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Es ist bei weitem nicht die einzige Weinstraße in der guten „alten Weinwelt“. Es gibt sie fast überall, wo Reben wachsen, Winzer wohnen und ihre Weine anbieten. Doch kaum eine andere Weinstraße ist so kompakt und einheitlich, so faszinierend und ursprünglich wie der fast 170 Kilometer lange Zickzack-Parcours durch das Elsass. Es ist eine Welt für sich: „Awer d Elsasser sìn stolz ìwer ìhra Region un gann sìch zwàr Miahj fer ìmmer prima Frànzeesch z'reda“, historisch hin und her gerissen zwischen Deutschland und Frankreich, voll von Traditionen, vielen kleinen Weinstädtchen und Weindörfern und mehr als hundert Weinbaugemeinden. In den engen Gassen zwischen den Fachwerkhäusern wähnt man sich oft im Mittelalter, wäre da nicht der Touristenstrom, der sich wie eine Lawine über so manche Orte ergießt und vieles, das eigentlich Kultur oder Kulturgeschichte wäre, rasch und gründlich in ein Disneyland wandelt. Selbst Käthe Wohlfahrt, die „Rothenburger Weihnachtswerkstatt“, hat sich hier eingenistet.

Die Weihnachtswelt von Käthe Wohlfahrt in Ribeauvillé (Foto: P. Züllig)

Eine ganze Reihe von Dörfern buhlt um die Ehre, der schönste Winzerort zu sein: Obernai, Ottrott, Barr, Andlau, St-Hyppolyte, Bergheim, Ribeauvillé, Riquewihr, Turckheim, Gueberschwihr, Pfaffenheim, Rouffach... Die einen streiten um den Ruhm, den schönsten Kirchturm zu haben, andere um die Ehre, das älteste Weindorf zu sein, den schönsten Marktplatz, das älteste Steinhaus oder den bizarrsten Brunnen präsentieren zu können. All das Kokettieren – und die damit verbundene touristische Vermarktung – kann der Schönheit der Dörfer und Städtchen – vor allem aber der Landschaft – wenig Abbruch tun. Die Einmaligkeit der weiten, geschlossenen Rebberge, in die viele Orte geradezu eingebettet sind, die kulturellen Besonderheiten, angefangen von dem (leider aussterbenden) Dialekt über die Verehrung des großen Humanisten Albert Schweizer bis zur Verrücktheit einer mittelalterlichen Burg, die zu Beginn des 20. Jahrhundert erbaut wurde (Haut-Kœnigsbourg), vom wohl legendärsten Auto Europas (Bugatti) bis hin zu kulinarischen Spezialitäten wie Choucroute, Guglhupf oder Baeckeoffe, all das – fast schon zusammengepresst auf kleinstem Raum (8.280 km²) – prägt das Elsass. Dabei haben die europäischen Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs hier besonders tiefe Spuren hinterlassen. Der Hartmannswillerkopf und das Schlachtfeld von Linge, zwei der vielen Kampfgebiete im Ersten Weltkrieg, sind heute nationale Gedenkstätten, traurige Andenken an die weit über 30.000 Soldaten, die hier im Krieg gefallen sind.

Schlachtfeld Linge% Kriegsgedenkstätte (Foto: P. Züllig)

Man kann das Elsass nicht auf die alten Fachwerkhäuser, das gute Essen, den vorzüglichen Wein und die faszinierenden Rebberge reduzieren, da gibt es mehr, noch viel mehr, auch eine wechselvolle Historie. Und doch ist man versucht es zu tun. Man pilgert ins Alsace, aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Frankreich, ja, aus der ganzen Welt, um hier gut zu Essen und zu trinken. In einem Satz zusammengefasst: Gut Essen und „Wein trinken an schönen Orten“, da steht das Elsass ganz vorne an.

Auf meiner Reise habe ich zwar nicht ganz auf den kulinarischen Genuss „an schönen Orten“ verzichtet. Doch mir war – dieses eine Mal – die Landschaft mit ihrem Heer von Reben weit wichtiger als Essen und Trinken. Ich wollte ganz nahe sein, spüren, erleben, riechen, sehen, wie und wo der elsässische Wein seine Wurzeln hat. Deshalb verzichtete ich weitgehend auf Winzerbesuche und Degustationen. Das vor kurzem erschienene Buch von Wolfgang Fassbender, „Elsass: Entlang der Weinstraße (Weine, Winzer, Lagen, Spezialitäten)“ ist eine ausgezeichnete Dokumentation, die ich nicht neu zu erfinden habe. Das Buch hat mich hat mich aber dazu verleitet, einmal weniger die Weine als vielmehr die Landschaft zu erkunden. Schon viele tausend Kilometer „Weinstraßen“ bin ich abgefahren – in den berühmtesten Weinlagen der Welt, nicht nur in Europa, auch in Australien, Kalifornien, Südafrika und sogar China –, doch noch nie habe ich ein kompakteres, faszinierenderes Rebenpanorama erlebt wie hier im Elsass.

