Marseille ist das blau gerahmte Portal zum Orient mit großem Herz für Vielfalt. Anke Sademann zeigt uns in der südfranzösischen Hafenstadt ihre besten Adressen für Weinfans: Von einfach über lässig bis ausgeklügelt.
Marseille ist der Schmelztiegel an der südlichsten Bordüre Frankreichs und strotzt vor Energie, Laissez-faire und einer charmanten, wenn auch nicht eben leisen Diversität. Als Europäische Kulturhauptstadt 2013 hat sich die älteste und nach Paris zweitgrößte Stadt Frankreichs zu einem Hotspot der Gastronomie und des Weins entwickelt. Dabei hat die Stadt einige Trends anderer Metropolen übernommen, ohne ihre grob gebürstete, aber niemals glatt gekämmte Identität zu verlieren. In ihrer welt- und meeroffenen Lage vermischen sich Einflüsse aus dem Maghreb, aus Armenien, Italien und sogar Portugal zu einer neuen, mediterranen Cuvée. Dabei hat auch der Weingenuss seit einigen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen.
Die Treue zu den Weinen von der Rhône und aus der Provence ist hier groß – und das nicht nur beim typischen Rosé. Zugleich genießt man in der heißen Stadt zur Abkühlung gerne mineralische Weißweine von der Loire oder würzige Rote aus dem nahen Korsika. Beide passen bestens zu Tapenade mit Panisses, der Paste aus Oliven, zu frittiertem Kichererbsen-Fladenbrot, zu Meeresfrüchten und zu gegrilltem Fisch. Rund um den „Vieux Port”, dem alten Hafen, befinden sich die ikonischsten Weinadressen Marseilles. Hier startet unser Wine Flight. Oft mit doppeltem Genuss: Im „Les Lumières“ etwa gibt es beispielsweise vor dem ersten Schluck Naturwein auch einen hervorragenden Espresso. Das lichtdurchflutete Lokal ist zugleich Café, Bistro und Weinbar.
Anke Sademann
Von der Hafenpromenade geht es durch die Viertel Noailles und Saint-Victor sowie das älteste Handwerker-Quartier Le Panier hinauf zur abfallenden Shoppingmeile Canebière und danach entlang der Uferstraße Corniche. Das Künstler- und Marktviertel Cours Julien gilt als eines der entspanntesten Quartiere der Stadt. Ganz oben bietet die alles überragende Wallfahrtsbasilika Notre-Dame de la Garde eine grandiose Rundum-Aussicht.
Kulinarisch pendelt Marseille zwischen Land und Meer: In der ausgeklügelten Einfachheit liegt der Geschmack des Mittelmeers. Die Auswahl reicht von Tapas und Streetfood über frische Biomarktküche, neue Sandwich-Kreationen und günstige Fischsuppe bis hin zum kulinarischen Wahrzeichen: die Bouillabaisse. Weinfans stillen ihre Neugier in den vielen neu entstandenen Wein-Locations. Viele spezialisierte Weinläden, über die Stadt verstreute, hippe Mini-Weinbars sowie weinaffine Restaurants bieten Genuss mit viel Kreativität und Persönlichkeit. Ungefiltert und sehr lässig sind dabei nicht nur die Weine, sondern auch die Atmosphäre.

Anke Sademann
114 Bd de la Corderie, 13007 Marseille
Viertel: Saint-Victor, Nähe Vieux-Port
Di bis Sa 19 – 1 Uhr
Im L’Abri wird nicht nur Bio-Naturwein sowie Craft Beer aus Traubenmost getrunken, sondern auch produziert. In einer ehemaligen Seilerei verarbeitet Stadtwinzer Franck Pasquier seine Trauben aus der nahen Appellation Aix-en-Provence und pflegt Kooperationen mit Winzern aus ganz Frankreich. Im „Chai urbain” entstehen spontan vergorene Weine, die in Edelstahl und Amphoren reifen. Die weißen Cuvées fließen ungeklärt und unfiltriert ins Glas, sie schmecken trocken und mineralisch. Die roten Weine sind leicht und fruchtig. Im Gastraum und auf der Terrasse pflegen Restaurantleiterin Xuân Iam und Küchenchef Pierre Meynet den Dreiklang des Savoir-vivre à la marseillaise: urbane Vinifikation, lässige Küstenküche mit Ecotable-Siegel und herzliche Geselligkeit. Nicht zu vergessen: der imposante Blick in Francks gläserne Weinwerkstatt.
Anke Sademann
59 rue Grignan, 13006 Marseille
Viertel: Nähe zum Vieux Port
Di – Fr 10 – 20 Uhr, Sa 10 – 19 Uhr
Lunch: Mo bis Fr 12 –14 Uhr
Der „Chicoulon“ ist der gute letzte Schluck Wein nach dem Dinner. Édouard Mireur hat den Namen von seiner Großmutter übernommen und bietet in seinem Laden rund 800 „Herzensweinpositionen“ – vorwiegend aus Frankreich, aber auch aus Italien und Österreich. Nur Weine, die ihm selbst schmecken, kommen ins Regal, egal, ob sie konventionell, bio oder naturbelassen sind. Einmal im Monat steht ein Winzer im Fokus, dessen Weine Mireur mit Degustationen vorstellt. An Wochentagen serviert Küchenchef Leo Bireaud mittags im überdachten Hof dazu ein täglich wechselndes Drei-Gang-Menü aus lokalen, saisonalen Produkten.
