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Mitte August 2013, blauer Himmel über dem Aischgrund in Franken. Kai Wagner und Josef Engelhart treffen sich im „Goldenen Kreuz“, dem Gasthof des kleinen Ortes Ickelheim mit den beiden markanten Torhäusern. Der Treffpunkt ist gut gewählt, nicht nur wegen der Hausmacherplatte, die die beiden verspeisen, denn dazu gibt es den Hausschoppen, einen kernigen Weißwein aus dem Steinkrug. Der ist selbst gemacht und stammt vom ältesten Pfahlweinberg Deutschlands aus dem Ickelheimer Schlossberg. Traurig nur, dass dessen Tage gezählt sind, denn die mühevolle Handarbeit kann die Familie Heinlein aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr leisten, und ein Nachfolger hat sich nicht gefunden. Der Weinberg wird seit Monaten nicht mehr gepflegt, und so werden nun die letzten Steinkrüge ausgeschenkt und geleert. Dann ist Schluss.

 

Der Ickelheimer Schlossberg: kleine Parzellen% eng bepflanzt% nicht flurbereinigt. Hier gibt es mehrere alte Stücke% die im Gemischten Satz gepflanzt sind. (Foto: K. Wagner)

Zweck des Treffens von Wagner und Engelhart, dem Weinbautechniker und gesuchten Rebsortenkundler von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim, ist aber nicht, möglichst viele Krüge zu leeren, sondern die alten Weinberge bei Ickelheim in Augenschein zu nehmen. Denn die sind gleich aus mehreren Gründen spannend und einmalig. Die alten Weinberge dort sind nicht nur auf natürliche Weise gering im Ertrag und bringen deshalb extraktreiche, ausdrucksstarke Weine hervor, sie sind vor allem im Gemischten Satz gepflanzt, der früher üblichen Methode, sich gegen die Fährnisse von Wetter und Krankheiten zu wappnen. Viele verschiedene Rebsorten werden in einem Weinberg kreuz und quer durcheinander gepflanzt, zu einem Zeitpunkt geerntet, zu einem Most und zu einem Wein verarbeitet. Und das soll schmecken? Die Skepsis ist nicht unberechtigt, denn die richtige Pflege und vor allem optimale Reife kann man nur sicherstellen, wenn nur eine einzige Rebsorte angebaut wird. Doch auch hier gilt: Probieren geht über studieren.

Welche Rebsorten im Gemischten Satz zusammenkommen, hängt ganz von den Umständen ab; mal sind es nur ein paar, mal mehr als 30 verschiedene Sorten, mal dominiert eine Sorte, mal ist das Verhältnis ausgewogener. Zwei Dinge aber sind für die alten Weinberge im gemischten Satz typisch: Man findet dort Rebsorten, die heute ungebräuchlich, ja unbekannt sind. Und: Die Rebstöcke sind wurzelecht. Die alten Weinberge werden so zu einem kostbaren Rebsorten- und Genpool, der angesichts von Ressourcenverarmung und Klimawandel immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der erfahrenste deutsche Rebsortenforscher, Andreas Jung, stellt klar: „Alte Rebsorten findet man in Deutschland nur noch in alten Weingärten. Am wertvollsten sind solche Weinberge, die vor dem Zweiten Weltkrieg angelegt wurden und noch wurzelecht gepflanzt sind. Diese enthalten zumeist noch die von den Großvätern geschätzten Sorten in ursprünglicher Klonvielfalt. Sie sind letzte Refugien für kulturhistorisch bedeutsame Traditionsrebsorten und eine Schatzkammer für standorterprobte Klonvielfalt.“

 

So wie hier bei Escherndorf sehen Weinberge in Franken heute üblicher Weise aus: maschinenbefahrbar und großformatig. (Foto: K. Wagner)

