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Da saß ich in einem kleinen, gepflegten Restaurant in einem Fremdenverkehrsort im südfranzösischen Weingebiet. Ich war allein und wollte am Mittag einen kleinen Imbiss einnehmen. Die Speisekarte: vielfältig, gebietsspezifisch, attraktiv; die Weinkarte beschränkt auf wenige „offene Weine“, Hausweine sozusagen. Gerade richtig zum kleinen Mahl: „Un quart de rouge en pichet“ (was so viel bedeutet wie: ein „Viertele“, bitte). Das „Viertele“ wurde aufgetischt, doch – der Wein war so gut wie ungenießbar. Nicht nur, dass er ein nichtssagender, billiger Massenwein war, er wurde auch viel zu kalt (offensichtlich direkt aus dem Kühlschrank) serviert, und war bereits oxidiert. Das soll ein „Hauswein“ sein? Normalerweise folgt da ein Disput mit der Wirtin oder dem Wirt. Diesmal aber bin ich tief ins Grübeln versunken, verärgert, deprimiert, ohne jegliches Verständnis, denn das gleiche passierte mir schon öfters, auch an Orten, wo Wein zur zentralen Gastro-Kultur gehört.

 

In einem kleinen Restaurant mitten im südfranzösischen Weingebiet (Foto: P. Züllig)

Gastroweine, was kann man darunter verstehen? Wie müssten sie sein? Kein neues, aber ein heikles Thema. Jeder Weintrinker – aber auch jeder Wirt – weiß da Geschichten zu erzählen. Anstatt zu trinken (und zu essen), habe ich mir ein paar Gedanken notiert und dabei ganz vergessen, den Wein zurückzuweisen. Man hätte ihn wohl ausgetauscht – mit dem gleichen unglaublich banalen Wein, diesmal aber nicht eiskalt und nicht oxidiert, einfach aus einer anderen, einer neuen Flasche. Das macht die Sache aber nicht besser. „Offene Weine“ – Weinliebhaber, gewöhnt an Name und Etikett, rümpfen die Nase – sind gar nicht so schlecht wie ihr Ruf. „Offene Weine“ können ein Angebot sein für alle, die keinen Tanz um den Wein machen, sondern zum Essen einfach gern Wein trinken. Hauswein ist keine schlechte Bezeichnung für Offenweine, bedeutet sie doch: „Er gehört zum Haus, entspricht der Hauskultur, das Haus steht zu diesem Wein“, auch wenn auf der Karte „offene Weine“ und nicht „Hausweine“ steht. Sprachlich viel unverbindlicher ist da schon der „Ausschankwein“.

 

Gehört zum guten Essen immer ein Flaschenwein? Darf es nicht auch einmal ein „Hauswein“ sein? (Foto: P. Züllig)

Ich rede von den einfachen, guten Gaststätten, in denen man sich im Alltag (vor allem am Mittag) verpflegt, wenn man nicht zu Hause ist, oder sich am Abend noch einen Schlummertrunk gönnt, wo man anstatt eines obligaten Biers ein Glas Wein bestellt. Was man da in vielen Fällen, nach meinen Erfahrungen in der Mehrheit, als Wein vorgesetzt bekommt, würde man als Speise auf dem Teller nicht akzeptieren. Als Wein aber – ob weiß, rosé oder rot – gibt es anscheinend kaum Reklamationen, so wenige, dass der Wein munter weiter ausgeschenkt wird, oft über Monate und Jahre. Weinliebhaber halten sich an Flaschenweine – sie werden immer häufiger auch glasweise angeboten –, und alle anderen – die Weinbanausen, denkt wohl so mancher Wirt – geben sich in der Regel mit dem zufrieden, was angeboten wird. „Offene Weine“ müssen bezahlbar sein und – Ansprüche ausgeklammert – trinkbar, von Genuss redet da kaum jemand. Was darüber hinaus geht, ist zu viel verlangt: „Denken Sie nur an die Kosten: Service, Gläser, Lokal, Lagerung etc. Da wird die Marge klein!“

 

Eine nicht ganz untypische Weinkarte (Foto: P. Züllig)