Anke Sademann
47 Rue d'Endoume, 13007 Marseille
Viertel: Saint-Victor / Endoume
Mi – Fr 17 – 23 Uhr, Sa und So 10.30 – 12.30 Uhr, 17 – 23 Uhr
Die ehemalige Sommelière Nominoé Guillebot arbeitete bereits in Paris und London. In ihrer kleinen „Cave & Dégustation” schenkt sie nun ausschließlich Naturweine aus: Mini-Cuvées, alte Reben und vergessene Sorten direkt von kleinen Weingütern ohne Zwischenhändler. Dank strenger Temperaturführung im begehbaren Weinschrank und gekühltem Transport kommen die sensiblen Weine so ins Glas, wie die Winzer es erwarten. Viele Weine gibt es zudem glasweise zu fairen Preisen. Dazu serviert Nominoé lässige Teller zum Teilen oder auf Wunsch auch Pizza aus der Bar nebenan. Eine kleine Enklave des ungezwungenen Genusses im umtriebigen Quartier.
Anke Sademann
50 Cours Julien, 13006 Marseille
Viertel: Cours Julien
Di bis Sa 11 bis 15 Uhr, 18 Uhr bis 24 Uhr
Seit elf Jahren kocht der gebürtige Togoer Gérard Habib in einem früheren Bananenlager im Künstlerviertel Cours Julien. Die rund 2.600 m² große Fläche des ehemaligen nationalen Markts von Marseille brachte einst Produkte aus Frankreich, Nantes und dem Maghreb in die Stadt. Heute spiegelt Gérard dieses multikulturelle Flair in seiner Küche wider. Gemeinsam mit der Gastronomin Hélène Morisset zelebriert er eine radikal frische Marktküche. Die Aromen des Bio-Wochenmarkts kommen auf den Teller: Der direkte Draht zu kleinen Winzern macht eine regionale Weinbegleitung möglich. Hier kommen Provence und Rhône mit viel Bio und Biodynamie ins Glas. Aus persönlicher Nostalgie findet sich auch Bordeaux auf der Karte, Naturweine werden mit Fingerspitzengefühl ausgeschenkt. Der Weinkeller dient zugleich als Galerie und Kulturort mit Themenführungen und Wein-Workshops.
Anke Sademann
2 rue Vauvenargues, 13007 Marseille
Viertel: Jardin des Colonnes, Puget-Hügel
Mo – Fr mittags bis abends
Vor fünf Jahren öffnete das Sépia im Jardin des Colonnes auf dem Gelände eines ehemaligen Imbisses mit Blick auf die Bucht von Marseille. Die Köche Paul Langlère und Xavier Sabata servieren „entre terre et mer“: saisonale und saucenstarke Gerichte wie gefüllter Tintenfisch, Maigre mit Kokos, Shiitake und Zitronenbouillon sowie Lamm-Schulterröllchen. Sommelier Antoni Audron hält den Weinkompass: Provence, Rhône, Korsika, Loire, punktuell Italien, Katalonien und Österreich. Viele Weine werden glasweise angeboten und sind auf die Gerichte abgestimmt. Es ist ein Ort, an dem kulinarisches Handwerk, guter Wein und die spektakuläre Aussicht über das steinerne Stadt-Meer bis zum blauen Horizont zusammenkommen.
Anke Sademann
12, Quai du Port, 13002 Marseille
Viertel: Vieux Port
Di bis So 12 – 14.30 Uhr, 19 bis 22.30 Uhr
Seit 1965 ist das Le Miramar eine Institution am Alten Hafen. Der hochdekorierte Küchenchef Christian Buffa serviert die „wahre” Bouillabaisse in zwei Akten: Zunächst kommt die Safran-Fischsuppe mit Knoblauch-Croutons und Sauce Rouille, anschließend werden Fels- und Edelfische am Tisch filetiert und mit Kartoffeln serviert. So wurde aus einem einfachen Fischgericht die Königin von Marseille – Kult und Handwerk in Perfektion. Die Weinkarte umfasst über 300 Positionen mit Schwerpunkt Provence und Rhône. Ein Klassiker, der Marseille im Glas und auf dem Teller auf den Punkt bringt.
Anke Sademann
5, Rue de la Tour in 13001 Marseille
Viertel: Opéra/Vieux-Port
Mo bis Sa 11 bis 17 Uhr
Bei „Pain à l’Ail” packen Linda und Hervé Vila Palleja, ein energiegeladenes Ehepaar mit tunesisch-katalanischen Wurzeln, provenzalische Klassiker ins Baguette. Auf der Karte stehen drei feste und wechselnde Sandwich-Kreationen: „Aïoli” mit Tagesfisch wie Kabeljau, serviert mit Knoblauchsauce und Kartoffeln, „Daube” mit Rindfleisch und Polenta sowie „Bouillabaisse” als Street-Food-Sandwich. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist top, die Zutaten sind streng lokal, sehr frisch und werden freundlich serviert. Dazu gibt glasweise unkomplizierte Provence-Weine – Street Food mit Herz samt Provence-Bioweinen, die jeden Tag passen. Die Sandwiches gibt’s zum Mitnehmen oder direkt im quirligen kleinen Laden sowie auf der Terrasse in einer Seitenstraße. Nahbar, ehrlich, typisch Marseille mit übersichtlicher Auswahl.