Raus aus der Monokultur: Die Idee hinter “Ambito” stammt von den Winzern selbst. „Bei unserer Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Weingütern wird auch deren Arbeit zur Biodiversität bewertet”, erklärt Keith Ulrich, Projektleiter und Vorsitzender von Fair’n Green. Der Verein erteilt ein Siegel für nachhaltigen Weinbau und hilft Winzern, definierte Ziele objektiv messbar zu machen. “Dabei ist uns aufgefallen, dass viele Produzenten gerne mehr für die Artenvielfalt tun würden. Es fehlt ihnen aber an Wissen, welches Vorgehen dazu überhaupt sinnvoll ist.” So entstand das Konzept von “Ambito”, einen auf die Standorte jeweils angepassten Werkzeugkasten mit eindeutigen Empfehlungen für die Winzer zu entwickeln: „Uns war dabei besonders wichtig, dass es hier nicht nur um die Fair’n Green-Betriebe geht, sondern um den gesamten deutschen Weinbau”, sagt Ulrich.
Bereits seit einem Jahr arbeitet der Verein mit der Hochschule Geisenheim an den ersten Schritten. Gefördert wird das auf sechs Jahre angelegte Projekt im Programm “Biologische Vielfalt” durch das Bundesamt für Naturschutz mit Geld aus dem Bundesumweltministerium. Am Ende soll den Winzern aus allen Regionen Deutschlands ein Wissens- und Lösungs-Baukasten zur Verfügung stehen. Mit ihm sollen sie angeleitet werden, die Biodiversität in konkreten Schritten im Weinberg und im Betrieb zu verbessern.
Zwei Besonderheiten prägen den Weinbau in diesem Zusammenhang. Einerseits ist Weinbau als Monokultur besonders anfällig, das genaue Gegenteil von Biodiversität darzustellen. Andererseits bieten Weinberge als Dauerkulturen die Chance, die Vielfalt der heimischen Fauna und Flora langfristig zu entwickeln.
„Ganze Landschaften sind vom Weinbau geprägt, deshalb muss man das Thema Artenvielfalt auch im gesamten Kontext der Landschaft sehen“, so Ulrich. Luftbildaufnahmen aus den 1950er Jahren belegen den deutlichen Strukturwandel im Weinbau: Statt kleinteiliger Landschaftsformen mit Bäumen, Heckenstreifen und Brachen zwischen den Weinbergsflächen entstanden durch Flurbereinigung oft monotone Reblandschaften. Im Vergleich zum Ackerbau mit seinen Fruchtfolgen bieten Weinberge aber dennoch besondere Ansatzpunkte. Keith Ulrich hat vor allem die Zwischenzeilen im Blick, die er durch Einsaaten zu Biotopen für heimische Insekten und Kleintiere umwandeln will. „Auch hier spielt der Klimawandel inzwischen eine große Rolle. Wir arbeiten an der Entwicklung von Saat-Mischungen, die mit wenig Regen und bei hohen Temperaturen keimen und ausblühen.“
Für Keith Ulrich geht es aber nicht nur darum, bestehende Strukturen anders zu nutzen, sondern auch neuen Lebensraum für Pflanzen und Tiere zu entwickeln - beispielsweise durch das Schaffen von Brachen in Form von “Zwickelflächen”. Das sind Flächen in spitz zulaufenden Weinbergen, in denen die Weinbau-Arbeit sehr aufwändig ist und daher oft aufgegeben wird. Aber sogar die Herausnahme einzelner Zeilen im Weinberg schafft neue Chancen. „Man muss bei solchen Vorschlägen aber im Blick behalten, dass den Winzern damit keine Nachteile entstehen“, ist sich Keith Ulrich bewusst. Immerhin tue der Winzer etwas für die Gesellschaft, und das müsse honoriert werden.
