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Giovanni Bigot aus dem Friaul ist Experte für biologischen Weinbau, er berät Weingüter und Verbände in Italien und anderen Ländern. Der Agronom hat eine innovative Methode entwickelt, mit der sich das qualitative Potential eines Weinbergs mit einer Smartphone-App messen lässt: den “Bigot-Index”.

Was genau muss man sich unter dem Bigot-Index vorstellen?

Giovanni Bigot: Der Index gibt Winzern die Chance, ihre Weinberge objektiv zu bewerten. Er basiert auf neun international anerkannten agronomischen Faktoren, die die Traubenqualität beeinflussen. Bisher wurden diese einzelnen Aspekte jeweils separat betrachtet. Der Index berücksichtigt alle zugleich. Das ist neu. Er zeigt dem Winzer präzise, wo noch Luft nach oben ist. Durch entsprechende Arbeiten im Weinberg lässt sich die Qualität des späteren Weins so mitunter verbessern. Die Bewertungsskala reicht von 0 bis 100 Punkten.

Welche Faktoren sind das und wie werden sie gemessen?

Giovanni Bigot: Die neun Parameter sind: Stock-Ertrag, Laubwand-Oberfläche, Verhältnis zwischen Laubwand-Oberfläche und Stock-Ertrag, Traubengesundheit, Trauben-Morphologie - also wie lockerbeerig oder kompakt die Trauben sind -, Wasserstress, Wüchsigkeit, Biodiversität und schließlich das Weinbergsalter. Gemessen werden die einzelnen Faktoren vom Winzer selbst und die Werte in die von mir entwickelte Monitoring-App “4Grapes” eingetragen. Diese Eingaben sind einfach und schnell zu machen, und sie liefern zuverlässige Ergebnisse. Sind alle Daten erhoben, werden sie an meine Kollegen und mich übermittelt. Wir berechnen daraus den Index.

Die Monitoring-App “4 Grapes”: schnell, einfach, zuverlässig

Wie funktioniert die Arbeit mit der App?

Giovanni Bigot: Nachdem die App installiert ist, sollte man sich das Handbuch und die kurzen Video-Tutorials zur Messung der einzelnen Faktoren ansehen. Leider ist heutzutage kaum noch jemand in der Lage, die Beobachtungen im Weinberg richtig durchzuführen, da herrscht großer Nachholbedarf. Die App kann aber von mehreren Mitarbeitern eines Weinguts gleichzeitig genutzt werden, die Daten werden in Echtzeit synchronisiert. Das ist vor allem in größeren Betrieben von Vorteil, in denen sich mehrere Personen um die Weinberge kümmern.

Können Sie ein konkretes Beispiel für eine Untersuchung geben?

Giovanni Bigot: Nehmen wir beispielsweise den Faktor Wasserstress. Wir verwenden die in Frankreich entwickelte Apex-Methode, mit der der Wasserhaushalt der Rebe über die optische Begutachtung der Triebspitzen ermittelt wird. Ist die Triebspitze länger als die beiden obersten entfalteten Blätter, wenn man diese nach oben klappt? Oder wird sie teilweise oder ganz von ihnen bedeckt? Oder ist die Triebspitze welk oder vertrocknet, sind zusätzlich die basalen Blätter gelb oder vertrocknet? Das sind die typischen Zeichen für unterschiedliche Abstufungen von Wasserstress: Kein Stress, leichter und mittlerer Stress, starker sowie extremer Stress. Für weiße Sorten ist leichter, für die roten mittlerer Wasserstress qualitätsfördernd. Für eine aussagekräftige Messung begutachte ich 30 bis 50 Triebspitzen in einer Parzelle und gebe das jeweilige Resultat in die App ein. Nach etwa fünf Minuten ist die Beobachtung abgeschlossen.

Wie weiß ich, wann und wie oft ich die Messungen machen muss und wie viel Zeit das beansprucht?

Giovanni Bigot: Die App informiert den Winzer über Push-Benachrichtigungen. Außerdem gibt es einen Kalender, aus dem ersichtlich ist, wann welche Beobachtungen idealerweise gemacht werden sollten. Wenn das Monitoring wie empfohlen ausgeführt wird, kommt man auf etwa 180 Minuten pro Jahr und Weinberg.

Kann auch ein deutschsprachiger Winzer die App benutzen?

