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Selbst bei Kennern sorgen die Lagenbezeichnungen von Barolo und Barbaresco immer wieder für Verwirrung: Ist das jetzt ein offizieller Cru? Oder doch nur ein Fantasiename auf dem Etikett? Unser Überblick verschafft Klarheit.

Der Jahrgang 1961 markiert ein besonderes Datum für Barolo und Barbaresco: In diesem Jahr wurden erstmals Weine produziert, deren Trauben aus einer einzigen Lage stammten. Das Weingut Prunotto brachte einen Barolo aus der Lage Bussia sowie den Barbaresco Montestefano auf den Markt und Vietti seinen Barolo Rocche di Castiglione. Das war deshalb bemerkenswert, weil es bislang bewährte Tradition war, die Weine als Cuvée verschiedener Lagen abzufüllen. Einzellagenweine sind bei Barolo und Barbaresco ein relativ neues Phänomen. Die Übersicht der aktuell von Marcus Hofschuster verkosteten Weine dieser Appellationen samt Bewertungen finden Sie im BEST OF Barolo und BEST OF Barbaresco.

Die Weine von Prunotto und Vietti waren allerdings nicht die ersten Selektionen. Es hatte auch vorher schon vereinzelt Etiketten gegeben, auf denen – und sei es nur handschriftlich – die Herkunft der Trauben erwähnt worden war. Aber erst bei den diesen Weingütern gilt als gesichert, dass ihre Weine tatsächlich aus dem Lesegut einer einzigen Lage gekeltert wurden. Es waren damit echte Einzellagenweine.

Jobst von Volckamer

Auch andere Betriebe begannen in den Folgejahren, ihre Lagen getrennt zu vinifizieren und abzufüllen. Aber im Vergleich zum rasanten Anstieg der Gesamtproduktion wuchs die Zahl der Einzellagenweine zunächst nur langsam.

Erst in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre, einer Zeit, in der sehr viele neue Produzenten auf der Bildfläche erschienen, kam es zu einer regelrechten Explosion von Namen und Bezeichnungen. So entstand ein Mix aus historischen Lagen- und Ortsnamen unterschiedlichster Schreibweisen, Fantasiebezeichnungen und Markennamen. Es gab beispielsweise viele Etiketten, auf denen der Name Rocche stand, ohne dass ersichtlich war, ob es sich um die Rocche von Castiglione in Serralunga, die Rocche von Annunziata in La Morra oder irgendeine Rocche anderswo handelte.

Jobst von Volckamer

Lagenerfassung gegen Chaos

Anfang der 90er-Jahre war die Situation so unübersichtlich und verwirrend geworden, dass eine Reglementierung nötig wurde. Die einzelnen Barolo- und Barbaresco-Gemeinden begannen unabhängig voneinander ein Verzeichnis mit exakt abgegrenzten Lagen zu erarbeiten. Die damit beauftragten Kommissionen waren überwiegend aus Winzern zusammengesetzt. Weitere Experten wurden ebenso zu Rate gezogen wie das mündlich überlieferte Wissen der Alten sowie Katasterpläne und historische Dokumente.

Die Lagenkartierung gestaltete sich als komplex und langwierig wegen der unterschiedlichen Interessenslagen. Dazu war das Gesetz nicht klar definiert und unterschiedlich auslegbar. Somit dauerte es gut zwanzig Jahre, bis das Ergebnis schließlich 2010 in die Produktionsregeln für Barolo aufgenommen wurde. Für Barbaresco, dessen Anbaugebiet nur vier statt elf Gemeinden umfasst, konnte das Lagenverzeichnis bereits 2007 ins Reglement aufgenommen werden.

Raffaella Usai

Wofür steht MGA?

Offiziell heißen die Lagennamen menzioni geografiche aggiuntive, „ergänzende geografische Angaben“. Die gängige, aber nicht offizielle Abkürzung ist MGA. Manchmal wird auch das Kürzel MeGa benutzt, aber auch das ist nicht offiziell. Der Einfachheit halber wird hier im Folgenden immer von MGAs als Synonym für menzioni geografiche aggiuntive die Rede sein.