Die wenigen verbliebenen alten Weinberge, die unzählige Frostnächte, Reblaus, Flurbereinigung und Umwandlung in Bauland überlebt haben, sind klein, meist nur wenige Hundert Quadratmeter groß, dicht bepflanzt und daher mühsam und nur in Handarbeit bewirtschaftbar. Sie liegen weit verstreut in ganz Franken, meist außerhalb der Weinbauzentren, und werden häufig nicht von professionellen Winzern, sondern von Enthusiasten am Leben gehalten. So pflegt Peter Vogel seit zwei Jahren einen im Jahr 1901 gepflanzten Weinberg am Rottendorfer Kehlberg, der einzige Weinberg, in dem die in Vergessenheit geratene Putzscheere gefunden wurde, eine aus dem pannonischen Raum stammende, spät reifende Rebsorte, die nach dem 17.Jahrhundert durchaus verbreitet war. Freizeit-Winzer Hartmut Scheuring hat in der prächtigen, aber wenig bekannten, steilen Terrassenlage Steinbacher Nonnnenberg eine winzige Parzelle mit uralten Reben und teils historischen Rebsorten wie dem Blauen Tokajer. Die Ausbeute liegt oft nur bei wenig mehr als 100 Flaschen. Herbert Schneider produziert den leichten und zartfruchtigen „Anno Domini“ aus den alten Reben, die in einer kleinen umschlossenen Parzelle an der steinernen Treppe wachsen, die vom Wipfelder Marktplatz hinauf zur Kirche führt.

Das schon zu Zeiten Karls des Großen begründete Örtchen Ickelheim hat mit dem „Schlossberg“ eine kleine, nicht flurbereinigte Weinlage. Die ist in viele Stücke und Stückchen aufgeteilt, von denen viele alt und wertvoll sind. Neben dem Pfahlweinberg der Familie Heinlein ist die von der agilen, fast 80-jährigen Frau Eitel bewirtschaftete gut 100 Jahre alte Parzelle eine Fundgrube an alten Reben. Der aromatische und reintönige Wein wird vom Weingut Meier in Ulsenheim ausgebaut und vertrieben. Eines ist für Wagner und Engelhart an diesem sonnigen Augusttag in Ickelheim klar: Die wenigen verbliebenen alten Weinberge sollen erhalten bleiben. Und das funktioniert nur, wenn sie bewirtschaftet werden und der Wein, den sie hervorbringen, gut verkauft werden kann. Klingt nach einem Fall für die „Slow Food Arche des Geschmacks“: Trinken, was man retten will. Gut, dass das Convivium Mainfranken-Hohenlohe den „Fränkischen Gemischten Satz“ längst als Arche-Kandidaten auf dem Schirm hat. Es muss bald etwas geschehen: ein Treffen der Winzer und eine große Verkostung der Weine aus dem Gemischten Satz.

 

Oft sind es ältere Menschen% die die wenigen verbliebenen Weinberge pflegen. Frau Eitel ist 80 Jahre und bearbeitet den Weinberg am Schlossberg% den Wein macht und verkauft Markus Meier in Ulsenheim. (Foto: K. Wagner)

Gut, dass es auch ein paar Vollerwerbswinzer gibt, die sich der Bewahrung alter Weinberge und des Gemischten Satzes verschrieben haben. Der älteste Weinberg, gepflanzt im Jahr 1835 mit über 30 Rebsorten, unter denen der Elbling beim weitem dominiert, liegt versteckt mitten in einem Kornfeld zwei Kilometer nördlich des Örtchens Rimbach. Er wird erfolgreich und professionell vom Weingut Zang aus Sommerach bewirtschaftet. Die fränkischen Spitzenwinzer vom Zehnthof in Sulzfeld, Wolfgang, Philipp und Uli Luckert, haben sich vor wenigen Jahren zur Rettung zweier winziger, mitten in ihrem Heimatort gelegener Parzellen mit uralten, in den Jahren 1870 und 1920 gepflanzten Rebstöcken entschlossen. Die Parzelle mit Reben aus dem Jahr 1870 ist bestockt mit Blauem und Gelbem Silvaner, die andere im klassischen fränkischen Gemischten Satz. Beide wurden wieder aufgepäppelt und in Ertrag gebracht. Schon der erste Wein, druckvoll, komplex, feingewoben und tief, aus dem buchstäblich in letzter Minute vor dem endgültigen Verschwinden geretteten Silvaner-Weinberg zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial in den alten Weinbergen steckt.

