wein.plus
ACHTUNG
Sie nutzen einen veralteten Browser und einige Bereiche arbeiten nicht wie erwartet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser.

Anmelden Mitglied werden

Wenn es im Glas funkelt, von Purpur bis Granatrot, von Zitronen- bis Goldgelb, dann öffnet sich – leider nicht immer – ein Weinhimmel, mit einem Firmament voll von nahen und fernen Sternen. Es sind oft Miniplaneten, die man so gerne erkunden würde. Jedenfalls geht es mir immer wieder so. Beschreibungen des Weins, Punkte, Namen des Winzers, des Weinguts, der Rebsorte – all dies genügt mir nicht (immer). Ich würde so gerne die Mikrowelt kennen lernen, in der gute Weine entstehen. Nicht einfach eine Region kennen lernen, eine Appellation, ein Gebiet, wo eben viele Reben wachsen, vielmehr die Landschaft, die Dörfer und Weiler, die Menschen mit ihrem Alltag, ihrer Kultur und Geschichte. Ich möchte wissen, worauf die Leute dort stolz sind, nicht nur in Bezug auf Wein; was sie geprägt hat, wovon sie träumen und wohl auch, was sie ärgert.

 

Roquebrun% das Dorf am Berg (Foto: P. Züllig)

Deshalb wird oft ein Wein zum Ausgangspunkt einer großen oder einer kleinen Reise. Die kleinen Reisen sind es, die wir gerne vergessen oder gar nicht erst antreten, wir reden viel lieber von den großen, in andere Länder, zu andern Kulturen, in ferne Weingebiete.

In meinem Glas lockt ein Wein, der knapp sechzig Kilometer entfernt von meiner „zweiten Heimat“ in Frankreich gekeltert wurde, in Roquebrun, einem Dorf zwischen Montpellier und Toulouse, fast schon am Fuß der „Schwarzen Berge“. 540 Einwohner verrät die Statistik, und die Fremdenverkehrswerbung lockt: „Das charmante Dorf im Naturpark des Haut-Languedoc überragt das Orb-Tal. Sein Mikroklima ist günstig für Mimosen, Orangen- und Zitronenbäume, das Klima hat es zum ‘kleinen Nizza des Hérault’ gemacht.“ Ohne Wein im Glas wäre ich wohl nie in dieses Dorf gekommen. Es liegt abseits, fast versteckt, dort, wo sich die Orb, die aus den Cevennen kommt, zwischen den Bergen durch das Tal zwängt, um fünfzig Kilometer weiter bei Béziers das Meer zu erreichen.

Roquebrun lebt vom Weinbau und vom „kleinen Tourismus“, von Wanderern, Kanuten, Familien, Naturliebenden, die hier absteigen und Stille, Wärme und Erholung suchen. „Gut französisches Essen, ausgezeichnete Lammkoteletts, Wein aus der Gegend, netter Service und alles nicht teuer“, hat ein Besucher ins Gästebuch von „Le Petit Nice“ geschrieben. Das Klima, aber sonst gar nichts, erinnert an den mondänen Badeort Nizza.

 

Das kleine Nizza (Foto: P. Züllig)

Hier ist man auf dem Land, wo eben auch Reben gedeihen, nicht nur exotische Früchte. Eigentlich kenne ich das Dorf – aus der Weinliteratur – schon seit längerer Zeit. Ich bin sogar ein- oder zweimal, auf Weinerkundungstouren im Haut-Languedoc, durch das Dorf gefahren, das sich wie angeklebt am Berg erhebt, fast immer Bewunderung auslöst, aber nicht das Bedürfnis anzuhalten. Das ist ein Fehler. Wein entsteht nicht nur im Weinberg und im Keller, er wird auch geprägt von der Kultur eines Dorfs oder Weilers, nicht nur vom Klima und dem Boden (hier vorwiegend Schiefer), sondern auch von den Menschen, die hier leben.

 

Sonnenerwärmt (Foto: P. Züllig)

Das Leben hier – zumindest im Dorfkern – ist nicht leicht. Unten an der engen Straße, durch die sich vor allem im Sommer der Touristenverkehr zwängt, gibt es ein paar Läden, viele alte Häuser, ein paar Restaurants (nicht viele), ein Bistro mit Tabakladen, ja sogar die Dorfschule und die Mairie (das Bürgermeisterhaus), darüber erheben sich die Häuser, dicht ineinander geschachtelt, eigentlich nur zu Fuß zu erreichen. Im Winter ist das Dorf fast ausgestorben, fast alle Lokale sind geschlossen. Wer zur Arbeit geht, ist auf den Feldern (Rebschnitt) oder „unten“, näher beim Meer, wo es mehr Verdienstmöglichkeiten gibt. Hier in Roquebrun warten die Menschen, bis der Kleintourismus für ein paar Monate zurückkehrt.

