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Einer meiner deutschen Freunde, die ich während drei Tagen durch die Schweiz führe, bringt es auf den Punkt: „Manchmal stehen die Berge halt doch im Weg!“ Trotzdem will ich das Unmögliche möglich machen, alles zeigen: ein bisschen Landschaft, Berge, Menschen, Weingebiete und natürlich Wein. Schweizer Wein, gerne definiert als „unbekanntes Wesen“, zumindest im Ausland. Wie oft höre ich doch den saloppen Spruch: „Die Schweizer trinken ihre Weine lieber selber.“ Wenn das stimmen würde, müssten sie auch gut sein, die Schweizer Weine, sehr gut sogar, denn kulinarisch (dazu gehört ja auch der Wein) sind die Schweizer verwöhnt; sie leben gleichsam im Schnittpunkt der guten Küche und der guten Weine (Frankreich, Italien). Doch es stimmt nicht, dass die Schweizer ihre Weine nicht gern hergeben würden, sie haben sich einfach noch nicht daran gewöhnt, weltweit zu denken (und zu handeln). Vielleicht stehen ihnen die Berge im Weg oder es sind die Grenzen, die trotz Schengen im Kopf (und beim Zoll) noch nicht abgebaut sind. Am wahrscheinlichsten aber ist – davon bin ich überzeugt –, man hat in der Schweiz noch gar nicht registriert, wie gut man im internationalen Weinkonzert bestehen könnte, würde man wirklich mitspielen.

Die Schweiz: Berge und Seen – irgendwo dazwischen auch Reben (Foto: P. Züllig)

Für uns Schweizer ist diese Situation gar nicht so unangenehm. Man kommt (noch) relativ günstig zu gutem Wein. Das könnte bald einmal anders sein. Etwa so: Einer der wenigen Winzer, die schon heute internationalen Ruf genießen, bietet seine Weine nur noch in wenigen „auserlesenen Weingeschäften“ an und zu Preisen, die selbst das Schweizer Preismaß übersteigen, denn die Weine (von ganz wenigen Hektar) werden weltweit gehandelt. Sollte dieses Vorbild Norm werden, müssten die Schweizer in Zukunft ausländische Spitzenweine kaufen, denn die einheimischen würden teuer und wären kaum mehr aufzutreiben. Das Rebland in der Schweiz ist eben beschränkt (15.000 ha – gegenüber Frankreich mit 900.000 ha oder Deutschland mit 100.000 ha), und man hat noch wenig Platz für den Anbau, denn schon die Hälfte des Landes ist mit den Alpen (Bergen) belegt, auf denen kaum noch Reben wachsen (und wenn, dann nur am Fuß). Trotzdem gibt es im Wallis – einem Bergkanton – weitaus am meisten Reben (rund 5.000 ha), und das Weingebiet ist auch sonst eine Besonderheit, denn die Rebflächen sind auf rund 22.000 Kleinbesitzer verteilt, die (meist im Nebenberuf) eine unglaubliche Vielfalt an Sorten anbauen. Nur etwa 20 Winzer besitzen da mehr als zehn Hektar Land, durchschnittlich hat also ein Walliser Winzer gerade mal 23 Ar Reben, viel zu wenig, um davon zu leben. Das Wallis muss man besuchen, will man sich mit dem Schweizer Wein ernsthaft befassen. Doch das Wallis liegt zwischen den Bergen.

Reise durch die Schweiz – im Wallis angekommen (Foto: P. Züllig)

Es ist also eine weite Reise, wenn man in der Ostschweiz startet. Auch in der Ostschweiz gibt es Reben und vorzügliche Weine, verstreut über fast alle Kantone und viele Gemeinden. Die Bündner Herrschaft (ca. 220 ha) – über dem Rheintal gelegen – ist eines dieser kleinen Weingebiete, vielleicht das bekannteste in der Deutschschweiz, wo – so sagt man – der  beste Pinot Noir der Schweiz gemacht wird und wo einst auch Heidi mit dem Geißenpeter (in der Fantasie der Dichterin Johanna Spyri) gelebt hat. Seit etwa dreißig Jahren hat man hier den Ehrgeiz entwickelt, sich beim Blauburgunder mit dem Burgund zu messen. Etwas vermessen – zugegeben –, doch es ist eine reelle Chance, in der Weinwelt wahrgenommen zu werden. Die sechs verschiedenen Pinot Noirs aus der Herrschaft, die wir in der abschließenden Degustation verkosten (darunter Gantenbein), sind – gleichsam bei der Nagelprobe – denn auch die besten Weine der „Schweizer Auswahl“.