Die MGAs sind geografisch exakt abgegrenzte Bereiche innerhalb des Barolo- und Barbaresco-Anbaugebietes. Sie entsprechen im Großen und Ganzen dem, was die Franzosen als Cru bezeichnen. Nicht zuletzt deshalb hat sich in der Alltagssprache der Ausdruck Cru gegenüber der etwas sperrigen offiziellen Bezeichnung durchgesetzt. Für Barolo gibt es insgesamt 170 MGAs, beim Barbaresco sind es 66.

Für Barolo gibt es zusätzlich elf Gemeindeangaben, die noch genauer erklärt werden.

Da sich die Weinbautradition im Gebiet von Barolo und Barbaresco nicht nur auf Nebbiolo beschränkt, liegen innerhalb einer MGA auch Weinbergflächen, die mit anderen Sorten wie etwa Dolcetto und Barbera bepflanzt sind. Zudem können die MGAs, aus Gründen, die hier den Rahmen sprengen würden, auch Waldstücke sowie andere landwirtschaftliche Flächen wie Haselnusspflanzungen enthalten.

Die MGAs sind aber nicht hierarchisch gegliedert. Ein Barolo mit Nennung einer MGA auf dem Etikett ist nicht automatisch von höherer Qualität oder größerem Renommee als ein Wein mit Fantasiebezeichnung, oder einem, der schlicht Barolo heißt. Für jene Betriebe allerdings, die die offiziellen Lagennamen nutzen, stehen diese Weine in der betriebsinternen Hierarchie über denen ohne Zusatzbezeichnung.

Absurderweise untersagt eine EU-Verordnung die Angabe von zwei oder mehr MGAs. Damit findet die noble Tradition der Assemblage keine Erwähnung auf dem Etikett.

Ein prominentes Opfer dieser Regelung ist der Kult-Barolo der Cantina Bartolo Mascarello, wo man sich aus Prinzip weigert, die verschiedenen Lagen separat abzufüllen. Bei Mascarello ist man überzeugt, dass die Cuvée stets den besseren Barolo ergibt. Einzellagen-Abfüllungen werden als Modeerscheinung ohne historische Wurzeln betrachtet. Früher standen auf dem Mascarello-Etikett alle für den Wein verwendeten Lagen: Canubbi - San Lorenzo - Rué - Rocche. Seit der Disziplinar-Änderung ist das nicht mehr erlaubt. Der Wein kommt jetzt als einfacher Barolo auf den Markt.

Raffaella Usai

Barolo-Weine, deren Trauben aus verschiedenen MGAs nur einer einzigen Gemeinde stammen, dürfen ihre Herkunft auf dem Etikett zeigen. So darf sich beispielsweise ein Wein, dessen Trauben aus MGAs der Gemeinde Serralunga kommen, Barolo del Comune di Serralunga nennen. Solch eine kommunale MGA gibt es für jede der elf Barolo- Gemeinden.

Neben dem Namen der Appellation und dem möglichen Zusatz Riserva darf auf einem Barolo- oder Barbaresco-Etikett folgendes stehen:

  • die Gemeinde, aus der die Trauben stammen (zum Beispiel Barolo del Comune di Serralunga);
    Das gilt nur für die elf Barolo-Gemeinden, für Barbaresco ist die Bezeichnung nicht vorgesehen.

  • die ergänzende geografische Angabe (MGA) (zum Beispiel Barolo Cannubi oder Barbaresco Montefico).

  • der Name eines im Lagenverzeichnis eingetragenen Weinbergs (Vigna rivendicata), allerdings nur in Verbindung mit dem vorangestellten Zusatz Vigna (bzw. Vigne, Vigneto oder Vigneti) UND gleichzeitiger Angabe der MGA – beispielsweise Barolo Bussia Vigna Colonello oder Barbaresco Basarin Vigna Gianmaté.
    Die Angabe des Weinbergs auf dem Etikett bedeutet nicht automatisch auch höhere Weinqualität, selbst wenn in diesem Fall eine Ertragsbeschränkung von 7,2 Tonnen statt acht Tonnen pro Hektar vorgeschrieben ist.