Dabei holt der Winter, dank der geschützten Lage – zumindest wenn der Wind nicht pfeift – und des Wärmespeichers des Gesteins, oft für ein paar Stunden den Frühling herbei. Nur der Lärm der Kettensägen, mit denen die Platanen bis auf wenige Äste zurückgestutzt werden, verrät, dass es eben doch noch Winter ist. Nicht nur vereinzelte Besucher – an einer Hand zu zählen –, auch die Hummeln an den Blüten wollen es nicht glauben.

Hier also entsteht der Wein von Roquebrun. Unten an der Straße steht auch der Cave, wo die Weine gemacht und vermarktet werden. Ein Genossenschaftskeller – einer von neun in der Appellation Saint-Chinian – wo zwei Drittel der Weine gekeltert werden, etwa 135.000 Hektoliter pro Jahr. In Roquebrun ist es vor allem die Genossenschaft, die den Wein des Dorfs bekannt gemacht hat, und nicht die wenigen Winzer, die hier selber keltern. Dies ist im nahen Faugères ganz anders, da sind es bekannte Namen und eigenwillige Winzer, die die besten Weine machen. In Roquebrun kann die Genossenschaft – übrigens wie im nahen Berlou – durchaus mithalten, ja, da entstehen sogar meist die besseren Weine als bei den Selbstkelterern der Region.

 

Rebberge von Roquebrun (Foto: P. Züllig)

Wer das kompakte Dorf und das von Bergen umschlossene Tal sieht, die Traditionen erahnt, die sich auch im Baustil offenbaren, auf dem erwärmten Schiefer wandert und die winterliche Sonne genießt, der kann leicht nachvollziehen, warum der Wein aus Roquebrun so und nicht anders ist: eigenwillig, persönlich, pendelnd zwischen bekannten Geschmacksmustern und außergewöhnlichen, markanten Aromen. Der Mourvèdre, eine eigenwillige alte Rebsorte – die langsam aus den Weinen des Languedoc verschwindet –, nimmt hier eine dominierende Stellung ein, meist mit einem Anteil von mehr als 20 Prozent, beim einem Wein (Sir de Roc Brun) sind es sogar 60 Prozent. Seit ich das Dorf erlebt habe – auch wenn es nur ein paar Stunden waren –, erlebe ich die Weine ganz anders, viel intensiver, viel authentischer, viel persönlicher. Aus dem Glas steigen das Dorf, das Tal, die Orb, die Brücke (auf die man stolz ist), die Menschen, das Klima – sie kommen zu mir, mit ihrem Wein.

Es geht mir nicht darum, den einen oder anderen der Weine hervorzuheben, auch nicht die eine Genossenschaft gegen die andere, den einen Winzer gegen den andern auszuspielen. Dieses Renommiergehabe verliert sich im Sternenhimmel des funkelnden Weins. Der kleine Stern am Firmament heißt zufällig Roquebrun, er könnte auch ganz anders heißen.

 

Der genossenschaftliche Cave (Foto: P. Züllig)

Er ist wie der kleine Astroid vom “Kleinen Prinzen” (Antoine de Saint-Exupéry), „der kaum größer ist als ein Haus“ und bedroht – nicht von drei Affenbäumen, sondern (wie viele kleine Wein-Astroiden) von den Moden der Weinliebhaber, den „edlen“ Rebsorten und Cuvées und dem weltweiten Markt, der immer schneller darauf reagiert. Für mich ist es deshalb wichtig, die kleinen Sterne am Weinfirmament oder die kleinen Astroiden zu suchen und zu besuchen, selber zu erleben, wie dort gelebt und gearbeitet wird, wie sich seit Jahrhunderten oder auch erst seit kurzem eine Kultur entwickelt oder verändert hat. Auch hier, wo, bildlich gesprochen „Fuchs und Hase einander gute Nacht sagen“, hat der meist zitierte Ausspruch des Fuchses beim “Kleinen Prinzen” seine Gültigkeit: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Weniger pathetisch formuliert: Das Funkeln im Weinglas, das mich immer wieder auf Reisen schickt, führt schneller zum Wesen eines Weins als das, was ich unter den Stichworten Auge, Nase, Gaumen notiere, auch wenn es noch so analytisch ergründet und prägnant formuliert ist. Man kann eben nicht alles sehen, riechen und schmecken, aber vieles kann man erleben. Auch ein kleines Dorf, in dem Wein gemacht wird.

Herzlich
Euer/Ihr

Mehr verwandte Stories

Alle anzeigen
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr
Mehr

Veranstaltungen in Ihrer Nähe

PREMIUM PARTNER