Dass es auch in weltbekannten Spitzenlagen Parzellen mit alten Pflanzungen im Gemischten Satz gibt, ist erstaunlich und ein besonderes Glück. Im mit gut 200 Kilometer Trockenmauern terrassierten Klingenberger Schlossberg, wo einige der besten Rotweine Deutschlands wachsen, besitzt Wolfgang Kühn den vor mehr als 80 Jahren gepflanzten „Altrod“, in dem die roten Sorten Portugieser, St. Laurent und Spätburgunder vorherrschen. Der gleichnamige Wein ist feinfruchtig, animierend und erblüht nach einigen Jahren Flaschenreife. Ebenfalls am Klingenberger Schlossberg hat die Gästeführerin Gabriele Stahl-Euteneuer zusammen mit dem Öko-Weingut Stritzinger einen Museumsweinberg angelegt, ebenfalls von roten Sorten dominiert, der den kraftvollen „Vinum Franconium Purpureum“ liefert. Auch am nördlichen Rand des fränkischen Weinbaugebiets gibt es einige alte Weinberge: In Zell am Ebersberg, wo Peter Götz und Nico Scholtens gut 100-jährige Weinberge mit einer Vielzahl an längst vergessenen Rebsorten besitzen, oder in Ramsthal, wo Kellers den „Ur-Ramsthaler“ erzeugen, und in Machtilshausen, wo aus der steilen „Sommerleite“ ein kräftig-würziger „Altfränkisch“ gedeiht, den der Theilheimer Bio-Winzer Edgar Wallrapp ausbaut.

 

Der Museumsweinberg bei Randersacker – diesen Altfränkischen Wengert hat Armin Störrlein angelegt. (Foto: K. Wagner)

Immer mehr Winzer erkennen, dass der Gemischte Satz nicht nur ein Herzstück der Weinkultur ist, sondern auch eine spannende und herausfordernde Anbauvariante, die völlig ungewohnte, lebendige und abwechslungsreiche Aromenprofile erzeugt. So haben die VDP-Güter Bickel-Stumpf, Roth, Schlör und andere neue Versionen des Gemischten Satzes angepflanzt, die schlichtweg köstlich sind. Besonders lobenswert ist die Initiative vom VDP-Winzer Armin Störrlein, der im Randersackerer „Pfülben“ den „Altfränkischen Wengert“ im klassischen fränkischen Stil angelegt hat, in dem alle Arbeiten so getan werden, wie zu Zeiten der Vorväter. Das Resultat ist ein tiefgründiger, hochfeiner Wein, geprägt vom Rebsortenmix aus Riesling, Traminer, Silvaner, Gutedel, Muskateller, Ruländer, Elbling, Spätburgunder, Trollinger, Portugieser sowie der seltenen Bukettrebe.

Ein halbes Jahr später ist es dann soweit. Am 8. Februar 2014 regnet es in Würzburg. Engelhart, Wagner und Gerd Sych, Sprecher des Slow Food Conviviums Mainfranken-Hohenlohe, treffen sich im Greising-Saal, um letzte Vorbereitungen zu treffen für eine Veranstaltung, die es in sich hat und die eine echte Premiere ist: Fast alle fränkischen Winzer, die alte Weinberge bewirtschaften, die Weine im Gemischten Satz produzieren, treffen sich erstmalig. Sie haben ihre Weine mitgebracht, denn im Anschluss an den Gedankenaustausch der Winzer startet die öffentliche Verkostung, die schon lange ausgebucht ist. Der Arche-Kandidat „Fränkischer Gemischter Satz“ startet durch, die Gründung eines Arbeitskreises „Alte Weinberge – Alter Satz“ wird beschlossen, der Ickelheimer Pfahlweinberg soll in gute Hände kommen.

 

Der Pfahlweinberg der Familie Heinlein in Ickelheim im August 2013: etwa 20 verschiedene% meist alte Rebsorten% wurzelecht% aber monatelang nicht bearbeitet. Er sollte aufgegeben werden – das war die Initialzündung des Rettungsprojekts für den Alten Satz. (Foto: K. Wagner)

Wer trotz des großen Anklangs, den die Würzburger Veranstaltung bei Winzern und Weinfreunden gefunden hat, noch Zweifel am Potenzial des Gemischten Satzes hat, sollte einen Blick nach Österreich werfen. Auch dort hat sich der Gemischte Satz erhalten, insbesondere im Anbaugebiet Wien, und der umtriebige Winzer Fritz Wieninger hat mit knapp zwanzig Kollegen das Presidio „Wiener Gemischter Satz“ ins Leben gerufen. „Wiener Gemischter Satz“ ist heute nicht nur eine EU-weit geschützte Bezeichnung, sondern ein weltweit gesuchter Wein, der sogar in Manhattan begehrt und populär ist, wie Wieninger stolz auf seiner Website verkündet. Wäre doch gelacht, wenn die Franken das nicht auch könnten.

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