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Eigentlich bin ich damit beschäftigt, im Roman „Der Turm“ von Uwe Tellkamp, auf fast tausend Seiten, ein Stück „Weltgeschichte“ besser verstehen zu lernen: den „Untergang“ der DDR. Doch da hat mir eine Freundin ein kleines, schwarzes Büchlein – etwas über zweihundert Seiten – in die Hand gedrückt: „Bitterer Abgang in Maienfeld“ von Markus Matzner. Ein Kriminalroman. Der Autor ist kein Literat, seine Sprache ist einfach, direkt, schnörkellos, journalistisch. Markus Matzner ist ein Berufskollege – Journalist –, als junger Reporter war er einst in meinem Team im Fernsehen. Er kennt das Metier der Journalisten; er kennt aber auch die Welt des Weins. Vor ein paar Jahren schon hat er ein Weinbuch verfasst: „Zapfen ab“. Jetzt versucht er es mit einem Krimi, der in einem bekannten Schweizer „Weindorf“ spielt.

Markus Matzners Kriminalroman zeichnet die Stimmung in einem Winzerdorf

Ich verlasse also die deutsche Geschichte, kehre für kurze Zeit in das mir vertrautere Winzermilieu der Schweiz zurück. Unterbrechung der großen Politik, Rückkehr zum Lokalkolorit. Vom Autor wird zu Beginn festgehalten: „Alle Vorgänge in diesem Roman sind frei erfunden ….. einzig und allein der Phantasie des Autors entsprungen und ohne Bezug zu wirklichen Personen.“
Reine Phantasie? Oder doch ein Stück Wirklichkeit? Das weckt mein Interesse, denn genau in diesem Dorf, in dieser Weingegend, stehe ich jeden Herbst in den Reben, um die Lese einzubringen. Hauptsächlich Blauburgunder, genau wie es im Roman beschrieben ist. „Überall wimmelt es von fleißigen Helfern, die sich durchs Rebenmeer arbeiten und jeden Weinstock abernten. Die faulen Beeren weggeschnitten und die guten in die Transport-Behälter gelegt…..“ So kenne ich die Arbeit, und sie gleicht sich in allen Weingebieten der Welt, jedenfalls dort, wo noch von Hand geerntet wird.

Die Weinlese in der Bündner Herrschaft heißt „Wimmlen“% der Weinberg „Wingert“ und der Weinkeller „Torkel“

Der Winzerkrimi in einem berühmten Dorf in der „Bündner Herrschaft“ ist wohl doch mehr als bloß das Hirngespinst eines weinverliebten Autors. Es ist die minutiöse Schilderung einer Welt, die es gibt in der Schweiz. Eher verborgen, verstrickt in den Alltag, in der Regel ganz ohne kriminalistische Attitüden, ohne offenkundigen Betrug oder gar Mord. Es ist eben die Welt eines kleinen Schweizerdorfs, das für seine Weine berühmt ist. Noch viel berühmter aber als Schauplatz eines Klassikers der Kinderliteratur: «Heidis Lehr- und Wanderjahre», geschrieben 1879 von der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri: „Vom freundlichen Dorfe Mayenfeld führt ein Fussweg durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fusse der Höhen, die von dieser Seite gross und ernst auf das Thal herniederschauen. Wo der Fussweg zu steigen anfängt, beginnt bald Heideland mit dem kurzen Gras und den kräftigen Bergkräutern dem Kommenden entgegenzuduften, denn der Fussweg geht steil und direkt zu den Alpen hinauf.“ So beginnt die inzwischen in rund 50 Sprachen übersetzte Heidi-Geschichte.

Weinlese in Maienfeld. Im Hintergrund Schloss Salenegg

„Heideland“ – oder eben „Heidiland“ liegt weit oben, in den Bergen, wo im Sommer das Vieh weidet, wo es keine Rebe gibt. Tatsächlich kommt im berühmten „Entwicklungsroman“ von Johanna Spyri das Wort Reben oder gar Wein nie vor; sie werden ausgeblendet aus der Realität, obwohl schon vor hundertdreißig Jahren in der Gegend, vor allem in den vier Dörfern der „Bündner Herrschaft“ Weinbau betrieben wurde. Der Überlieferung nach soll die Traube des Blauburgunders im 17. Jahrhundert vom bretonischen Marschall Henri de Rohan aus dem französischen Burgund nach Graubünden in die Schweiz gebracht worden sein. Doch schon viel früher, urkundlich erstmals 1068 erwähnt, wurden auf Schloss Salenegg im angeblich ältesten Weingut Europas bereits „herrschaftliche“ Weine angebaut und gekeltert.

Schloss Salenegg% ältestes Weingut Europas

Die „Bündner Herrschaft“ ist kein Verwaltungsbezirk, keine politisch definierte Institution, nicht einmal eine Weinappellation. Und doch ist es das berühmteste Weinanbaugebiet der Deutschschweiz, die Wiege des Schweizer Pinot. Es sind vier selbständige Gemeinden, in denen etwa 300 Winzer an die 350 Hektaren Reben bewirtschaften, davon 70 Prozent Blauburgunder (Pinot Noir). In Maienfeld, dem „Hauptort“ der „Herrschaft“, geschehen nun seltsame Dinge, allerdings nur im Kriminalroman. Das Dorf wird von „Plagen“ heimgesucht, nur drei von den zehn biblischen, doch dies genügt, um im Dorf einen Kriminaltango zu inszenieren. Dieser „Tango“ ist es, der mich fasziniert, nicht die Jagd nach dem Bösewicht. Für einmal wird in einem Roman ein Milieu gezeichnet, das - zwar nicht in bezug auf die Geschichte als vielmehr in der Atmosphäre - beim Alltag der Bewohner, im Neben- und Miteinander der Winzer verblüffend echt ist. Da wird ein Stück aktueller Weinbau in der Schweiz recht präzis beschrieben und für jeden erlebbar gemacht. Liebe, Intrige und Mord sind nur Beigaben, um all das attraktiver zu machen, was wir im Alltag gar nicht mehr wahrnehmen oder so gerne übersehen.

Bündner Herrschaft% über dem noch jungen Rhein% zu Füssen der Berge.

Der Abstecher von Dresden - wo Tellkamps „Turm“ ein morbides Milieu zeichnet - ins 2‘500-Seelendorf, wo man mit Matzner guten, aber auch schlitzohrigen Winzern begegnet, hat sich gelohnt. In der Fiktion liegt oft mehr Wirklichkeit, als in vielen Beschreibungen, welche versuchen, die Wirklichkeit festzuhalten. Alles, was nicht ins schöne, stimmige Bild passt, kann man dann getrost den Hirngespinsten der Autoren zuordnen.

Herzlich

Ihr/Euer

Peter (Züllig)

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