Doch wie gesagt, zwischen dem Bündnerland und dem Wallis türmen sich Berge (unter anderem der Gotthard). Sie zu überwinden kann eine der berühmtesten Schmalspurbahnen der Welt, der Glacier-Express, durchaus helfen. Es dauert zwar gut sieben Stunden, bis man vom Weingebiet um Chur das Vorzeige-Wahrzeichen, das Matterhorn in Zermatt, erreicht. Auf der langen Reise durch Bergtäler, über und durch Berge (Tunnels) gibt es kaum Reben. Erst bei Visp – dort wo der Weg das Rhônetal verlässt – kann man die ersten (noch) kleinen Rebberge im Wallis sehen, meist hoch oben an den Hängen angelegt, genau dort, wo am Nachmittag – während kurzer Stunden – die Sonnenstrahlen hinkommen, sich also einen Weg zwischen den Bergspitzen bahnen.

Die Arena – von Felsen begrenzt –% wo Jürg Biber seine Reben hat (Foto: P. Züllig)

Das Walliser Weingebiet beginnt etwa in Brig (Hauptort des Kantons) und zieht sich hinunter fast bis zum Genfersee. Nicht ganz, denn zuvor wird der zweitgrößte Weinkanton erreicht, die Waadt. Der Übergang ist kaum auszumachen, schon gar nicht für Fremde. Die Rebberge reihen sich dicht aneinander und zwar kleinteilig, zerstückelt durch Felsen und Felsformationen. In der Nähe von Salgesch, an der deutsch-französischen Sprachgrenze (auch als „Röstigraben“ bezeichnet) gedeihen die Reben von Jürg Biber, etwas versteckt zwar, aber in einer natürlichen Arena. Der Winzer ist ein Tüftler, wie viele Spitzenwinzer, ein Perfektionist, der genau weiß, warum er seine Weine so und nicht anders macht. Wir stehen lange zusammen mit ihm im Rebberg, länger als wir nachher die Weine verkosten. Und das ist gut so, denn nur wenn man Boden, Klima, Anlage, Wachstum, Rebschnitt etc. genauer erkundet, ist auch zu verstehen, was sich im Glas entfaltet – und entfalten kann. Die Rebflächen sind nicht groß, was typisch ist für das Wallis, ja, eigentlich für die ganze Schweiz. Auf diesen kleinen Parzellen – mit ganz unterschiedlichen Lagen – wachsen unglaublich viele Rebsorten, aus denen unglaublich viele verschiedene Weine gekeltert werden. Aus den knapp sechs Hektar Reben von Jürg Biber – zum Beispiel – entstehen etwa 15 verschiedene Weine, mehrheitlich rote. Wir sind in einem Weingebiet, wo inzwischen nicht mehr die Masse, sondern die feine Handschrift den Ton angibt; wir sind dort, wo sich – glaubt man – der Rebbau gar nicht lohnen kann. Und er lohnt sich doch, denn die Weine sprechen eine eigene Sprache, die Sprache der Natur, des Wallis, des Winzers und der Tradition.

Das Rhônetal – größtes Weinbaugebiet der Schweiz (Foto: P. Züllig)

Nun ist es nicht mehr allzu weit bis zum Genfersee. Das Tal wird breiter, eine andere, etwas üppigere Landschaft empfängt uns. Zwar gibt es auch hier steile Hänge mit Reben, doch sie sind weit flächiger und in ein viel milderes Klima eingebettet. Das Lavaux ist Weltkulturerbe und eines der schönsten Stückchen Schweiz, Weinschweiz. Hier dominiert der Chasselas, die weiße Rebsorte, die im Ausland oft Mühe bereitet, kaum verstanden und schon gar nicht geliebt wird. Oben in Chexbres – auf dem Balkon des Genfersees – liegt die Domaine Bovy. Mitten in den Reben öffnet sich ein herrliches Panorama – oben blauer Himmel, unten grünlich-tiefes Wasser, leicht im Dunst liegende Berge am Horizont und gepflegte Rebhänge dazwischen, in die sich einzelne Häuser oder kleine Häusergruppen (beste Wohnlage!) zwängen. Hier ist die Tradition zu Hause: Man baut vor allem den Chasselas aus, der jetzt in großen alten Holzfässern (2.500 bis 5.000 Liter) ruht und langsam heranreift. Neues Holz braucht dieser Wein nicht, man ist überzeugt, hier einen der besten Saint-Saphorins zu machen, einen Paradewein der Schweiz, leicht cremig, leicht nussig, mit viel Mineralität und Frische. Es scheint mir, als mache man Wein, der zur Landschaft passt: weit, weich, sanft und doch kräftig und bestimmt.

