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Der stationäre Weinfachhandel verliert seit Jahren Marktanteile. Spezialisierte Online-Handelsketten, Supermärkte mit attraktiven Weinabteilungen und aggressive Discounter machen ihm das Überleben schwer. Zudem kaufen immer weniger Kunden beim Winzer ab Hof. Mit dem Marketing-Experten Diego Weber hat Raffaella Usai über die Zukunft des Weinhandels gesprochen.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Kaufverhalten der Weinfreunde radikal verändert. Die vom Deutschen Weininstitut (DWI) veröffentlichten Statistiken von Nielsen aus 2020 zeigen: Die deutschen Konsumenten kaufen zwei Drittel ihres Weins im Discounter (39%) oder im LEH (27%). Daneben zieht der Online-Handel mit Wein seit der Corona-Pandemie massiv an. So wurden inzwischen neun Prozent aller Weineinkäufe 2020 übers Internet getätigt - zu acht Prozent bei reinen Online-Handelsketten, Amazon sowie Winzern mit eigenem Shop. Die großen Verlierer der Branche sind dagegen die Fachhändler vor Ort: Nur noch fünf Prozent des Verkaufs gingen im vergangenen Jahr beim klassischen Weinfachhandel über die Ladentheke. Schon vor Corona zeichneten sich diese Trends ab - und wurden mit der Pandemie nun deutlich beschleunigt. Eine Rückkehr zu alten Gewohnheiten ist daher unwahrscheinlich.

Das stellt viele stationäre Händler und Weingüter vor Herausforderungen: Denn der Markt für alkoholische Getränke insgesamt verzeichnet seit vielen Jahren keinerlei Wachstum mehr. In der Branche tobt ein Verdrängungswettbewerb - legen die Online-Händler zu, wird woanders weniger verkauft. Dazu geben die deutschen Verbraucher immer weniger Geld für Wein und Sekt aus: Das belegen Umfragen des Marktforschungsinstituts GfK, die das DWI in Auftrag gegeben hat. Während der Gesamtumsatz an alkoholischen Getränken zwischen 2015 und 2019 stabil bei rund 13,5 Milliarden Euro geblieben ist, fiel der Anteil für Wein und Sekt am Umsatz von 43 Prozent auf 40,4 Prozent. Was leicht zu erklären ist: Der Großteil aller Weine wird über den Discounter zu extrem niedrigen Preisen verkauft. Gestiegen hingegen sind die Ausgaben für Spirituosen und Bier. Dies spiegelt einen weiteren T​​rend wider: Wein verliert vor allem bei Konsumenten zwischen 18 und 34 Jahren deutlich an Attraktivität zugunsten anderer alkoholischer Getränke. Diesen Trend belegen drastische Zahlen aus Großbritannien: Vor zehn Jahren lag dort der Anteil der Personen dieser Altersgruppe, die regelmäßig Wein tranken, bei etwa 50 Prozent. Ende 2020 waren es nur noch 24 Prozent. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in Deutschland und Österreich belegen. 

Direktverkauf rückläufig oder ausbaufähig?

Doch was bedeutet das für Winzer und Händler? Wie können sie in Zukunft überleben? Antworten kennt der Weinmarketing-Profi Diego Weber. Er ist die Stimme hinter dem Podcast „Wein verkauft!“ und berät Weingüter bei Marketing und Verkauf. Weber sagt überzeugt: „Der Weinhandel der Zukunft wird noch wesentlich mehr online stattfinden. Da stehen wir noch am Anfang. Der große Vorteil des Internets ist, dass man mit unzähligen Menschen gleichzeitig in Kontakt treten kann. Vor allem Winzer müssen lernen, dass sie Reichweite aufbauen und diese zum Direktverkauf nutzen können. Der neue Ab-Hof-Verkauf ist das Internet.” Weber weist darauf hin, dass sich künftig noch weniger Konsumenten als heute den Kofferraum beim Winzer vollladen werden. Laut den GfK-Zahlen werden nur noch 12 Prozent der Weine beim Winzer ab Hof verkauft - vor 20 Jahren lag dieser Wert um ein Vielfaches höher.

Untermauert wird Webers Aussage von Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE). Laut dessen Zahlen stieg der Online-Umsatz mit Lebensmitteln sowie Produkten des täglichen Bedarfs im Jahr 2020 um 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 7,5 Milliarden Euro. Dabei stieg der Anteil der Warengruppe Wein und Sekt von 6,2 auf aktuell 9,3 Prozent. Das ergibt eine Steigerung von satten 50 Prozentpunkten. Alle Trendforscher sind sich einig: Diese Zuwächse werden sich in den kommenden Jahren fortsetzen.

Der neue Ab-Hof-Verkauf ist das Internet.

