent durchziehen und nicht mit aller Gewalt in letzter Minute Flaschen nach Wiesbaden bringen. Wohlwissend, es kommt nicht wirklich gut. Grosse Gewächse aus großen Lagen müssen und sollten nicht „ready to drink“ sein in Wiesbaden. „Ready to taste“ würde vollkommen ausreichen, aber keinesfalls weniger.

Spricht man mit VDP-Winzern unter vier Augen, bekommt man des öfteren ein zustimmendes Nicken als Antwort. Einige Mitglieder setzen es ja für ihren Betrieb schon um und stellen ihre Weine ein oder sogar mehrere Jahre später an. Betriebswirtschaftliche Einwände, dass dies für manchen Betrieb eine Kostenfrage ist, halte ich nur bei einzelnen Weingütern für gerechtfertigt. Wohl nur bei wenigen Betrieben dürften die GG einen überlebenswichtigen Anteil erreichen. Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel. Und selbst bei diesen Ausnahmen sollte ein Verlängern der Verkaufsfrist keine Krise auslösen.

 

(Foto: VDP)

Unmöglich?

Deshalb meine Frage an den Bundesverband des VDP und an die Regionalverbände: Würde es nicht sehr viel mehr Sinn machen, den weißen GGs auch die Zeit wie den Roten zu gönnen, bevor man sie in Wiesbaden vorstellt? Dabei möchte ich auch grundsätzlich fragen: Warum „degradiert“ man die Weißweine denn überhaupt? Hat ein GG aus Weiß- oder Grauburgunder, Silvaner oder Riesling nicht die gleiche Klasse und den gleichen Respekt verdient?

Ohne Zweifel werden alle Weingüter dies aus völliger Überzeugung bejahen. Ja dann. Eine Diskussion innerhalb des VDP wäre das allemal wert, auch wenn es nahezu unmöglich ist, eine Einigkeit auf Bundes- oder Regionalebene zu erzielen. Doch steter Tropfen höhlt den Stein, und jede Flasche, die erst nach zwei Jahren angestellt wird, ist ein Stück vorwärts in die richtige Richtung.

Alternativ könnte man darüber nachdenken, die GG-Degustation in Wiesbaden und somit die Freigabe der Weine auf das kommende Frühjahr zu verlängern. Vor allem den Weißweinen würde das zusätzliche halbe Jahr mehr Zeit extrem gut tun. Manchen Rotweinen übrigens auch.

And the (Ge)winner wäre – der VDP!

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