In den einzelnen Weinregionen loten die Experten die Perspektiven für mehr Vielfalt zusammen mit vielen Partnerbetrieben aus, zudem bewirtschaften sie Weinberge zur Demonstration der Möglichkeiten. „Es macht wenig Sinn, Biodiversität nur in einzelnen Spots zu denken, sondern man muss Strukturen vernetzen und das ganze Umfeld einbeziehen.“ Im Weingut von Stefan Braunewell im rheinhessischen Essenheim wurden beispielsweise die Testversuche mit breit angelegtem Saumstreifen neben und vor dem Weinberg zum Selbstläufer. Angeregt von der Arbeit des Winzers, ließen sich auch die Nachbarn schnell überzeugen. Damit entstand ein deutlich größerer Saumstreifen als ursprünglich geplant.
„Wir planen nun gemeinsam mit dem Naturschutzbund, das Vorhaben im gesamten Dorf einzuführen“, ist Stefan Braunewell positiv überrascht vom Feedback der Kollegen. Er verspricht sich davon, damit nicht nur die Biodiversität, sondern auch den Tourismus in der Region wieder anzukurbeln: „Es gibt hier einen Wanderweg, der in den vergangenen Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Den könnte man mit diesem Projekt neu beleben.”
Um die richtigen Ideen entwickeln zu können, muss man aber nicht nur die klimatischen und geologischen Umstände beachten, sondern auch die natürlichen Vorkommen von Pflanzen und Tieren. Das Monitoring der vorhandenen Arten übernehmen die teilnehmenden Betriebe zum Teil in Eigenregie: „Wir wurden gebeten, in unseren Weinbergen nach so genannten Geophyten Ausschau zu halten, also dauerhaft in den Weinbergen überdauernden Pflanzen. Ich habe damit einen ganz neuen Blick auf meine Weinberge entwickelt. Ich war überrascht, dass die Traubenhyazinthe auf der roten Liste steht, weil sie für mich wie selbstverständlich da ist“, berichtet der Essenheimer Winzer. Das ist ein Feedback, das Keith Ulrich oft erhält. „Sind solche Arten wie die Wildtulpe oder die Traubenhyazinthe vorhanden, geht es für uns darum, sie zu vermehren, um ihr natürliches Vorkommen zu verbreiten und zu sichern. Auf keinen Fall wollen wir fremde und neue Arten in einer Region etablieren, sondern die natürlichen Vorkommen fördern“, erklärt Ulrich die Idee.
Deshalb geht es nicht nur um Begrünung, sondern auch um das Anlegen von Heckenstreifen, das Pflanzen von Bäumen, das Ausbringen von Nistkästen, das Aufschichten von Steinen – jede Menge kleiner Veränderungen, die in der Summe einen großen Effekt erzielen. „Diese Dinge zahlen auf viele Arten ein“, sagt Ulrich. Mehr Insekten bedeuten beispielsweise mehr Nahrung für Vögel, die wieder passende Nistkästen erhalten, um neue Brutmöglichkeiten zu schaffen. „Wir versprechen uns damit auch eine positive Wirkung für den Pflanzenschutz der Reben“, erzählt der Projektleiter, „ein gesundes Umfeld mit vielen Nützlingen sorgt auch für einen widerstandsfähigeren Weinberg.“
Die Resonanz der Winzer auf das Angebot ist groß. „Wir haben über 90 teilnehmende Weingüter, die Nachfrage war enorm. Und die Bereitschaft, auch ungewöhnliche Schritte mitzugehen, ist sehr groß“, freut sich Ulrich über deren Engagement. „Biodiversität beschäftigt uns als Weingut schon lange und wir haben gemerkt, dass beispielsweise die zunehmende Trockenheit das Begrünen immer schwieriger gemacht hat. Das diskutiert man mit Kollegen und muss feststellen, dass die Theorie aus dem Studium inzwischen gar nicht mehr passt. Diese Fragen zum Umgang damit wollten wir wissenschaftlich begleitet sehen“, erzählt Stefan Braunewell von seiner Motivation, sich bei “Ambito” zu engagieren. Damit bestätigt er die Erfahrung des Projektleiters: „Die jüngere Generation setzt sich mehr mit Nachhaltigkeit auseinander und will neue Wege gehen. Dabei spielt Biodiversität eine große Rolle.“