Das Lavaux am Genfersee – Weltkulturerbe (Foto: P. Züllig)

In Lausanne ist die Sprachgrenze schon weit weg, hier sind wir in der Französisch sprechendem Schweiz, im Welschland, wie wir sagen. Trotz rasant wachsender Wohn- und Industriegebiete ziehen sich die Reben – nicht mehr so dicht wie noch im Lavaux – dem weit flacheren Ufer entlang bis nach Genf. Wir aber biegen ab, nach Norden, ins Drei-Seen-Land, wo sich vier Kantone treffen, umringt von dem Neuenburgersee, dem Bielersee und dem Murtensee. Auch hier wird traditionell Chasselas angebaut, doch rote Rebsorten, vor allem der Pinot Noir, haben längst Einzug gehalten. In den letzten Jahren hat sich der Anteil an Rotwein so stark erhöht, dass es heute nahezu gleich viel Rot- wie Weißweine gibt. Tendenz steigend, bestätigt uns der Winzer Erich Andrej in Ligerz, den wir am nächsten Tag besuchen. Ligerz ist ein Vorzeigeweindorf am Bielersee, zur Petersinsel (Rousseau-Insel) ist es nur eine kurze Überfahrt mit dem Schiff. Es ist das dritte Weingebiet, das wir auf unserer Reise besuchen. Zwar wie das Lavaux auch an einem See gelegen und doch wieder ganz anders: – kleiner, übersichtlicher, ich möchte fast sagen: individueller als die Weingegend am Genfersee. Wieder einmal sind wir an der Sprachgrenze, sie zieht sich nahe am Dorf vorbei. Der Chasselas – noch am Vortag von meinen deutschen Gästen mit Stirnrunzeln begleitet – erntet jetzt schon mehr Zuspruch, mehr Wohlwollen, wenn ich es richtig einschätzen kann, sogar mehr Anerkennung. Und wieder sind wir bei einem Kleinwinzer, der selber keltert; und wieder treffen wir ein großes Sortiment an Weinen an, auch rote. Sogar der Malbec hat sich bis hier an den Bielersee gewagt, und er macht sich recht gut neben seinen weißen Mitspielern, die im Rebberg aber immer noch die Oberhand haben.

Ligerz – schmuckes Weindorf am Bielersee (Foto: P. Züllig)

Es ist Zeit, zurückzukehren in die Ostschweiz. Dorthin, wo der „Schweizerswein“, der Chasselas, nicht angebaut wird, dafür aber Pinot Noir, der Blauburgunder. Genf ist etwa 140 Kilometer entfernt, das Zürcher Oberland auch – wo unsere Reise begonnen hat. An der Schlussdegustation mit rund 35 Schweizer Weinen muss natürlich der Tessiner Wein, der Merlot, noch ins Glas. Wir sind zwar ganz nahe am Tessin gewesen, doch – wie hat mein Gast gesagt: „Manchmal sind die Berge halt doch im Weg.“ Zum Tessin gibt es keinen „Röstigraben“, schon eher einen Polentaberg. Aus dem Malcantone (Tessin) – so bin auch ich überzeugt – kommen die besten Schweizer Weine. Ausgerechnet die haben wir auf unserer Reise links liegen lassen. Und so ist es denn gekommen, wie es kommen musste: Die Tessiner Weine haben nicht oben aufgeschwungen (wie sonst üblich). Die Weine aus den Gegenden, die wir besucht und erlebt haben, sind viel präsenter, viel vertrauter und aussagekräftiger. Manchmal haben Berge nicht nur ihre wilde und schöne Seite, sondern auch ihre gute. Sie weisen den allzu hastigen Weinerkunder in der Schweiz in natürliche Grenzen. Röstigraben und Polentaberg müssen erst überwinden werden.

Herzlich
Ihr/Euer

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