Damit sich Winzer ein Stück vom Internet-Kuchen abschneiden können, brauchen sie einen eigenen Online-Shop. Nur so könnten sie sich die große Marge sichern, die sie sonst an Online-Händler abgeben müssten, betont Weber. „Viele kleinere Betriebe haben nämlich gar keine Preiskalkulation, mit der sie den großen Handelsstrukturen im Online-Geschäft begegnen können. Und einfach die Preise anheben, das können sich weniger bekannte Weingüter nicht leisten”, erklärt Weber das Dilemma, in dem viele Weingüter stecken.

Das Verkosten vor Ort fällt beim Kauf im Internet weg. Was können Winzer tun, um dies auszugleichen? „Man kann etwa Kennenlern-Pakete mit sechs oder zwölf verschiedenen Weinen für Erstbesteller anbieten. Dieses Problem haben aber auch alle Händler, die Weine online verkaufen“, gibt Diego Weber zu. Hier könne Influencer-Marketing helfen. Denn vertrauenswürdige Menschen, die Empfehlungen für Weine aussprechen, werden immer wichtiger. Aber bevor Winzer ins Instagram-Marketing einsteigen, müssten sie wirklich verstehen, was sie tun - und ihre Alleinstellungsmerkmale kennen. “Sie dürfen nicht das Pferd von hinten aufzäumen“, betont Weber.

Ist der Fachhandel ein Auslaufmodell?

Alle Winzer und Händler wissen, dass ihre Kunden auch woanders Wein kaufen. Doch ob sie das im Fachhandel oder im Discounter tun - wer weiß das schon? “Die wahre Konkurrenz ist nicht das Weingut von nebenan, sondern Aldi“, erklärt Diego Weber. Damit werde die Pflege persönlicher Kontakte der Fachhändler zu den Kunden immer wichtiger - auch, wenn der Trend ins Netz weise. Aber hat der klassische Fachhandel in der aktuellen Entwicklung immer das Nachsehen? Nein, sagt Diego Weber. „Der Besuch beim Fachhändler muss etwas Außergewöhnliches bieten und zum Erlebnis werden. Verkostungen, Seminare, Weinbars: Der Kunde findet dort etwas, was er sonst nirgendwo findet. Nur damit hat der stationäre Händler künftig eine Daseinsberechtigung.“ Auch wenn es darum gehe, besondere Weine fernab des Mainstreams zu kaufen, habe der auf Nischenweine fokussierte Fachhändler weiter gute Chancen.

Sich von der Masse abzuheben, ist unverzichtbar.

Denn das schlagende Argument des Online-Handels ist vor allem der Preis. Die großen Web-Händler kaufen Mengen ein, die der kleine Fachhändler um die Ecke niemals abnehmen kann. Mit schlanker Logistik kann die Ware online zu günstigen, oft unschlagbaren Preisen angeboten werden - oft sogar ohne Versandkosten. Konkurrieren die beiden Verkaufskanäle mit demselben Produkt, zieht der Fachhändler dabei den Kürzeren. Deshalb heißt es, sich von der Masse abzuheben, sich extrem zu spezialisieren. „Wer ein bisschen von allem anbietet, hat künftig schlechte Karten“, sagt Diego Weber.

Doch beim Thema Wein schätzen andere Menschen den persönlichen Kontakt sehr, daher ziehen viele Kunden das Einkaufserlebnis im Laden der emotionslosen Internetbestellung vor. Wein ist für viele kein schlichtes Konsumgut. Die Möglichkeit, vor Ort mit dem Verkäufer zu fachsimpeln und sich zu informieren, ist ein klarer Vorteil für den Fachhandel.

Das größte Plus der klassischen Weinhändler sei aber die Chance, die Kunden verkosten zu lassen. Das bietet vor allem weniger informierten Weinliebhabern die Gelegenheit, sich nicht nur online, sondern direkt und mit dem Gaumen mit der Materie zu beschäftigen. Dies erzeugt bei ihm einen völlig anderen Reiz als nur die Beschreibung im Netz.

Viele Fachhändler haben in den vergangenen Jahren neben ihrem Geschäft auch einen Online-Shop aufgebaut, in vielen Fällen eher improvisiert und aus der Not heraus geboren. Das Sprichwort „Schuster bleib bei deinen Leisten“ gilt aber auch in der Weinbranche. Weiß der Fachhändler, seine Stärken zu nutzen, wird er nicht um seine Existenz bangen müssen. Versucht er, den Online-Shop zu imitieren und zweigleisig zu fahren, könnte der Schuss nach hinten losgehen. Denn beide Formen erfordern spezifische Professionalität, Kapital - und sehr viel Zeitaufwand.

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