Giovanni Bigot: Selbstverständlich. Außer auf Italienisch gibt es die App noch in sechs weiteren Sprachen, unter anderem auf Englisch. Ich denke, das können die meisten. Eine deutsche Version ist aber geplant.

Zurück zum Index: Ab welcher Punktzahl können Winzer mit der Qualität ihres Weinbergs zufrieden sein?

Giovanni Bigot: Weinberge mit einer Punktzahl von 70-75 Punkten ergeben gute Weine. Die bisher höchste berechnete Punktzahl liegt bei 92 Punkten. Für die Kalkulation des Index habe ich als Grundlage die Verkostungsresultate aus 1.000 Weinbergen verwendet, bei denen die Werte aller neun Faktoren bekannt waren. Sie habe ich mit den Erkenntnissen der internationalen Forschung über den Einfluss zu den jeweiligen Faktoren verknüpft. So konnte ich die Korrelation zwischen den Parametern des Weinbergs und dem Wein herstellen.

Giovanni Bigot an seinem Lieblings-Arbeitsplatz, dem Weinberg

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Giovanni Bigot: Das hat vor zwanzig Jahren begonnen. Damals habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, mit der ich meine Beobachtungen im Weinberg sammeln, archivieren und jederzeit wieder abrufen konnte. Ich habe dafür ein programmierbares GPS-Handgerät benutzt. So ist mit der Zeit eine Datenbank mit 80.000 georeferenzierten Beobachtungen aus 3.000 verschiedenen Weinbergen in Italien und anderen Ländern entstanden. Mir ging es bei all dem immer darum, wie der Weinberg die Weinqualität beeinflusst.

Sie haben diese Vorgehensweise also zunächst nur für Ihre Arbeit genutzt?

Giovanni Bigot: Ja, in den ersten Jahren schon. Weil es sich als sehr nützlich erwiesen hat, habe ich eine Monitoring-App entwickelt, die auch andere nutzen können. Sie ist bereits seit 2015 verfügbar.  Anfang 2020 habe ich dann den Bigot-Index öffentlich zugänglich gemacht. Ein großer Teil der Arbeit bestand darin, den Einfluss zu gewichten, den die verschiedenen Parameter auf das Gesamtresultat des Index haben. Je nach Faktor bewegt er sich zwischen fünf und 30 Prozent. Der Index zeigt nicht nur das Gesamtergebnis, sondern gibt auch Aufschluss über den Wert der einzelnen Parameter. So wird ersichtlich, welcher Bereich noch verbessert werden kann.

Dabei geht's um Aspekte, die der Winzer durch sein Handeln beeinflussen kann. Wie passt da das Alter des Weinbergs hinein, da ist der Einfluss doch höchstens langfristiger Art?

Giovanni Bigot: Stimmt, aber das Alter der Reben ist ein wichtiger Faktor. Wenn einem das bewusst ist, überlegt man es sich zweimal, ob man einen alten Weinberg ausreißt, nur weil beispielsweise die Erträge zurückgegangen oder weil die Fahrgassen für den neuen Traktor zu schmal sind. Alte Reben befinden sich in einem natürlichen Gleichgewicht, bei ihnen gibt es weder Wasserüberfluss noch großen Wasserstress, ihre Trauben sind immer lockerbeeriger, die Früchte dickschaliger als bei jungen Pflanzen und vieles mehr.

Wie viele Winzer nutzen Ihre App “4Grapes”? Ich habe gelesen, dass Angelo Gaja bereits mit Ihrem Index arbeitet.

Giovanni Bigot: Ja, das stimmt, ich arbeite seit einigen Jahren mit Angelo Gaja zusammen. Er ist sehr an einer neuen Art des Weinbaus mit präziser, kalibrierter Bewirtschaftung interessiert. Gajas Nebbiolo-Lage San Lorenzo gehört zu den ersten acht Weinbergen in Italien, die einen Bigot-Index von über 90 Punkten erreicht haben. Die App wird inzwischen von rund 1.300 Winzern fürs Monitoring genutzt, aber nicht alle verwenden sie zur Index-Berechnung. Das Tool erfasst ja nicht nur die für den Index erforderlichen Daten, sondern macht insgesamt 150 verschiedene Messungen im Weinberg möglich. Für Winzer, die mehr darüber lernen wollen, gibt es seit Ende 2020 auch die digitale “Academy 4Grapes”, mit der ich das Weinbergs-Monitoring vermittle.

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