Wie oft habe ich das schon gehört, in allen nur möglichen Varianten. Stimmt es aber auch? Nein, entschieden nein! Es gibt kleine, gute, „offene“ Weine, auch von vielen Produzenten mit Namen und gutem Ruf. Ihre „einfachsten“ Weine, die sogenannten Basisweine, oft „Literweine“, sie sind das, was man als einen guten „Gastrowein“ bezeichnet, eine Alternative zu den Massenweinen, industriell hergestellt irgendwo in der Welt. Was in den Restaurants unter der Bezeichnung „Gastrowein“ oft angeboten wird, ist alles andere als gastrofreundlich, nur „wohlfeil“, anders ausgedrückt: billig. Es ist halt so bequem, vom Getränkehändler, der all die verschiedenen Wässerchen und meist auch das Bier ins Haus bringt, auch noch den „offenen Wein“ liefern zu lassen. „Wir haben da noch ein Angebot, beliebt, süffig und auch noch günstig. Für diesen Wein zahlen Sie in der Flasche gut das Dreifache“, so oder ähnlich argumentiert der Lieferant. Oft stimmt das sogar, der Wein kann durchaus trinkbar, anständig, vielleicht sogar gut sein, er ist aber meist „gesichtslos“. Ob er zur Gaststätte, zum Essen, zur Kultur des Hauses passt, ist gleichgültig. Hauptsache, er rechnet sich.

 

Die Weinkarte ist die Visitenkarte des Hauses (Foto: P. Züllig)

Es liegt mir fern, hier eine Beschimpfung der Wirte anzustimmen. Doch als Weintrinker, viele Jahren viel unterwegs, hat dies meine Erfahrung mit offenen Weinen geprägt und das Bild getrübt.

Ich sitze noch immer vor meinem fast untrinkbaren Wein, bei meinem inzwischen kalt gewordenen Essen, stochere in der Suppe und würze das Couscous, lustlos, ohne Freude. All die belanglosen, nichtssagenden, abgestandenen, oxidierten offenen Weine tauchen wieder auf, denen ich in all den Jahren begegnet bin. Die guten – es gibt sie tatsächlich auch – blieben nicht in Erinnerung, sie sind im Alltag untergetaucht, haben sich eingereiht in die guten Flaschenweine, die ich in Gaststätten auch getrunken habe. Aber die miesen Weine, sie blieben haften. Es sind Visitenkarten, die man im Gedächtnis behält, Visitenkarten der Unkultur oder Kulturlosigkeiten. Ich lege das Geld für die Konsumation hin, verlasse – grußlos – das Lokal und werde sicher nie mehr da einkehren, obwohl es am Weg liegt und ich dort oft vorbeigehe.

Das Problem der „offenen Weine“ liegt aber nicht nur beim Einkäufer, der oft zu wenig Zeit, Interesse und Sorgfalt investiert, es liegt allzu oft auch am Personal. Die Weine werden zu kalt, zu warm, in unmöglichen Gefäßen serviert; sie werden oft zu lange und an falschen Orten aufbewahrt, offen stehen gelassen oder gar zusammengeschüttet. Weinkultur beginnt für viele eben erst dort, wo der Korken ploppt, wo zuerst – die linke Hand auf dem Rücken – ein kleiner Schluck zur Degustation eingeschenkt wird, wo die Gläser (je nach Preis der Flasche) ausgetauscht werden und wo der Verschluss nur ein Korken sein kann (der dann fein säuberlich neben der Flasche liegt).

Gute Gastroweine brauchen dieses Ritual nicht. Sie können auch „offen“ sein, im Alltag, dort, wo halt nur ein „Viertele“ oder eben ein „quart de rouge en pichet“ bestellt wird. Nämlich dann, wenn sie nicht nur trinkbar sind, sondern auch ein Gesicht haben, auch einen Charakter, eine Persönlichkeit. Am „offenen“ Wein lässt sich die Weinkultur eines Hauses besser messen als an einer großen Weinkarte; nämlich dann, wenn auch der Kleine, der gepflegte Hauswein da zu Hause ist.

Herzlich
Ihr/Euer

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