Reben an der Weinstraße. Ein ähnliches Bild bietet sich über fast 100 Kilometer% von Weindorf zu Weindorf% von Burg zu Burg. (Foto: P. Züllig)

In der Landschaft wird Wein konkret, da wird Wein zurückgesetzt in die Natur, dorthin, von wo der Rebsaft gekommen ist. Die paar leuchtend weißen Buchstaben in den berühmtesten Lagen stören mehr, als dass sie erklären. Sie erinnern bestenfalls daran, dass Weinqualität nicht nur durch Menschen gemacht und bestimmt wird, sondern auch durch die Lagen, durch die Natur, durch das, was wir oft so lieblos „Terroir“ nennen. Gerade weil viele Dörfer inmitten der Reben wie Oasen aus dem Mittelalter anmuten, weil die Industrie weitgehend im Tal geblieben ist und sich nicht die Hänge hinauf gefressen hat, weil das historische Bewusstsein (und die touristische Vermarktung der Idylle) allzu große Kulturschäden verhindert hat, ist das Weingebiet ein Weingebiet geblieben und nicht zu einer Weinproduktionsstätte (mit riesigen Anbauflächen und pompösen Kellern) geworden. Man ist und fühlt sich hier beim Wein zu Hause.

Pfingstberg% Grand-Cru-Lage in Orschwihr mit Riesling% Gewürztraminer und Pinot Gris (Foto: P. Züllig)

„Noch nie war der Wein aus dem Elsass so gut wie heute. Es wäre nicht nur schade, es wäre ein großer Fehler, das Elsass links liegen zu lassen. Eine Entdeckungsreise nach Colmar oder Guebwiller, nach Ammerschwihr oder Barr lohnt gerade jetzt mehr denn je.“ So wird Wolfgang Fassbenders Weinbuch beworben. Es stimmt, aber ich weiß nicht, warum es sich gerade „jetzt mehr denn je“ lohnt. Weil die Weine besser geworden sind? Mag sein, doch der Fortschritt im Weinbau und die Qualitätssteigerung der Weine sind weltweit festzustellen. Weil die Gefahr besteht, dass die dominierende Weinprägung im Elsass allmählich verloren geht, zugunsten eines überbordenden Kulinar-Tourismus? Anzeichen dafür sind vorhanden, Traditionelles wird immer mehr zur Folklore, auch der Wein. Da steht zwar noch ein Brunnen aus der Renaissance, aus dem einmal im Jahr Wein statt Wasser fließt (Fontaine du Vin in Ribeauvillé) – einst war das in vielen historischen Weingebieten ein alljährliches Geschenk der Weinbauern an die ärmere Bevölkerung –, doch diesen „Massenwein“ will heute niemand mehr trinken. Auch der Weinbrunnen ist zur Folklore geworden.

Fontaine du Vin% der Weinbrunnen in Ribeauvillé (Foto: P. Züllig)

Doch etwas ist über all die Zeit echt und ursprünglich geblieben: die Reben an den Hängen und auf den sanften Hügeln, vielleicht etwas gepflegter, adretter als einst. Sie überragen das geschäftige Tun in den vielbesuchten Dörfern, wo man die Einheimischen bereits suchen muss. Die Rebberge sind Zeugen einer Kultur, die keine Folklore braucht, um attraktiv zu sein. Vielleicht hat sich das traditionelle Bild des Winzers und der Winzerbetriebe gerade deshalb so gut erhalten (trotz aller Modernisierung), weil die 15.000 Hektar Rebland von mehr als 4.500 Winzern bewirtschaftet werden, viele davon (weit mehr als die Hälfte) besitzen nur zwei oder gar weniger Hektar Reben. Auch wenn es durchaus größere Betriebe gibt, so ist diese extreme Kleinteiligkeit wohl ein Garant für die Tradition und ihre Erhaltung. Nie habe ich so oft auf einer Weinstraße angehalten, noch nie bin ich so lange durch die Reihen der Rebstöcke gegangen, um die Schönheit der gepflegten bewirtschafteten Natur aufzunehmen. Das ist mehr als Landwirtschaft, das ist Landkultur.

Herzlich
Ihr/Euer

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