Auch die Angabe eines Fantasie- oder Markennamens auf dem Etikett ist erlaubt. Einen offiziellen Lagennamen zweifelsfrei vom Fantasienamen zu unterscheiden, ist für den Konsumenten allerdings nicht ganz einfach. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Barbaresco Meruzzano - Meruzzano ist eine MGA - und der Privatmarke Barbaresco Monciraldo? Abhilfe schafft beim Lesen des Etiketts nur die Zuhilfenahme des MGA-Verzeichnisses. wein.plus schreibt in den Weinkritiken offizielle Lagenbezeichnungen ohne, Fantasienamen dagegen mit Anführungszeichen.

Lagendefinition ja, Klassifikation nein

Die klare, allgemein verbindliche Definition der Lagen ist eine Sache, deren Klassifizierung eine andere. Das System der MGAs gibt denn auch keine Auskunft über das qualitative Potenzial der einzelnen Crus, berühmte und unbekannte Lagen stehen hier gleichwertig nebeneinander. Eine Klassifikation ist heikel, da neben erstklassigen Lagen auch die weniger guten definiert werden müssen. Angesichts der ökonomischen Interessen, die mit Weinen wie Barolo und Barbaresco verbunden sind, ist das schlicht unmöglich. Keine Institution besitzt heutzutage die nötige Autorität, um eine offizielle Klassifikation durchzusetzen.

Raffaella Usai

Die inoffizielle Lagenhierarchie

Im Laufe der Geschichte gab es jedoch stets so etwas wie eine inoffizielle Klassifikation. Die Tatsache, dass Barolo und Barbaresco früher fast ausschließlich Cuvées verschiedener Lagen waren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Qualitätsunterschiede der einzelnen Zonen sehr wohl bekannt waren. Vom Winzer über den Traubenvermittler (mediatore) bis zum Handelshaus wussten alle Beteiligten, wo die besten Trauben für einen Spitzen-Nebbiolo wuchsen. Auch die erste Genossenschaft von Barbaresco bezahlte die Trauben schon um die Wende zum 20. Jahrhundert nach deren Herkunft und nicht nach Mostgewicht.

Vom stets mündlich weitergegebenen Wissen wurden jedoch nur wenige schriftliche Aufzeichnungen gemacht. Die ersten finden sich in einem vom Buch von Lorenzo Fantini aus dem Jahr 1879. Darin aufgeführt eine Reihe von Unterzonen von Barolo und Barbaresco, von denen einige als besonders geeignet hervorgehoben sind. Ein besonderes Verdienst bei der Lagendokumentation kommt dem Journalisten Luigi Veronelli zu, der in den 70er-Jahren in beispielloser Ausführlichkeit alles zusammentrug und systematisch aufbereitete, was er zum Thema finden konnte.

Zur gleichen Zeit entstand die berühmte Karte der Barolo-Lagen, mit der Winzer Renato Ratti den Versuch einer Klassifizierung unternahm. Beim Betrachten der Karte fällt auf, dass einige der damals bedeutenden Namen mittlerweile in Vergessenheit geraten und andere, die heute zu den Spitzenlagen zählen, unerwähnt geblieben sind. Nahezu unverändert sind dagegen jene Lagen geblieben, die von Ratti zu den Top-Crus gezählt wurden. Sie gehören auch heute noch zu den besten des Anbaugebietes. Auch Klassifikationen, so zeigt sich, sind stets Kinder ihrer Zeit. Sie sind nicht starr und für alle Zeiten gültig, sondern einer beständigen Dynamik ausgesetzt.

Raffaella Usai

Weiterführende Informationen

Wer sich intensiver mit der Thematik der Lagenbezeichnungen beschäftigen will, dem seien die Bücher und Karten des „map-man“ Alessandro Masnaghetti ans Herz gelegt. In jahrelanger Arbeit hat der Journalist alles Wissenswerte über die MGAs zusammengetragen und genaue Detailkarten der Crus erstellt. Seine Bücher sind für Barolo- und Barbaresco-Fans ein Muss. Erst im August 2020 ist sein jüngster Streich online gegangen, die Website Barolo MGA 360°, auf der man das Anbaugebiet Barolo aus der Drohnenperspektive mit Gemeinden, Lagen, Böden, Ausrichtung und Winzern bis ins kleinste Detail erkunden kann. Mehr Infos auf http://www.enogea.it

Hier geht’s zum aktuellen

BEST OF Barolo
BEST OF Barbaresco

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